Donnerstag, 28. März 2024

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Endlich mal erklärt
Hat die Oper etwas mit dem echten Leben zu tun?

Menschen, die einander ansingen statt zu reden, seltsame Kostüme, Bühnenwelten und Konflikte - die Oper ist ein absurdes Ding, sagte Richard Strauss einmal. Und trotzdem gehen viele Menschen hin. Irgendwas muss das Musiktheater mit dem Leben zu tun haben - aber was?

Von Jörn Florian Fuchs | 31.03.2020
Szene aus Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Die Zauberflöte" im Deutschen Nationaltheater in Weimar − ein Klassiker seit Goethes Zeiten
Paralleluniversum Oper? Mozarts "Zauberflöte" am Deutschen Nationaltheater in Weimar (dpa / picture alliance / Martin Schutt)
Am Anfang der Gattung Oper stehen mythische Gestalten: Orpheus, der seine Geliebte aus der Unterwelt befreit, indem er durch Gesang wilde Tiere und grimmige Wächter bezirzt.
Ein Sänger auf der Opernbühne, der wunderbar singt - klingt irgendwie logisch. Auch antike Gottheiten und Fabelwesen wirken als Opernfiguren plausibel. Mit der Zeit eroberten dann aber auch "reale" Charaktere die Bühne: böse und gute Herrscher, Liebespaare, kriegslüsterne Soldaten, zerstrittene Familien.
"Ein unmögliches Kunstwerk"
Mit anderen Worten: Alles, was Leben ausmacht, ist nun auch auf der Bühne zu finden. Richard Strauss fasst in seinem Stück "Capriccio" die eigentliche Unmöglichkeit dieses Unterfangens schön zusammen:
"Die Oper ist ein absurdes Ding, Befehle werden singend erteilt, über Politik im Duett verhandelt, man tanzt um ein Grab, und Dolchstiche werden melodisch erteilt."
Der berühmte Opernexperte Oskar Bie meinte sogar:
"Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk, weil sie in allen Künsten dilettiert."
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Endlich mal erklärt: Ein Blick hinter die Profisprache der Kunst
Jede Szene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie praktisch sind, griffig und zutreffend. Spezialsprachen verbinden die Wissenden und schließen den Rest aus. Wir erklären endlich mal die Kernbegriffe der Kultur-Spezialsprachen.
Lässt man sich auf diese Unmöglichkeit ein, läuft die Sache. Schwieriger wird es, wenn verzweifelt versucht wird, Realität abzubilden. Oder wenn behauptet wird, auf der Bühne gehe es authentisch zu.
In den 1980er-Jahren entstand das Genre der sogenannten CNN-Oper. John Adams' "The Death of Klinghoffer" etwa erzählt eine wahre Begebenheit nach, fügt aber zum Beispiel durch den Einsatz von Chören eine Meta-Ebene ein.
Inszenierung und Selbst-Bewusstsein
Eigentlich sind jene Werke am gelungensten, die mit verschiedenen Ebenen spielen. Auf der Regieseite wiederum überzeugen meist Deutungen, die bei besonders schwierigen, pathetischen, opulenten Stoffen thematisieren, dass wir alle gerade eine Inszenierung erleben. Das kann eine hinzuerfundene Rahmenhandlung sein, ein leichtes Ironisieren, eine Distanzierung im Sinne von Brechts Epischem Theater.
Claus Guth, Peter Konwitschny gelingt hier oft Spektakuläres. Das unmögliche Kunstwerk Oper heute adäquat zu inszenieren, bedeutet also, es sowohl ernst zu nehmen, als auch ein wenig Abstand zu halten: zu wissen, dass da keine Realität abgebildet wird. Aber auch, mit realistischen Momenten zu spielen.
Dann wird Oper lebendig, obwohl sie mit dem echten Leben wenig zu tun hat.