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Endlich schmerzfrei?

Wenige Stunden nach der Amputation eines Körperteils organisiert sich der Bereich in der Hirnrinde, der für das entsprechende Gliedmaß zuständig ist, neu. Dieser Bereich im so genannten motorischen Kortex verkleinert sich. Dafür erhält ein für ein anderes Körperteil reservierter Raum mehr Platz. Nun arbeitet ein französisches Forscherteam an einer Reha-Maßnahme für den Kortex, die auf optischer Täuschung beruht. Und damit gelingt es auch, den so genannten Phantomschmerz zu bekämpfen. Denn der entsteht im Kopf in dem Bereich der Hirnrinde, die für das amputierte Körperteil zuständig ist.

Von Suzanne Krause | 06.04.2004
    Der Fall des Franzosen Denis Chatelier ging im Jahr 2000 um die ganze Welt - ihm, der beide Hände bei einem Unfall verloren hatte, wurden die fehlenden Gliedmaßen in einer spektakulären Operation in Lyon transplantiert. Vor und nach dem Eingriff konnten Forscherin Angela Sirigu und ihr Team mit Magnet-Resonanz-Aufnahmen das Hirn des Patienten durchleuchten. Und sie stellten fest: vor der Transplantation hatte sich die Aktivität des Hirnbereichs, der für die Hände zuständig ist, vehement verringert, dafür war der für das Gesicht reservierte Bereich aktiver geworden. Nach der Transplantation fanden die Aktivität in beiden Hirnbereichen zur normalen Frequenz zurück. Angela Sirigu vom Institut für kognitive Wissenschaften in Lyon:

    Die Plastizität, die Neustrukturierung der Aktivitäten der äußeren Hirnrinde lässt sich mittels einer Transplantation wieder umkehren. Wir haben nun festgestellt, dass sogar eine optische Täuschung ausreicht, damit die Kortex ihre ursprüngliche Struktur wieder findet. Wir haben Versuchspersonen, denen ein Arm fehlte oder deren Arm nicht mehr funktionierte, Bilder ihrer Hand in Bewegung gezeigt - der Hand, die de facto fehlt. Allein dass sie diese Hand in Aktion sahen, führte bei den Versuchspersonen zu Veränderungen im Hirnbereich.

    Für die Versuchsreihe bastelte das Wissenschaftlerteam eine spezielle Reha-Apparatur: Der Patient sitzt an einem Tisch und bewegt seine gesunde Hand auf der Tischplatte. Eine Digitalkamera zeichnet die Bewegung auf, der angeschlossene Computer sorgt dafür, die Bilder seitenverkehrt an einen Projektor weiterzuleiten. Eine Leinwand ist so vor dem Patienten montiert, dass der den Armstumpf oder die nicht funktionierende Hand darunter verbergen kann - auf diese Leinwand projiziert werden dann die getürkten Bilder dieser Hand in Bewegung. Der Patient erliegt der Illusion, seine fehlende Hand in Aktion zu sehen. Bei der ersten Versuchsreihe wurden so 3 Patienten 8 Wochen lang mit dieser experimentellen Reha-Maßnahme behandelt. Alle drei litten vorher unter solch heftigen Phantomschmerzen, dass sie regelmäßig Morphium nahmen. Zwei der Versuchspersonen konnten nach der Behandlung ihr Schmerzmittel komplett absetzen. Bei der dritten Versuchsperson, die den Gebrauch ihres Arms schon viel länger als die beiden anderen verloren hatte, wurden immerhin spürbare Verbesserungen erzielt. Und die Veränderungen im Hirnbereich sind auch ein halbes Jahr später noch nachzuweisen.

    Wir haben folgende Hypothese betreffs des Phantomschmerzes: das Gehirn reagiert, weil es einen Fehler feststellt. Wenn ein Mensch mit seinem amputierten Gliedmass eine Bewegung ausführen will, sendet sein Hirn eine entsprechende Botschaft an die Muskeln. Die aber geben keine Rückmeldung. Das Hirn registriert somit eine Fehlermeldung. Und diese Fehlermeldung kann Auswirkungen haben auf den Hirnbereich, der für das Schmerzempfinden zuständig ist. Mit unserer Methode der optischen Täuschung wollen wir nun einfach dem Hirn vorgaukeln, dass alles in Ordnung sei. Das Gliedmaß ist noch da und kann bewegt werden. Damit vermitteln wir dem Körper den Eindruck von Kohärenz, der dem von ihm gespeicherten Körperschema entspricht. Wenn das Bild stimmt, produziert der Körper keinen Schmerz.

    Angela Sirigu testet derzeit, ob die Methode der optischen Täuschung auch Erfolg zeigt bei Patienten, deren Lähmung auf Verletzungen im Hirnbereich selbst zurückgehen. Und seit der Veröffentlichung ihrer ersten Arbeit wird sie von Patientenanfragen sozusagen überrollt. Doch um die von ihr entwickelte Reha-Methode an Kliniken zugänglich zu machen, fehlt das Geld. Ebenso wie dafür, ihre Forscherarbeit in effizienter Weise vorantreiben zu können.