Donnerstag, 28. März 2024

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Endstation Acker
Plastik auf dem Land

Seit Jahren wird diskutiert, was die Plastik-Verschmutzung in den Ökosystemen der Meere anrichtet. Dabei sammelt sich das meiste Plastik an Land. Allein durch das Ausbringen von Klärschlamm gelangen weltweit einige Hunderttausend Tonnen Mikroplastik in die Böden. Es steckt in Äckern, im Kompost, in Hühnermägen und im Kot der Regenwürmer.

Von Tomma Schröder | 02.09.2018
    Ein Trecker düngt ein Feld mit Gärresten aus einer Biogasanlage
    Mikroplastik ist heute in unserer Landschaft allgegenwärtig (dpa/Patrick Pleul)
    Es ist ein kleines Paradies, das Hans-Jürgen Bernitt sich geschaffen hat. Überall leuchtet es gelb, rot, lila, grün. Die Blumen überbieten sich an Farbenpracht und Duft. In einem Hochbeet wachsen in schnurgeraden Reihen Kopfsalat, Zwiebeln, Rucola und Mangold. Doch es gibt da etwas, das dem Landschaftsgärtner zunehmend Sorge bereitet. Hans-Jürgen Bernitt greift sich eine Handvoll Erde aus dem Hochbeet und wühlt mit einem Finger darin herum.
    "Sie können hier ja mal gucken. Hier sehen Sie? Hmh, das ist Hartplastik. Hier auch. Das ist jetzt nur das, was an der Oberfläche ist."
    "Da kann man dann ganz gut erkennen, was die Leute da alles wegschmeißen. Hier wieder eine Flasche."
    "Richtig wach geworden bin ich, nachdem ich für einen guten Kunden sechs Kubikmeter Boden liefern sollte. Und ich habe dann Boden bestellt, einen ganzen Container voll. Und der ist angeliefert worden und verteilt worden, und nach drei Wochen rief mich der Kunde an: "Mensch wir haben schon drei Eimer Plastik aussortiert. Dann wird es plötzlich bunt in der Rabatte. Und zwar nicht von den Blumen, sondern von dem Kunststoff, ne. Ja, man ist in einem Gewissenskonflikt. Soll man das noch verbauen?"
    Plastikproduktion weltweit:

