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Emotionen auf der Spur

Psychologie. - Die Mimik ist der Spiegel unserer Seele, heißt es. In ihr drücken sich, gewollt oder unbewusst, Stimmungen und Gefühle aus. Seit langem versuchen Forscher, die Mimik zu lesen: beispielsweise um Lügner zu entlarven. Alle gebräuchlichen Methoden haben aber einen Nachteil: sie registrieren nur sichtbare Veränderungen der Mimik und sind deshalb relativ ungenau. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelte jetzt ein Forscher eine neue Alternative.

Von Peter Podjavorsek | 29.03.2004
    Im Emotionslabor des Neuropsychologen Karsten Wolf kann niemand mehr seine wahren Gefühle verbergen. Zwanzig Elektroden, im Gesicht angebracht, registrieren jede kleinste Regung der Gesichtsmuskeln und übertragen sie an einen Rechner. Zirka 500 Millisekunden braucht ein Mensch um seine Mimik zu kontrollieren. Wolfs Messapparatur ist schneller.

    Seit Jahrzehnten versucht man weltweit, das Problem der Mimikmessung mit dem Elektromyographen in den Griff zu bekommen. Das hat aber technische Gründe, dass das bislang nicht gelungen ist. Weil sich nah beieinander liegende Muskeln, wenn man die Elektroden darüberlegt, gegenseitig beeinflussen, weiß man nicht genau, was man misst. Wir haben jetzt die technischen Voraussetzungen entwickelt, um simultan eine ganze Reihe von Muskeln gleichzeitig zu messen.

    Und damit lassen sich bereits kleinste, auch nach außen nicht sichtbare Gefühlsregungen - seien es Freude, Lust oder Ekel - registrieren. Vielfältige Anwendungen sind denkbar. Marktforscher könnten beispielsweise untersuchen, wie Konsumenten auf bestimmte Produkte reagieren. Karsten Wolf hat vorerst jedoch nur medizinische Anwendungen im Sinn. Zum Beispiel die Verbesserung der Therapie bei Schizophrenen. An die Messapparatur im Emotionslabor angeschlossen, zeigt Karsten Wolf Probanden standardisierte Dias: harmonische Familienszenen, erotische Bilder, unangenehme Situationen beim Zahnarzt. Bei gesunden Menschen lösen diese Bilder ganz bestimmte Emotionen und damit mimische Muster aus. Anders bei Schizophrenen.

    Wir konnten zeigen, dass es bei schizophrenen Patienten ganz spezifische Veränderungen in der Mimik gibt. Das sind vor allen Dingen eine Minderung der Lächelfrequenz, eine Minderung der mimischen Ausgestaltung überhaupt. Wir konnten auch zeigen, dass, wenn man etwa ein Dia wiederholt zeigt, sich bei Gesunden die gleiche Reaktion abgeschwächt noch einmal zeigt. Bei schizophrenen Patienten kann sich eine völlig andere Reaktion zeigen. Und es waren spezifische Zeichen der so genannten mimischen Desintegration. Da konnten wir zeigen, dass Patienten bestimmte mimische Muster zeigen, denen keine bestimmte Emotionen zuordenbar sind.

    Solche Störungen der Mimik beeinträchtigen die Kommunikation mit anderen Menschen und somit auch den Verlauf und die Prognose der Krankheit. Hinzu kommt, dass speziell ältere Psychopharmaka die Mimik der Schizophrenen noch zusätzlich verschlechtern. Wolfs Messungen im Emotionslabor zeigen, dass neuere, so genannte atypische Neuroleptika, hier deutlich besser abschneiden. Da sie aber teurer als die alten Medikamente sind, werden sie in Deutschland häufig nicht verschrieben. Allgemein gibt es für die Therapie mit Neuroleptika wenig Leitlinien. Bei jedem Patienten wird nach dem Prinzip des "trial and error" ausprobiert, welches Medikament am besten anschlägt und die wenigsten Nebenwirkungen zeigt. Hier könnte künftig das Emotionslabor helfen. Denn wie Karsten Wolf herausgefunden hat, lassen sich bestimmte Nebenwirkungen direkt an der Mimik eines Patienten ablesen.

    Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen den Nebenwirkungen von Neuroleptika und der Veränderung der Mimik. Hier spielen vor allem das Depressionssyndrom verursachende Medikamente eine Rolle, indem sie Depressionen hervorrufen und verstärken und auch die Mimik zum Negativen verändern. Auch Medikamente, die sich auf die Motorik, die Muskulatur negativ auswirken, verändern die Mimik zum Negativen. Und hier konnten wir auch genau zeigen, welche der modernen Medikamente besser sind als andere, vor allem Dingen als die alten Neuroleptika.

    Schizophrenen kann so also geholfen werden, das optimale Medikament in der optimalen Dosierung zu finden. In einer anderen Studie untersucht Karsten Wolf Pädophile. In der Ambulanz der psychiatrischen Abteilung kommen immer wieder Personen mit der Angst zu ihm, kriminell oder wieder rückfällig zu werden. Das zu beurteilen, ist aber sehr schwierig. Auch hier könnte nun das Emotionslabor helfen. Wolf zeigt pädophilen und gesunden Probanden wiederum Dias: diesmal Menschen in Alltagsszenen, Kinder, Erotisches, Pornografisches, schließlich Perverses und Kinderpornografie. Normale Betrachter reagieren auf solche Bildfolgen erst freudig und positiv, irgendwann schlägt die Stimmung in Ekel um. Bei Kranken findet dieses Umkippen später oder überhaupt nicht statt.

    Man wird mit dieser Methode nie hundertprozentig sagen können, ob jemand noch pädophil ist oder nicht. Denn wir wissen ja, dass 25 Prozent der männlichen Bevölkerung eine pädophile Neigung hat, die messbar ist, ohne dass die je straffällig werden. Es ist aber ein interessanter und zusätzlicher objektiver Anhaltspunkt.

    Die Hamburger Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt sind an der Methode jedenfalls interessiert. Sie mussten auch die illegalen Bilder freigeben, die Karsten Wolf bei seinen Studien verwendet.