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Emotionale Parforcejagd

Mit seinen E-Mail-Love-Storys "Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" hat der Österreicher Daniel Glattauer zwei Weltbestseller geschrieben und Romantikfans verzückt. In seinem neuen Roman schlägt der Frauenversteher härtere Töne an.

Von Günter Kaindlstorfer | 03.05.2012
    Daniel Glattauer hat das, was man Charme nennt, manche meinen: Wiener Charme. Den lässt der 51-Jährige natürlich auch in seinen Romanen auffunkeln, und damit punktet er nicht nur in Österreich. 2,5 Millionen Mal haben sich Glattauers E-Mail-Romane allein im deutschen Sprachraum verkauft. Der sprachverliebte Wiener hat mit seinen E-Mail-Love-Storys die amourösen Sehnsüchte der Parship-Generation getroffen, die sich, zumindest in ihrer weiblichen Ausbildung, den Märchenprinzen heute offenbar nicht mehr auf einem feurigen Araberross einherpreschend vorstellt, nein, Glattauers Sehnsuchtsprinz offenbart sich als Flirtchatter in den Weiten des World Wide Web. Das funktioniert, buchmarkttechnisch, im Bahnhofs-Bookstore ebenso wie in anspruchsvolleren Universitätsbuchhandlungen. Und es funktioniert nicht nur im deutschen Sprachraum: Glattauers E-Mail-Romane sind in nicht weniger als 37 Sprachen übersetzt worden, in europäische Mainstream-Idiome wie Englisch und Französisch, aber auch ins Koreanische, Chinesische, Estnische, Indonesische und Vietnamesische. Nirgendwo im fremdsprachigen Ausland allerdings haben sich seine Bücher so gut verkauft wie auf der iberischen Halbinsel, erzählt Daniel Glattauer.

    "Es gibt Länder, in denen diese E-Mail-Romane wahnsinnig gut funktioniert haben – allen voran in Spanien. Also, in Spanien und den lateinamerikanischen Ländern gehen die Bücher gut, auch in Italien und Frankreich funktionieren sie wunderbar. In anderen Ländern wiederum, zum Beispiel in Holland, verkauft sich das Buch gar nicht. Da hab ich schon einmal das Gerücht gehört, eine E-Mail-Geschichte zwischen einem Mann und einer Frau kann in Holland, weil sich dort jeder denkt: Wieso gehen die nicht nach drei E-Mails sofort miteinander ins Bett?"

    Judith, die Protagonistin von Glattauers neuem Roman "Ewig Dein", landet relativ schnell im Bett mit ihrem neuen Verehrer. Hannes heißt der Lover, und Hannes ist ein ganz ein Netter.

    "Er trug eine blaue Strickjacke mit hellbraunen Knöpfen und sah aus wie einer, der jeden Abend am offenen Kamin saß, Earl Grey trank und mit seinen Zehen das dichte Fell eines übergewichtigen Bernhardinerrüden massierte."

    Welche Frau fände so einen nicht attraktiv, vorausgesetzt, sie hat keine Hundehaar-Allergie und mag Earl Grey? Judith jedenfalls, Mittdreißigerin und Inhaberin eines exklusiven Lampengeschäfts in Wien, Judith lässt sich gern den Hof machen von einem präsumtiven Kuschelbären wie Hannes.

    "'Es war wirklich total angenehm, mit dir zu plaudern', sagte sie. 'Das können wir gern wieder einmal machen.'
    Wie er sie dabei ansah, das wollte sie sich einprägen, um es abrufen zu können, wenn sie sich selbst wieder einmal so gar nicht gefiel. Und was er alles an Nettigkeiten zu ihr gesagt hatte während des Abendessens, das musste sie erst einmal verdauen. Jedenfalls freute sie sich auf das Danach, ungestört mit sich allein daheim, mit sich und den Gedanken an eine nette Neuentdeckung, einen Mann, der sie auf einen reich verzierten, im schönsten Licht erscheinenden Thron gesetzt hat. So hoch oben war sie schon lange nicht mehr gesessen. Auf diesem Platz wollte sie wenigstens ein paar Stunden verweilen."


