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Empfänglich für Drogen

Neurologie. - Die Empfänglichkeit für Drogensucht ist offenbar vererbbar, denn sie hat mit der Anatomie des Gehirns zu tun. Eine Studie der Universität Cambridge hat das gezeigt, weist allerdings auch den Weg zu einer möglichen Therapie. Die Hauptautorin Karen Ersche erläutert die Untersuchung im Gespräch mit Arndt Reuning.

Karen Ersche im Gespräch mit Arndt Reuning | 03.02.2012
    Reuning: Frau Ersche, was genau haben Sie denn da entdeckt?

    Ersche: Wir haben 50 Geschwisterpaare untersucht, von denen war eines kokainabhängig und der andere hat gar keine Drogenabhängigkeit gehabt. Wir konnten zeigen, dass Drogenabhängigkeit mit Schäden im Gehirn einhergeht. Und was interessant war, dass der Geschwisterteil, der gar keine Drogen konsumiert, ähnliche Veränderungen im Gehirn aufwies. Und zwar in Bereichen, von denen wir wissen, dass Drogen dort wirken. Und diese Veränderungen bei den nichtabhängigen Geschwistern lässt vermutet, dass es Menschen gibt, die ein Gehirn haben, das für Drogen empfänglich ist, und die dadurch auch einem hohen Risiko ausgesetzt sind abhängig zu werden, wenn sie Drogen nehmen.

    Reuning: Ich denke, das ist auch die Frage: Was war vorher da? Gab es diese Veränderungen im Gehirn schon, bevor die Sucht eingesetzt hat, oder war das erst ein Effekt der Droge?

    Ersche: Die Geschwister, die keine Drogen genommen haben, die diese Veränderungen aufweisen, da kann das ja nicht durch die Droge entstanden sein. Das muss also schon vorher da gewesen sein. Und bei den Geschwistern, die Drogen genommen haben, da war die Veränderungen auch, aber noch viel ausgeprägter. Das heißt, die Drogen haben ihren Teil auch noch dazu beigetragen und haben das Problem verstärkt.

    Reuning: Welche Areale im Gehirn waren denn besonders betroffen?

    Ersche: Wichtig erst einmal bei Drogenabhängigkeit ist die Selbstkontrolle oder Selbstbeherrschung, die geht nämlich bei den Drogenabhängigen verloren. Menschen, die drogenabhängig sind, die verlieren schnell die Kontrolle darüber, über den Drogenkonsum, und viele beschreiben das auch so, dass sie Kontrolle an die Drogen abgeben. Wir haben mit diesen 50 Geschwisterpaaren und mit den 50 weiteren gesunden Personen, die wir auch noch eingeladen haben zu dieser Studie, die also nicht mit diesen Geschwister verwandt waren und auch keine Drogen konsumiert haben, einen Test gemacht. Und das ist ein Test für Selbstkontrolle. Und die Drogenabhängigen hatten damit sehr große Probleme, aber nicht nur die, sondern auch ihre Geschwister, die hatten Probleme mit der Selbstkontrolle. Und alle Teilnehmer haben sich auch noch einem Gehirnscan unterzogen, der es uns ermöglicht hat, die Struktur des Gehirns zu analysieren. Und da haben wir eben gesehen, dass es bei den Geschwisterpaaren diese Veränderung gab, und vor allen Dingen auch, dass Nervenverbindungen, die einzelne Bereiche im Gehirn verbinden, dass die gestört waren. Das kann man sich so vorstellen, dass die eigentlich eine schlechtere Verkabelung haben, oder dass die Kabel weniger gut Informationen leiten. Und diese schlechtere Kabelverbindung stand im direkten Zusammenhang mit der Störung der Selbstkontrolle. Also, je schlechter die Kabelverbindungen im frontalen Bereich des Gehirns, desto schlechter konnten die auch Kontrolle ausüben über ihr Verhalten.

    Reuning: Das hört sich fast so an, als seien diese Menschen Opfer ihres Gehirns. Aber wenn beide Geschwister ähnliche Gehirnstrukturen aufweisen, was könnte denn dann der Auslöser für die Sucht sein. Was ist das entscheidende Kriterium?

