Freitag, 19. April 2024

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Ende der Mars-WG
"Ich genieße, wieder in der Freiheit zu sein"

Ein Jahr lang hat eine Gruppe von Forschern das Leben auf dem Mars simuliert. Auch die deutsche Geophysikerin Chistiane Heinicke war eine der Versuchspersonen in dem Habitat auf Hawaii. Die große Fragestellung sei gewesen, wie eine Gruppe in der Abgeschiedenheit klarkomme und wie sich die Gruppendynamik entwickele, sagte die Forscherin im DLF.

Christiane Heinicke im Gespräch mit Arndt Reuning | 20.09.2016
    Die promovierte Physikerin Christiane Heinicke
    Christiane Heinicke ist promovierte Physikerin (picture alliance / dpa - dpa-Zentralbild)
    Arndt Reuning: Die Geophysikerin Dr. Christiane Heinicke hat gerade ein Jahr lang auf dem Mars gelebt und geforscht. Zusammen mit fünf anderen Personen hat sie eine kleine Raumstation bewohnt und die Umgebung erkundet, stets natürlich im Raumanzug. Allerdings stand diese Station, dieses Habitat, nicht wirklich auf dem Roten Planeten, sondern an einer Flanke des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii. Vor ungefähr drei Wochen hat sie die künstliche Umgebung nun wieder verlassen. Vor der Sendung habe ich mit ihr telefoniert. Ich wollte wissen, ob sie sich denn wieder an das Leben auf der Erde gewöhnt habe.
    Christiane Heinicke: So richtig noch nicht, das ist alles noch ein bisschen fremdartig, ein bisschen ungewohnt, aber auf jeden Fall genieße ich, wieder in der Freiheit zu sein und immer rausgehen zu können, wann immer ich Lust habe.
    Reuning: Wie kann ich mir denn dieses Pseudomarshabitat vorstellen? Auf Bildern sehe ich ein Gebilde, das wie ein großes Iglu aussieht.
    Heinicke: Genau, so sieht es dann außen tatsächlich aus, und innen sind dann verschiedene Räume aufgeteilt: Im Erdgeschoss gibt es einen großen Gemeinschaftsraum, der etwa die Hälfte des Bodens der Kuppel einnimmt, und dann gibt es noch eine Küche und einen Essbereich, und an der Seite steht ein Lagercontainer, in dem unsere ganzen Vorräte untergebracht waren, und dann im zweiten, im Obergeschoss waren unsere Privaträume sozusagen, also kleine, winzige Kämmerchen, in denen wir dann ein Bett zur Verfügung hatten und einen Schreibtisch.
    Reuning: Und wie sah denn der typische Tagesablauf in diesem Habitat aus, falls es so etwas überhaupt gab?
    Heinicke: Genau, falls es so etwas gab. Wir sind alle zu unterschiedlichen Zeiten aufgestanden. Manche waren eher Frühaufsteher, die waren dann schon um fünf und sechs unterwegs. Ich selber bin eher so erst um neun aufgestanden, dann meist erst mal am Computer gearbeitet, dann später vielleicht noch an Experimenten rumgeschraubt, rumgebastelt oder eben noch weiter am Computer gearbeitet, also nicht ganz so unterschiedlich zu dem, was man auch auf der Erde tut, und an drei, vier Tagen der Woche haben wir Experimente durchgeführt für die Wissenschaftler, für die wir als Versuchskaninchen überhaupt dort waren. Ganz wichtig war dann am Abend das Abendessen, 6:30 Uhr haben wir uns alle zusammengesetzt und den Tag besprochen, was so vorgefallen ist, was so die ganze Gruppe betraf. Dann gab es noch zwei Ausnahmen: Wir sind mittwochs und samstags häufig auf Außeneinsätze gegangen, und die haben natürlich ein bisschen mehr Zeit in Anspruch genommen, und da waren wir dann bis zu sechs Stunden unterwegs.
    Reuning: Was war denn der Zweck dieser außerirdischen WG, also was wollten diese Wissenschaftler damit herausfinden?
    Heinicke: Die große Fragestellung war, wie eine Gruppe in Abgeschiedenheit und isoliert vom Rest der Welt miteinander klarkommen kann und wie sich die Gruppendynamik entwickelt und insbesondere wie sich diese Gruppendynamik dann auf die Leistungsfähigkeit der Gruppe auswirkt.
    "Natürlich gab es immer mal Reibereien"