    Daniel Glattauer schickt seine Leserinnen und Leser auf eine emotionale Parforcejagd, denn Hannes Bergtaler präsentiert sich nur anfänglich als einfühlsamer Charmeur. Dann allerdings – und das wird romantikerpichten Glattauer-Leserinnen Entsetzens-Schauer über den Rücken jagen – dann allerdings outet sich Hannes mehr und mehr als ganz, ganz Böser. Als "Psycherl", wie man in Österreich sagt. Als soziopathischer Stalker, der Judith das Leben zur Hölle macht.

    "In meinem Fall fangt’s ja sehr schön an. Es ist eine Liebesgeschichte, durchaus romantisch. Aber dann kippt sie."

    Hannes Bergtaler – der Name ist Programm. Bergtaler schickt die empfindsame Judith auf eine affektive Berg- und Talfahrt, die’s in sich hat.

    "Die Nettigkeit, das ist das äußere Gesicht. Und dann kann jemand noch ganz anders sein. Wir wissen das von uns allen. Da denkt man sich: Jö, so hab ich den noch nie erlebt, der ist doch normalerweise so und so und so. Gerade im Psychologischen kann das sehr gut versteckt sein."

    Auch wenn Hannes die destruktiven Aspekte seiner Persönlichkeit sehr gut versteckt hält: Nach und nach offenbaren sie sich doch. Seine Liebe kennt kein Maß und kein Ziel, er erstickt Judith mit seiner besitzergreifenden Nettigkeit, er raubt ihr den Atem. Und Judith macht Schluss. Oder besser gesagt, sie versucht, Schluss zu machen.

    "Hannes schrieb: 'Darf ich dir ein SMS schicken, wenn es mir nicht gut geht?'
    'Natürlich, wann immer', sandte sie ihm zurück, gepeinigt von ihrem schlechten Gewissen."


    Dann schaltet Judith das Handy ab. Am nächsten Morgen im Büro wartet ein von Hannes gesandter Blumenstrauß auf sie. Wobei man hinzufügen muss: Der hartnäckige Galan hat ihr in den Wochen zuvor bereits Dutzende Buketts zukommen lassen.

    "Sie zog sich in ihr Büro zurück und aktivierte ihr Handy, um Hannes jede weitere Blume zu verbieten. Elf neue Nachrichten waren eingelangt. Elf Mal sein Name. Elf Nachrichten im gleichen Wortlaut. Zwei Uhr dreizehn: 'Es geht mir nicht gut.'
    Drei Uhr dreizehn: 'Es geht mir nicht gut.' Vier Uhr dreizehn: 'Es geht mir nicht gut.' Elf Mal ging es ihm nicht gut."


    Glattauers Heldin versucht, sich dem Bannkreis des leidenden Stalkers zu entziehen, um immer unentrinnbarer, so scheint es, Teil einer paranoiden Inszenierung zu werden. Glattauer hat sich für seinen Psychothriller einen etwas überkonstruierten Schluss einfallen lassen, aber das wird dem Erfolg von "Ewig Dein" vermutlich keinen Abbruch tun. Denn auch in seinem neuen Roman wartet der 51-jährige Wiener mit dem für ihn charakteristischen Sprachwitz auf, und er vermag sich einmal mehr empathisch einzufühlen in empfindsame Frauenseelen:

    "Das ist interessant: Mit dem Image des Frauenverstehers bin ich jetzt schon öfter konfrontiert worden. Für mich ist es einfach sehr, sehr spannend, mich in eine Frau hineinzuversetzen als Schreiber. Außerdem kenn ich mich mit Frauen insofern gut aus, als sie die besseren und innigeren Gesprächspartnerinnen sind. Ich hab wirklich mit Frauen zwischen 30 und 40 – in meinem Freundes- und Bekanntenkreis – schon unzählige Gespräche gehabt, in denen es sehr um Gefühle geht, um Privates. Männer hinken dieser Entwicklung noch ein bisschen nach. Es gibt sehr wenige Männer, mit denen man über Gefühle reden kann, das heißt, ich kenne ich mich bei Frauen einfach besser aus."

    Und so wird man nicht fehlgehen, wenn man dem neuen Glattauer-Roman viele LESERINNEN prognostiziert. Ob der 51-jährige Österreicher mit "Ewig Dein" in die Literaturgeschichte eingehen wird, ist eine andere Frage. Aber darauf legt Glattauer es auch nicht an.

    Daniel Glattauer: Ewig Dein.
    Deuticke Verlag, Wien, 205 Seiten, 17,99 Euro