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Emotionserkennung bei Babys
Hormone, Gene und das Stillen

Leipziger Kognitionsforscher haben untersucht, wie Säuglinge auf emotionale Gesichtsausdrücke reagieren und welche Rolle das Stillen, die Gene sowie das Bindungshormon Oxytocin dabei spielen. "Wir haben gesehen, dass längeres exklusives Stillen mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auf fröhliche Gesichter verbunden war", erklärt Studienleiter Professor Tobias Grossmann im DLF.

Tobias Grossmann im Gespräch mit Lennart Pyritz | 15.09.2015
    Ein Baby wird gestillt
    Ein Baby wird gestillt (picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum)
    Lennart Pyritz: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Dazu zählt: Gefühle anderer einschätzen und darauf reagieren. Wie sich diese Fähigkeit entwickelt, erforscht Tobias Grossmann, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. In einer Studie im Fachmagazin "PNAS" haben er und sein Team untersucht, wie Säuglinge auf emotionale Gesichtsausdrücke reagieren; und welche Rolle Gene und das Bindungshormon Oxytocin dabei spielen. Ich habe vor der Sendung mit Professor Grossmann telefoniert und gefragt, wieso in der Studie auch das Stillverhalten der Mütter untersucht wurde.
    Tobias Grossmann: Bezüglich des Stillens gibt es bereits eine Vielzahl von Untersuchungen, die einen Effekt auf die kognitive, also die intellektuelle Entwicklung untersucht haben, allerdings wurde der Einfluss des Stillens auf die soziale und emotionale Entwicklung des Kindes noch nicht systematisch untersucht. Und insbesondere stellte sich uns halt die Frage, ob längeres, exklusives Stillen, das heißt, ohne zuzufüttern, tatsächlich einen Effekt auf die Emotionsverarbeitung ausübt, da in vorangegangenen Studien mit Erwachsenen die Gabe von Oxytocin als Nasenspray die Reaktion und das Erkennen von fröhlichen Gesichtern erhöht hat, während es auch die Verarbeitung und das Erkennen von negativen Ausdrücken verringert hat. Bei Oxytocin gehen wir davon aus, dass das eine wichtige Rolle auch beim Stillverhalten spielt, und bei Säuglingen, die länger exklusiv gestillt werden, dass man da eventuell höhere Oxytocin-Niveaus beobachten kann. Das war unsere Hypothese.
    Pyritz: Und die genetische Untersuchung, die Sie auch noch mit eingeschlossen haben?
    Grossmann: Also die Genvariante, die wir hier untersucht haben, das CD38, ist ein Gen, was zum einen in einer bestimmten Variante mit verringerten Oxytocin-Werten in Verbindung gebracht worden ist, in vorangegangenen Studien, und zum anderen wird es auch damit in Verbindung gebracht mit erhöhten Raten von Autismus in der Population.
    Wo Säuglinge hinschauen
    Pyritz: Dann haben Sie diese Eigenschaften im Hinblick auf das Erkennen von Emotionen untersucht - wie genau lief diese Studie mit den Säuglingen dann ab?
    Grossmann: Das Stillverhalten selbst haben wir per Fragebogen erhoben, von der Mutter, die Genetik mit einer Speichelprobe vom Säugling, und die Emotionsverarbeitung haben wir in einem Experiment untersucht, bei dem fröhliche, ängstliche und ärgerliche Gesichter immer im Vergleich zu einem neutralen Gesicht präsentiert wurden. Und wir haben dann über Eye-Tracking die Möglichkeit gehabt, die Augenbewegungen aufzuzeichnen und zu sehen, auf welche Elemente des Gesichts der Säugling besonders aufmerkt und seine Aufmerksamkeit ausrichtet.
    Pyritz: Was waren die Ergebnisse, die Sie gefunden haben?
    Grossmann: Wir haben gesehen, dass längeres exklusives Stillen mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auf fröhliche Gesichter, insbesondere die Augenregion, verbunden war und auf der anderen Seite einen Effekt hatte, sodass verminderte Aufmerksamkeit auf ärgerliche Gesichter gesehen wurde mit längerem exklusiven Stillen.
    Und die genetischen Analysen deuten darauf hin, dass insbesondere Säuglinge, die einen Genotyp zeigen, der mit einem verringerten Oxytocin-Niveau einhergeht und auf der anderen Seite einem erhöhten Autismusrisiko verbunden ist, besonders durch das Stillen beeinflusst werden. Das heißt, für diese Gruppe haben wir einen Effekt beobachten können.
    Pyritz: Was sagt das denn aus, wenn Babys sich eher fröhlichen als wütenden Augen zuwenden? Könnte es nicht auch sein, dass es wichtig ist, Aggressionen frühzeitig zu erkennen?
    Grossmann: Sicherlich ist das auch wichtig, das zu erkennen, und das findet ja in dem Zeitraum auch statt. Allerdings sieht es so aus, dass sich dann von dem ärgerlichen Gesicht abgewandt wird und eher auf das fröhliche Gesicht fokussiert wird, was eher auf eine prosoziale Tendenz hindeutet, also auf eine soziale Interaktion mit positiv eingestellten Personen.
    Beugt Stillen auch dem Autismus vor?
    Pyritz: Eine Ausprägung des untersuchten Gens CD38 wurde - das haben Sie schon gesagt - mit höheren Autismusraten in Verbindung gebracht. Die Ursachen von Autismus, auch die genetischen, sind allerdings ja sehr komplex und nach wie vor wenig verstanden. Sie argumentieren nun in Ihrer Veröffentlichung, dass Stillen bei Säuglingen mit der entsprechenden Genvariante Autismus eventuell vorbeugen könnte, weil es diese positiven sozialen Tendenzen fördert. Sind solche Begründungsketten vor dem Hintergrund der unverstandenen Autismusursachen nicht verfrüht?
    Grossmann: Es ist auf jeden Fall schwierig, unsere Befunde aus der Grundlagenforschung richtig einzuordnen, und natürlich, wie Sie das schon dargestellt haben, ist es nicht so einfach, auf ursächliche Faktoren hindeuten zu können. Grundsätzlich was wir in unserer Arbeit tun, ist wirklich, besser zu verstehen, wie sich früh im Säuglingsalter soziale Fähigkeiten entwickeln, um tatsächlich nachzuweisen, dass bestimmte Genvarianten mit dem Sozialverhalten in Verbindung stehen. Auch langfristig wäre es nötig, wirklich Längsschnittstudien durchzuführen, da wir uns ja hier tatsächlich nur auf Säuglinge im Alter von sieben Monaten konzentriert hatten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.