Donnerstag, 28. März 2024

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EnBW-Chef Claassen: Deutscher Ehrgeiz beim Klimaschutz birgt Gefahren

EnBW-Chef Utz Claassen hat in der Klimaschutz-Debatte vor Dirigismus und Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Unternehmen gewarnt. Der Vorstandsvorsitzende des Energieversorgers äußerte die Befürchtung, dass Deutschland bei der europäischen Verteilung der Ziele zur CO2-Senkung übermäßig herangezogen werde. Das benachteilige deutsche Kunden und gefährde Arbeitsplätze.

Moderation: Christoph Heinemann | 16.03.2007
    Christoph Heinemann: Der "Spiegel" berichtete am vergangenen Wochenende, die vier großen deutschen Energiehersteller verteuerten den Strompreis künstlich. Das Nachrichtenmagazin stützte sich auf eine E-Mail eines Anonymus, der tatsächlich oder vorgeblich Einblicke in die Manipulationswirtschaft gewährte. Das Prinzip ist einfach: Es gibt billigen Strom, etwa aus alten Atommeilern, und teuren aus neuwertigeren Gaskraftwerken. Das Kraftwerk, welches zuletzt ans Netzt geht, um zu einer bestimmten Tageszeit den Bedarf zu decken, bestimmt den Strompreis. Der kann auf diese Weise zwischen 17 und 50 Euro pro Megawattstunde schwanken, und diese Schwankung hätten die vier Unternehmen, E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, versilbert, heißt es in der mit Informationen aus dem Innenleben der Leipziger Strombörse angereicherten E-Mail.

    Wir haben vor dieser Sendung mit Professor Utz Claassen gesprochen. Er ist Vorstandsvorsitzender von Energie Baden-Württemberg (EnBW). Ich habe ihn nach seiner Reaktion auf den Vorwurf der Strompreismanipulation gefragt.

    Utz Claassen: Also ich muss sagen, ich bin schon einigermaßen befremdet, wie immer wieder durch nichts belegte Vorwürfe öffentlich auf breiter Ebene diskutiert werden, und ich möchte mal für unser Unternehmen sagen: Wir haben ja sehr viel mehr Kunden auf Grund unserer hohen Vermarktungskraft als wir selbst Erzeugungskapazität haben. Das heißt, wir sind netto einer der größten, wahrscheinlich der größte Stromzukäufer in Deutschland, um all die Kunden auch bedienen zu können, die wir aus eigener Kapazität gar nicht bedienen könnten. Wenn also, wovon ich ausdrücklich nicht ausgehe und was ich mir auch absolut nicht vorstellen kann, in Leipzig tatsächlich in irgendeiner Form überhöhte oder verzerrte Strompreise zu beklagen wären, dann wären wir der größte Leidtragende dieses Sachverhaltes, weil wir dort einer der größten, vielleicht der größte Nettozukäufer am Strom sind. Insofern, um es ganz klar zu sagen, wir könnten gar kein Interesse an überhöhten Großhandelsmarktpreisen haben. Für uns kann ich vollkommen ausschließen, dass wir dort ein Interesse haben, irgendetwas zu verzerren oder gar zu manipulieren, und ich kann mir auch für keinen unserer Wettbewerber ernsthaft vorstellen, dass der auch nur darüber nachdenken würde, so etwas zu tun. Ich denke, dass wir als Branche unter Beobachtung stehen, ist legitim. Der Beobachtung muss sich jede Branche stellen, auch wir. Aber immer gleich im kollektiven Generalverdacht zu stehen, ohne irgendwelche bewiesenen Dinge dort den Behauptungen ausgesetzt zu sein, finde ich schon merkwürdig und fragwürdig, und kann nur sagen, wir möchten uns von all so was distanzieren.

    Heinemann: Sollte man die Handelsdaten an der Strombörse künftig veröffentlichen?

    Claassen: Also ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin nicht der Superexperte über die internen Abläufe an der Strombörse, und ich wüsste so aus dem Kopf gar nicht, welche der Transaktionen dort öffentlich zugänglich sind und welche nicht. Das ist auch in meinem Tagesgeschäft nicht mein Thema. Ich gehe davon aus, dass die Governance und die Professionalität und die Abläufe und Richtlinien an der Strombörse vergleichbar ist zu der an anderen Börsen, und ich denke, dass auch die Transparenzgebote ähnlich sein werden. Von daher habe ich auch bis heute keinen irgendwie belegten Vorwurf gesehen, dass die Strombörse nun in punkto Transparenz hinter anderen Börsen weit zurück wäre. Wenn Sie in Frankfurt zehn Aktien kaufen würden an DaimlerChrysler oder an Volkswagen oder einem anderen guten Unternehmen, würden Sie auch nicht wollen, dass Sie mit Namen und Kaufpreis und Kaufdatum am nächsten Tag in der Zeitung stünden.

