Samstag, 20. April 2024

Archiv


Endlose Selbstfindungskrise

Die vorläufig letzte Staffel von "Life and Times" des Nature Theater of Oklahoma sollte unter Mitwirkung spielwütiger Berliner über die Bühne des Hebbel-Theaters gehen. Aber mehr als den lustigen Akzent hatten sich die Amerikaner von den Eingeborenen nicht abgeschaut.

Von Gerd Brendel | 11.07.2013
    Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma
    Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma (dpa / picture alliance / Eventpress Hoensch)
    Berliner Sommer: Hitze und Gewitter. Da bietet das Festival "foreign affairs" Fluchtmöglichkeiten in Theaterträume und in die Luftschlösser utopischer Schwerelosigkeit. Und das ganz wörtlich: Der Choreograf William Forsythe hat seine "white bouncy castle", eine riesige weiße Hüpfburg, in einem alten Lokschuppen aufgeblasen und lässt kulturbeflissene Besucher wieder zu fröhlich herumtollenden Kindern werden. Was den einen der Traum vom ersten Salto, ist den anderen der Traum vom eigenen Theater.

    Den kann sich das US-amerikanische Theaterkollektiv "Nature Theater of Oklahoma" während des Festivals im HAU 1, im alten Hebbel-Theater erfüllen.

    "”Heute machen wir eine Barbecue-Party für alle Leute, die bei uns mitmachen wollen. Unser Name: "Nature Theater of Oklahoma" kommt ja aus Kafkas Roman "Amerika". Und wie im Roman das "Nature Theater of Oklahoma" allen eine Rolle verspricht, wollen wir heute mit einem Theater für alle beginnen.""

    Die Aussicht auf Hamburger vom Grill und eine Rolle in einem Film oder dem neuen Stück des "Nature Theater of Oklahoma" lockten zur Festival-Eröffnung vor knapp zwei Wochen ein paar Hundert Berliner nach Kreuzberg. Welche Geschichten Pavol Liska und Kelly Copper mit den Berliner Laien-Darstellern erzählen wollen?

    "”I don’t have a specific story in mind.”"

    Gar keine Geschichte, das stimmt natürlich nicht. Seit Jahren erzählt das "Nature Theater of Oklahoma" die banalen Erinnerungen eines US-amerikanischen weißen Mittelklasse-Mädchens in mehreren Theaterabenden nach, mal als Broadway-Musical-Karikatur, mal als Trickfilm, mal als Tagebuch mit den gezeichneten Sexfantasien der pubertierenden Heldin. Zum Festival präsentiert die hochgelobte Theatergrupppe aus New York zum ersten Mal das mehrteilige Werk "Life and Times" in seiner Gesamtheit.

    Matthias von Hartz: "Ich glaube, die Art und Weise, wie "Nature" über die Produktion von Realität auf der Bühne nachdenkt, das hat wenig mit Fiktion und sehr viel mit realer Anwesenheit auf der Bühne zu tun."

    Dabei sieht Festivalkurator Matthias von Hartz Gemeinsamkeiten zwischen den Choreografien von William Forsythe, dem zweiten Schwerpunkt und den anderen Tanz-, Performance- und Musik- Aufführungen:

    "Ich würde immer sagen, Theater als Ort, wo wir über unsere Gesellschaften, über unsere Leben nachdenken. Idealerweise machen wir das nicht nur in Essays, sondern wir machen es auch in utopischen Bildern."

    Utopische Bilder gibt es auf diesem Festival eine Menge zu sehen. Bilder von einem Theater, in dem Geschichten nicht mehr erzählt werden, sondern das Publikum wie in einen Strudel mit hineingezogen werden in Traumwelten. Zum Beispiel bei Philippe Quesne. In seinem melancholischen Dschungel-Camp namens Swamp Club organisierten traurige Heinzelmännchen eine Art alternative Wellness-Oase für gestresste Wohlstandstouristen. Am Ende rollen Planierraupen an, die Bühne wird leergeräumt. Und die Zwerge verschwinden in einer Höhle um auf bessere Zeiten zu warten.

    Die besseren Zeiten, bei Pere Fauras "striptease-performance" sind sie zum Greifen nah. Zum Schießen komisch zerpflückt er erst den Voyeurismus der Zuschauer um diese dann zu Komplizen einer Hulla-Hoop-Porno-Nummer zu machen. Deren Begeisterung steckt die anderen Festival-Besucher nach der Show an. Es wird ein langer Berliner Sommerabend auf der Terrasse vor dem Festivaltheater, mit Tänzern, alten Freunden und neuen Bekannten. Theater und das wirkliche Leben – die Grenzen verschwinden.

    Die Erwartungen waren also hoch, als dann gestern abend die vorläufig letzte Staffel von "Life and Times" des Nature Theater of Oklahoma im alten Hebbel-Theater über die Bühne gehen sollte, unter Mitwirkung spielwütiger Berliner – so die Ankündigung. Aber Fehlanzeige, statt Lokal-Geschichten bekam das Publikum ein Ensemble in der Selbstfindungskrise geboten: Das einzige, was sich die zugegeben großartigen Darsteller, allen voran Anne Gridley, von den Berlinern abgeschaut hatten, war der lustige Akzent.

    Das trägt für gefühlte zehn Minuten, aber dann wird man des endlosen selbst-referentiellen Geplappers leid. Die internen Probleme der Gruppenmitglieder untereinander vorgetragen mit großer Staatstheater-Pose. "Eine Menge erste-Welt-Probleme" flüstert meine Sitznachbarin und gähnt. Was als großes neues interaktives Theaterexperiment angekündigt war, entpuppte sich als Etikettenschwindel.