    Ersche: Na ja, man wird ja nicht abhängig über Nacht. Man musste erst einmal Drogen nehmen, um abhängig zu werden. Also wenn man keine Drogen nimmt, wird man auch nicht abhängig. Ich habe auch nicht erwähnt, es gibt einen weiteren Teil im Gehirn, der anormal war oder ist, der auch eine wichtige Rolle spielt bei der Drogenabhängigkeit, und das war der Bereich, der für Gewohnheitsbildung zuständig ist. Und es gibt Menschen, die sind einfach Gewohnheitstiere oder Gewohnheitsmenschen. Das sind Menschen, wenn sie Bus fahren, nehmen sie immer den gleichen Platz ein, oder kaufen immer dieselbe Milchtüte. Das ist auch nicht schlimm, wenn es gute Gewohnheiten sind. Aber wenn man sich eine schlechte Gewohnheit aneignet, wie zum Beispiel Drogen nimmt, dann bilden dieses Patienten sehr schnell diese Gewohnheit aus. Menschen mit der Neigung zu Gewohnheit bilden das sehr schnell aus, und wenn man dann auch noch eine Störung der Selbstkontrolle hat, dann haben die Drogen leichtes Spiel. Dann wird man wirklich schnell süchtig. Und erst einmal muss man Drogen nehmen. Und warum jetzt diese Geschwister keine Drogen genommen haben, obwohl sie die gleichen Risikofaktoren haben? Ich muss auch sagen, die 50 Geschwisterpaare, die hatten eine schwerere Kindheit gehabt als unsere 50 Vergleichspersonen. Das ist also wirklich deutlich herausgekommen, auch in unserer Studie. Da gab es sehr viel häusliche Gewalt, es gab sexuellen Missbrauch, aber das betraf beide Geschwisterteile, nicht nur denjenigen, der Drogen genommen hat. So, jetzt ist die Frage: Warum hat denn der andere Teil, der ja im gleichen Umfeld groß geworden ist, warum hat der denn keine Drogen genommen, oder wenn er es genommen hat – einige haben ja auch eine Ecstasy-Tablette genommen und einige haben ja auch Cannabis geraucht – aber die alle haben gesagt: Nein, das war nicht mein Ding, es gibt noch etwas anderes im Leben. Und wie die das geschafft haben, andere Wege zu gehen und vor allen Dingen auch, wie deren Gehirn es schafft, diese Veränderungen, diese Anormalitäten zu überwinden, das müssen wir in einer neuen Studie untersuchen. Denn das ist sehr interessant und auch sehr wichtig, und das gibt uns neue Impulse für die Therapieforschung. Deren Strategien und deren Kompensationsmechanismen können ein Modell sein für die abhängigen Menschen, die versuchen, ihre Drogenabhängigkeit zu überwinden.

    Reuning: Was bedeuten denn diese Erkenntnisse konkret für die Therapie?

    Ersche: Konkret bedeutet das erst einmal, dass Drogenabhängigkeit kein Persönlichkeitsdefizit ist. Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit, eine Störung, eine Störung des Gehirns. Kein Lifestyle Problem, kein Persönlichkeitsdefekt, und es muss auch als eine Krankheit anerkannt werden, auch in der Bevölkerung, und auch in der Therapie. Das Gehirn darf da nicht ausgeklammert werden. Und für die Abhängigen selber ist das schon einmal ein wichtiger Schritt. Also die Patienten, die an meiner Studie teilgenommen haben, für die war das ganz wichtig zu wissen, da gibt es einen Grund dafür, warum ich das nicht in den Griff bekomme. Wenn ich mal ein Beispiel geben kann, was Patienten berichtet haben: Ich bin mit meinen Freunden auf die Piste gegangen, da haben wir eine tolle Party gehabt, da gab es Kokain, ich habe Kokain geschnupft, das hat mir gut gefallen. Ich habe eine tolle Zeit gehabt, ich habe dann gleich auch mal etwas von dem Kokain mit nach Hause genommen, ich habe dann zuhause weitergemacht, das fand ich alles ganz gut. Ich habe es dann auch mal mit auf die Arbeit genommen und das geht auch eine ganze Zeit gut. Und das zeigt auch, wie schnell diese Menschen diese Gewohnheit ausbilden. Aber dann ging es doch irgendwann mal nicht mehr gut und dann stellen sie auch fest: Mensch, alle meine Freunde, die nehmen kein Kokain mehr, die haben Familie, die haben Karriere gemacht, die haben ein Haus. Und der einzige, der an dem Stoff hängt, das bin ich. Und ich habe gar nichts mehr, ich habe meine Freundin verloren, ich habe mein Haus verloren, meinen Job verloren, ich habe nur noch Schulden. Und dann nehmen Sie an einer Studie teil und sehen: Aha, ich nehme zwar die Drogen, aber ich habe auch ein Gehirn, das dafür empfänglich war. Die Drogen haben mein Gehirn ausgenutzt. Das ist für die schon einmal wichtig zu wissen und die empfinden das auch befreiend. Und viele haben ja auch Sorge um ihre Kinder, denn wenn es vererbbar ist, dann wollen sie ihre Kinder ja auch bewahren oder beschützen, den gleichen Weg zu gehen, den sie gegangen sind. So in dem Sinne hat es die Patienten selbst weiter gebracht. Aber wir haben in der Forschung noch einen ganz langen Weg vor uns. Wir sind zwar weit gekommen, aber wir müssen auch noch mehr herausfinden. Vor allen Dingen die Geschwister der Drogenabhängigen können uns einen guten Weg zeigen; im Deutschen hat man ja auch diesen Begriff der Schattenkinder, das heißt, die standen im Schatten, an denen war man bisher noch nicht interessiert. Und als ich die Studie entwickelt habe, die Kommentare die ich bekommen habe, waren: Warum untersuchen Sie das denn, wie denn, die sind doch gar nicht krank! Die Schattenkinder können uns aber sehr viel erklären, wie man nämlich mit einem Gehirn lebt, ohne Drogen zu nehmen, wie sie diese Anormalitäten oder Veränderungen im Gehirn, die sie einem Risiko aussetzen, abhängig zu werden, wie sie die überkommen, wie sie die kompensieren, wie das Gehirn das schafft. Und das ist ein gutes Modell für die Abhängigen, die ja eine ähnliche Umgebung haben und auch ähnlich groß geworden sind.