    Heinemann: Sie haben in dieser Woche in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" im Zusammenhang mit dem EU-Klimagipfel gesagt, in der EU werde unter dem Deckmantel des Klimaschutzes eine negative Industriepolitik gegen Deutschland. Inwiefern und von wem?

    Claassen: Also erstmal: Die EU hat nach meinem Empfinden vier übergeordnete Politikziele im Bereich der Energiepolitik, die ich auch teile, nämlich mehr Wettbewerb, mehr Investitionen, mehr Europa und weniger CO2. Was mir aber fragwürdig erscheint, ist die Form der nationalen Verteilung und Zuteilung der Lasten und Aufgaben, und beim Emissionshandel wurde für Deutschland schon über eine weitere Verschärfung der ohnehin außerordentlich ehrgeizigen CO2-Emissionssenkungsziele diskutiert, als manche anderen Länder noch gar nicht ihre Allokationspläne eingereicht hatten. Und da sage ich mal, wie bei den Ehrgeizigen, bei denen, die mit Vorbild vorangehen wie Deutschland, schon über weitere Verschärfungen diskutiert werden kann, bevor manche andere überhaupt erst mal ihre originären Pläne vorgelegt haben, das zum Beispiel mal erscheint mir außerordentlich fragwürdig, und ich sage auch mal eines: Wenn nun ein Punkt überhaupt nicht teilbar ist und nicht an nationalen Grenzen endet, ist es der Klimaschutz, und 27 nationale Allokationspläne, noch dazu mit sehr unterschiedlichem Ehrgeizcharakter, erscheinen mir sehr fragwürdig. Ich sage noch mal: Wenn es ein europäisches und sogar über Europa hinausgehendes globales Ziel gibt, dann muss es der Klimaschutz sein. Es kann aber nicht sein, dass es eine Zwei- oder Dreiklassengesellschaft gibt in der Frage, wie viel man beiträgt und zu wie ehrgeizigen Zielen man verpflichtet wird.


    Wettbewerbsdruck beeeinflusst Verhandlungen
    Heinemann: Wer hat denn in Brüssel Interesse daran, den Deutschen am Zeug zu flicken?

    Claassen: Ich sage mal, am Zeuge flicken ist vielleicht ein bisschen scharf ausgedrückt. Aber wir leben natürlich, und ich glaube, so realitätsnah muss man sein, in einer Welt, in der auch schon das eine oder andere Land industriepolitische Interessen hat.

    Heinemann: Welches Land?

    Claassen: Weiß ich nicht, also unter 27 gibt es sicherlich ein oder mehr Länder, die ein Interesse haben, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, zur Not zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit anderer. Und ich sage mal, wenn Deutschland zu Zielen verpflichtet wird, die an Ehrgeiz weit über das hinausgehen, was im Durchschnitt Europas sonst vorzufinden ist, und ich sage noch mal, wenn Brüssel uns schon verpflichten will, von den bekannten 465 Millionen auf 453 Millionen Tonnen zu gehen, bevor etliche andere überhaupt mal ihre ersten Ziele genannt haben, dann ist ja völlig klar, dass hier das eine oder andere Land sich selbst von den CO2-Emissionszielen entlasten will, teilweise zu Lasten der deutschen Wirtschaft. Und wenn dabei zu starke Disparitäten entstehen, dann muss man ganz deutlich sagen, dann geht das nicht zu Gunsten des Klimas, denn die Gesamtziele für Europa ändern sich ja dadurch nicht, aber es geht dann zu Lasten der deutschen Wirtschaft, zu Lasten der deutschen Kunden und letztlich auch zu Lasten der deutschen Arbeitsplätze.

    Heinemann: Und zu wessen Gunsten?

    Claassen: Ja, zu Gunsten der Länder, die dabei besser behandelt werden. Für mich ist nicht die Frage, wer kommt hier besser weg? Wir neiden ja anderen Ländern nicht, wenn sie gut dabei wegkommen. Für mich ist die Frage, dass verhindert werden muss, dass Deutschland einseitig industriell benachteiligt wird durch eine Disparität am Ehrgeizcharakter der nationalen CO2-Senkungsziele.


    "Was wir nicht wollen, ist am Ende ein Gesetz, was noch Sex im Dunkeln vorschreibt"

    Heinemann: Zur Klimadiskussion in Deutschland: Gehört die Glühbirne ins Museum?

