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Ende der Beschneidungsdebatte gefordert

In Österreich ist die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen juristisch erlaubt. Doch die kontroverse Diskussion in Deutschland hat auch die Alpenrepublik erreicht.

Von Henning Klingen | 02.08.2012
    Vertreter von Judentum, Islam und Christentum sahen sich zu einem außergewöhnlichen Schritt veranlasst: Sie gründeten eine gemeinsame Plattform monotheistischer Religionen und forderten bei einer Presskonferenz gemeinsam die österreichische Regierung auf, ein "klares Bekenntnis zur Religionsfreiheit" abzugeben, die juristische Legitimität zu bekräftigen und die Debatte damit zu beenden. Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien:

    "Wir als Vertreter des Judentums und Islams, der katholischen und evangelischen Kirche fordern: Ohne die Möglichkeit der Religionsausübung gemäß den identitätsstiftenden Traditionen ist muslimisches und jüdisches Leben in Österreich nicht möglich. Die Verunsicherung der österreichischen Bevölkerung jüdischen und muslimischen Glaubens muss ein Ende haben. Die österreichische Bundesregierung ist daher aufgefordert, ein ganz klares Bekenntnis zur Religionsfreiheit und zum Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung abzugeben und damit die rechtliche Zulässigkeit der männlichen Bescheidung aus religiösen Gründen und sicherzustellen."

    Wer die Tradition der Beschneidung infrage stelle, beabsichtige nicht weniger, als die Religionsfreiheit an sich infrage zu stellen, unterstrich auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Fuat Sanac.

    "Die Beschneidung ist ein religiöser Akt und praktiziert wird sie seit Tausenden Jahren, seit dem Propheten Abraham, und seit 1500 Jahren durch die Muslime. Daher ist sie ein Teil der Religion - und dagegen etwas zu unternehmen, ist ein Schlag gegen die Religionsfreiheit. Daher wünschen wir uns, dass diese Debatte friedlich und vernünftig beendet wird."

    Tatsächlich wurde die Debatte in Österreich bislang vor allem durch zwei betont laizistisch auftretende Initiativen befeuert und nicht durch intellektuelle Beiträge geführt: Die "Initiative gegen Kirchenprivilegien" und die Initiative "Religion ist Privatsache". So bezeichnete der Sprecher der Anti-Kirchenprivilegien-Initiative, Niko Alm, Beschneidungen als "illegal", da sie der UN-Kinderrechtskonvention widersprächen. Außerdem müsse Religionsfreiheit vor allem als Schutzrecht des Kindes vor Religion verstanden werden.

    Die Vertreter der Plattform der monotheistischen Religionsgemeinschaften sehen jedenfalls in der Debatte einen vordergründigen Versuch, die Religionsfreiheit an sich einzuschränken und Religionen zu verunglimpfen. So strebt etwa die Initiative gegen Kirchenprivilegien derzeit ein Volksbegehren zum Stopp staatlicher Subventionen für Kirchen und Religionsgemeinschaften an. Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof in Wien:

    "Es ist auffällig, dass nicht generell alle nicht-medizinisch indizierten Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Kindern angegriffen und diskutiert werden. Ich erinnere an das Durchstechen von Ohrläppchen, Impfungen, Tätowierungen, Piercings, an rein ästhetisch motivierte chirurgische Eingriffe und anderes mehr. Daher erhärtet sich aus meiner Sicht der Eindruck, dass sich hinter der Diskussion über die Beschneidung auch Feindseligkeit gegenüber dem Judentum und dem Islam und letztlich gegenüber Religion insgesamt verbirgt. Insofern geht es heute auch um das Grundrecht der Religionsfreiheit."

    Vor einer Kriminalisierung von Juden und Muslimen warnt der Generalsekretär der österreichischen katholischen Bischofskonferenz, Peter Schipka:

    "Eine Änderung der Rechtslage bei der Beschneidung würde Juden und Muslime, die an dieser Tradition festhalten, in die Illegalität abdrängen. Dies wäre nicht nur ein Angriff auf deren Religionsfreiheit, sondern es kann auch Christen nicht unberührt lassen, weil sie sich mit Juden und Muslimen schon durch Abraham verbunden fühlen. Mir bereiten daher alle Versuche sorge, die durch das Kölner Urteil ausgelöste Diskussion auch in Österreich instrumentalisieren und eine feindliche Haltung gegenüber dem Judentum, dem Islam oder der Religion insgesamt fördern."

    Auch wenn ein Verbot der Beschneidung derzeit weder politisch noch rechtlich ein Thema in Österreich ist: Die medialen Wellen gehen weiterhin hoch. Ein Grund: Der vom ehemaligen Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, in einem Zeitungsinterview lancierte Schoah-Vergleich. Ein Verbot der Beschneidung wäre - so Muzicant wörtlich - "dem Versuch einer neuerlichen Schoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes gleichzusetzen - nur diesmal mit geistigen Mitteln". Eine Aussage, die vom amtierenden Präsidenten Deutsch zumindest korrigiert wurde:

    "Ein Beschneidungsverbot wäre eine geistige Vertreibung von Juden und Muslimen. Aber lassen sie mich ganz klarstellen: Wir lassen uns hier nicht vertreiben. Es gibt keinen Grund, Beschneidung, wie wir Juden seit Tausenden Jahren als Zeichen unseres Bundes mit Gott durchführen, hier zu verbieten. Sie sind in Österreich völlig legal."

    Nicht bekannt ist im Übrigen die genaue Zahl religiös motivierter Beschneidungen in Österreich. Die Wiener Kultusgemeinde führt nach eigenen Angaben rund 150 Eingriffe pro Jahr durch, in den anderen Bundesländern dürfte die Zahl weitaus geringer sein. Mit keinen konkreten Zahlen kann die Islamische Glaubensgemeinschaft aufwarten. Statistisch erhoben ist allein die Zahl der medizinisch indizierten Beschneidungen in den österreichischen Krankenhäusern. Ihre Zahl beläuft sich auf rund 6500 pro Jahr.