    Reuning: Ein Jahr, das kann ja eine lange Zeit sein. Wie hat sich denn das Miteinander bei Ihnen auf diesem Außenposten im Laufe des Jahres entwickelt?
    Heinicke: Gute Frage. Ich meine, bei sechs Leuten auf engem Raum über ein ganzes Jahr lassen sich Konflikte natürlich nicht vermeiden. Das ist ganz klar. Unsere Herausforderung war dann quasi, die Konflikte, die aufgetreten sind, so früh wie möglich und so ruhig wie möglich anzusprechen, sodass die gar nicht erst eskalieren konnten, und ich denke, das haben wir auch ganz gut hingekriegt. Natürlich gab es immer mal Reibereien. Es gab Diskussionen, die immer wieder aufgetreten sind, auch gerne immer zu denselben Themen, aber wir haben es trotzdem geschafft, über das ganze Jahr hinweg ständig noch weiter zusammenzuarbeiten.
    Reuning: Was haben Sie denn persönlich als die größte Herausforderung während dieser Zeit erlebt?
    Heinicke: Eine große Herausforderung für mich war physischer Natur. Wenn Sie zu Hause sind, ich sage mal, auf der Erde zu Hause sind, Sie gehen zur Arbeit, Sie gehen einkaufen, vielleicht gehen Sie auch mal mit Freunden weg, Sie sind ständig unterwegs, Sie bewegen sich ständig. Wenn man die ganze Zeit im Habitat sitzt, praktisch die ganze Zeit nur zu Hause, dann fehlt diese Bewegung. Es muss nicht immer notwendigerweise Sport sein. Einfach nur durch die Gegend laufen, mal hier fünf Minuten, dort zehn Minuten, da mal eine halbe Stunde, und das fehlte uns. Ich meine, drei Schritte, dann war ich am Arbeitsplatz. Fünf weitere Schritte und ich war in der Küche. Diese Bewegungsfreiheit, die man auf der Erde normalerweise hat, die fehlte so ein bisschen.
    Reuning: Also so eine Art Habitatskoller.
    Heinicke: Genau! Da kann man dann nur viel Sport treiben und auf Außeneinsätze gehen, um dem entgegenzuwirken.
    Reuning: Hatten Sie auch Freizeit?
    Heinicke: Ein bisschen, ab und zu mal. Wir hatten die Experimente durchzuführen für die beteiligten Wissenschaftler, und wir hatten auch viele eigene Projekte mitgebracht. Wissenschaftliche Projekte, aber auch so Projekte, wo es einfach nur darum ging, irgendetwas zu lernen. Ich habe zum Beispiel versucht, Mundharmonika zu lernen. Ein Kollege hat Ukulele gelernt. Ich glaube, das größte Problem, das man haben kann in dieser Abgeschiedenheit, ist Langeweile. Wobei ich habe in dem ganzen Jahr, ich glaube, zwei Bücher gelesen.
    Reuning: Das waren welche?
    Heinicke: Das war "Der Marsianer" und das Zweite weiß ich gar nicht mehr. Da ging es um irgendwas Geologisches.
    Reuning: Aber "Der Marsianer" ist ja schon mal sehr passend.
    Heinicke: Genau!
    Reuning: Sie haben an einem Projekt gearbeitet, da ging es um die Wasserversorgung, habe ich auf Ihrem Blog gelesen?
    Heinicke: Genau, ich hatte ein Projekt, bei dem es darum ging, Wasser aus dem Boden zu gewinnen, und das kann man sich so vorstellen, ich habe einfach die Sonneneinstrahlung genutzt, die Wasser aus dem Boden verdampft hat und dann ein kleines Konstrukt gebaut, das ein bisschen so aussah wie ein Gewächshaus, obwohl es natürlich kein Gewächshaus war, das dann diesen Wasserdampf aus dem Boden aufgefangen hat.
    "Ich habe eine Zeit lang Bäume vermisst"
    Reuning: Wenn man auf dem Mars ist sozusagen, gibt es dann so etwas wie Heimweh nach der Erde?
    Heinicke: Auf dem echten Mars, ich denke schon. Ich meine, man sieht ständig nur Gestein, und ich meine, der Mars ist in vielerlei Hinsicht komplett anders als die Erde. Auf dem simulierten Mars dagegen – also ich hatte kein Heimweh. Allerdings so die Sachen, bei denen ich mir vorstellen könnte, dass man die tierisch vermisst, sind zum Beispiel der blaue Himmel oder vielleicht mal Wolken am Himmel oder möglicherweise, ich habe eine Zeit lang Bäume vermisst. Allerdings konnte ich dem dann mit Filmen und Virtual Reality entgegenwirken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.