    Claassen: Also technischer Fortschritt ist das Entscheidende Vehikel zum Klimaschutz, nicht aber überzogener staatlicher Dirigismus, und dass auf dem Wege der technologischen Substitution und der Wettbewerbsfähigkeit neuer Technologien und neuer Produkte, die auch CO2-schonender sind, der Kohlendioxidemissionsabbau gestaltet werden muss, ist klar. Aber ich sage mal, Verbote von Glühbirnen, vielleicht noch eine Vorschrift, zwischen 20 und 20 Uhr darf man auf der Toilette das Licht nicht mehr anmachen und zwischen 230 und 24 Uhr darf man nicht mehr fernsehen, und aus dem Kühlschrank zieht man nachts auch den Stecker raus, ich übertreibe jetzt mal bewusst ein bisschen, ist nicht der Weg.

    Der Klimaschutz ist vorrangiges Ziel. Unser Unternehmen, die EnBW, hat im September, ein halbes Jahr bevor diese Debatte europaweit einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, ja antizipierend und vorausschauend einen in dieser Form noch gar nicht da gewesenen Klimakongress in Berlin stattfinden lassen und ausgerichtet. Also um es klar zu sagen: Der Klimawandel ist eine menschheitsbedrohende Herausforderung, und der Klimaschutz ist gemeinsam mit der Terrorismusbekämpfung unsere wichtigste Aufgabe. Aber: Diese Aufgabe muss gelöst werden durch technologischen Fortschritt und technologische Substitution und nicht dadurch, dass ein Kleinstdirigismus in die letzten Bereiche unserer Privatsphäre hinein stattfindet, und ich sage mal übertrieben, ich denke, was wir nicht wollen, ist am Ende ein Gesetz, was noch Sex im Dunkeln vorschreibt.

    Heinemann: Dann würden allerdings vielleicht wieder mehr Kinder geboren. Das wäre nachhaltige Politik.

    Claassen: Also ob Sex im Dunkeln mehr Kinder bringt als Sex im Hellen, ist, glaube ich, empirisch nicht bewiesen, und vor allem hoffe ich, dass dann nicht noch Aufsichtsmannschaften des Bundesumweltministeriums kommen, um nachzuschauen, ob man das Gesetz auch einhält.

    Heinemann: Das fehlt noch. Herr Professor Claassen, Sie haben vorgeschlagen, Solarenergie in den Wüsten Sahara und Kalahari zu gewinn. Das Problem beim Strom ist der Transport und die Speicherung. Wie sollte das bewerkstelligt werden?

    Claassen: Die Kernaussage, die dahinter steht, ist folgende: Wir alle sind einig darüber, dass wir langfristig nachhaltig in eine globale solare Energiewirtschaft hineinkommen müssen. Der Streit, wie lange jetzt Öl und Kohle und Gas oder auch Uran reichen mögen, ich sage Ihnen offen, ich teile dazu die Daten und Aussagen des Bundesumweltministers nicht, aber das ist auch ein sekundäres Thema, denn egal ob nun die Kernenergie, wie das Bundesumweltministerium sagt, weniger als 100 Jahre oder, wie wir meinen, mehrere Hundert Jahre und möglicherweise auch mehrere Tausend Jahre reichen würden, ist sekundär. Erdgeschichtlich ist das alles nur ein Wimpernschlag. Das ist überhaupt keine Frage, und deshalb, auf Nachhaltigkeit, auf Langfristigkeit ausgerichtet, brauchen wir eine Energiewirtschaft, die regenerativ, die solar, die global regenerativ und solar ist. Die Lösung dafür ist aber nicht Übersubventionierung von Windenergie oder Photovoltaik in Regionen, die dafür gar nicht prädestiniert sind wie bei uns, sondern die Antwort liegt in der Wüste, also die Sonnenenergie da gewinnen, wo auch die geografische Bevorzugung dafür gegeben ist, in der Sahara, in der Kalahari, und diesen Strom dann in New York, in Tokio, in London, in Frankfurt, in Stuttgart einsetzen zu können. Und das heißt, die Zukunft der Energiewirtschaft, wenn wir wirklich fossile Strukturen überwinden wollen, liegt in der Erforschung und Entwicklung angemessener Energiespeicher- und Energietransportmedien, die das ermöglichen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn ein großer Teil des Geldes, der heute teilweise für die Übersubventionierung von Energieformen ausgegeben wird, die bei uns gar nicht nachhaltig wirtschaftlich werden können, wenn das eingesetzt würde, um eben Energieforschung für Speichermedien und Transport angemessen sicherzustellen.

    Heinemann: Professor Utz Claassen, der Vorstandsvorsitzende von Energie Baden-Württemberg. Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.