    1950: 2 Millionen Tonnen
    2015: 322 Millionen Tonnen
    Gesamtmenge bis 2015: geschätzt über 6 Milliarden Tonnen
    Davon wurden: 9% recycelt, 12% verbrannt, 79% landeten auf Mülldeponien oder gelangten in die Umwelt.
    Die Zahlen sind nicht neu. Wir wissen, dass weltweit viel zu viel Plastik in die Umwelt gelangt, dass es in den Ozeanen riesige Müllstrudel gibt und das Mikroplastik in Gewässern zunimmt. Aber was eigentlich passiert mit dem Plastik an Land? Gelangt in Deutschland überhaupt nennenswert Plastik in die Umwelt, wenn doch 38 Prozent der Kunststoffabfälle recycelt, 61 Prozent verbrannt werden und nur ein Prozent auf Mülldeponien landet?
    "Man muss ja wirklich feststellen, dass Plastik heute in unserer Landschaft omnipräsent ist. Wir filtern das, glaube ich, irgendwie im Gehirn alle regelmäßig weg, und nehmen das allenfalls unbewusst wahr. Wenn man aber durch einen solchen Vorfall sensibilisiert wird, öffnen sich einfach nochmal mehr die Augen, und dann wird man nochmal sensibler für die Dimensionen."
    Im Kreishaus Schleswig, vierter Stock, Zimmer 420 sitzt Thorsten Roos. Der Leiter des Fachbereiches Umwelt hat in den letzten Monaten zahlreiche Überstunden angehäuft. Der Grund dafür ist ein denkwürdiger Umweltskandal an der Schlei, einem Ostseearm. Bereits 2016 meldete eine Anwohnerin ungewöhnliche Plastikfunde. Doch die Umweltpolizei ging damals davon aus, dass das Plastik aus der Ostsee angeschwemmt wurde und wies die Anwohnerin an, den Müll selbst zu beseitigen.
    "Dann war wirklich zwei Jahre lang Ruhe – keinerlei Hinweise weder aus der Bevölkerung noch von Urlaubern. Dazu muss man wissen, dass nahezu in Rufweite dieses Klärwerks ein stark frequentierter Badestrand ist. Auch der zuständige Ingenieur für die Kläranlage in Schleswig wohnt genau dort an diesem Badestrand und hat selbst nichts festgestellt."
    Erst 2018 ging man einem weiteren Hinweis nach. Und plötzlich fand sich das Plastik überall. Im Wasser, an der Uferbereichen und auch auf Äckern. Mehrere Tonnen Plastik sind in die Schlei gelangt. Wie viel genau, weiß bis heute niemand.
    Durch mangelhafte Klärstufen in die Schlei
    Es dauerte auch eine Weile, bis die Stadtwerke Schleswig als Quelle für die Verschmutzungen ausgemacht werden konnten. Lebensmittel waren mitsamt ihrer Verpackung geschreddert worden. Die Stadtwerke hatten sie von dem Entsorgungsunternehmen Refood bekommen und fügten sie dem Klärschlamm als Biomasse hinzu, um so im Faulturm mehr Energie erzeugen zu können. Von hier aus wurden sie durch mangelhafte Klärstufen hinaus in die Schlei gespült.
    Der Schlamm, der nach der Vergärung im Faulturm übrig blieb, wurde teilweise in die Landwirtschaft gegeben. Wie viel Plastik in diesem Schlamm war, könne man nicht mehr feststellen, sagt Thorsten Roos.
    "Und zwar können wir das deswegen nicht, weil für die Klärschlammchargen, die zwischenzeitlich auf den Äckern ausgebracht wurden, keine entsprechenden Untersuchungen erfolgten, weil es schlicht nicht zum Überprüfungsmodus gehört. Der Gesetzgeber ist bislang davon ausgegangen, dass Klärschlamm frei von solchen Partikeln ist. Wir waren dafür schlicht nicht sensibilisiert."
    Wärmegewinnung aus dem Belebungsbecken des Entsorgungsverbands Saar.
    Bis zu 0,5 Prozent darf der Fremdstoff-Anteil im Klärschlamm betragen (imago/Becker&Bredel)
    Solange Klärschlamm nicht mehr als 0,5 Prozent Fremdstoffe enthält, darf er als Düngemittel in die Landwirtschaft abgegeben werden. Genau das ist auch passiert. Zum Beispiel bei Jörg Mau.
    "Da wo jetzt das Getreide steht?" "Ja!"
    Der Landwirt steht vor einem rund vier Hektar großen Getreidefeld bei Schleswig.
    "Das ist eben eine Fläche, da ist letztes Jahr im August/September Klärschlamm gefallen hier aus dem Klärwerk Schleswig. Und da ist dann eben auch der Kreis hier gewesen und hat nach Plastikteilen gesucht. Aber das – auf so einer Fläche und in diesem Klärschlamm, das wird ja so minimal so wenig ausgebracht, dass das schwer ist zu finden."
    "Das ist natürlich wirklich die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, das war mir natürlich auch vollkommen bewusst. Denn wenn man davon ausgeht, bis zu fünf Tonnen Klärschlamm pro Hektar. Das wird ganz dünn verteilt und wenn das dann 0,3 Prozent beispielsweise Plastik beinhaltet, dann ist es ja fast wie ein Sechser im Lotto, dann auch Plastikpartikel zu finden.
    Auch im nordfriesischen Ahrenshöft hatte das Unternehmen Refood einer Biogasanlage geschredderte Lebensmitteln geliefert. Auch das war völlig legal. Ein Landwirt brachte die Gärreste auf seiner Wiese aus. Obwohl die Verunreinigungen mit bloßem Auge sichtbar sind, kann der Kreis laut Sprecher Martin Slopianka nichts tun.
    "Diese Wiesen haben wir angesehen und haben festgestellt, dass da zwar Plastikschnipsel liegen, die sicherlich nicht in die Umwelt gehören nach der Ansicht der meisten Bürger, würde ich vermuten. Aber das, was da liegt, das ist nicht so viel, dass es der Bioabfallverordnung des Bundes widersprechen würde. Es ist gesetzeskonform, und damit müssen wir zufrieden sein."
    Mit Klärschlamm auf die Felder
    Wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, sind unsere Klärwerke beim Filtern von Mikroplastik gar nicht so schlecht: Rund 90 Prozent der winzigen Plastikteilchen, die laut Definition nicht größer als fünf Millimetern sind, können heute schon aus dem Abwasser herausgefiltert werden. Diese Partikel landen dann im Klärschlamm. Doch selbst die besten Filter für Mikroplastik nützen wenig, wenn die aufgefangenen Reste später mit dem Klärschlamm wieder auf dem Feld landen.
    "Wir haben uns gefragt: Wie kann Mikroplastik an Land in die Umwelt gelangen? Bisher wurde ja fast immer über die Meeresumwelt gesprochen. Und dann schauten wir uns die Klärschlämme an", sagt Luca Nizzetto. Er forscht am Norwegian Institut of Water Research in Oslo.
    "Und ungefähr die Hälfte dieser Schlämme wird in Europa als Dünger in der Landwirtschaft genutzt – und dabei reden wir über mehrere Hunderttausend Tonnen. Daraus können wir ganz einfach die Menge an Mikroplastik errechnen, das in landwirtschaftliche Böden gelangt: es sind zwischen 60.000 und 400.000 Tonnen pro Jahr! Das entspricht in etwa der Menge des gesamten Mikroplastiks, das auf unseren Ozeanen schwimmt. Das heißt die Äcker müssen ein sehr großes Lager für Mikroplastik sein."
    Mikroplastikteilchen, entnommen aus Wasserproben, liegen am 07.08.2014 in Lauffen am Neckar 
    Kleine Teilchen, große Gefahr: Mikroplastik (picture alliance / dpa / Inga Kjer)
    Auch für Nordamerika errechneten Nizzetto und sein Team 44.000 bis 300.000 Tonnen pro Jahr.
    "Es ist nicht so leicht, empirische Daten zu erheben, weil die Analysemethoden für Mikroplastik im Boden noch nicht ausgereift sind, und es im Moment noch mehrere Stunden braucht um eine Probe auszuwerten. Aber wir haben auch Klärschlammproben untersucht, die nicht unbedingt das angenehmste Material sind, das man im Labor haben kann. Und wir haben herausgefunden, dass dort sehr große Mengen an Mikroplastik drin sind. Damit bestätigen unsere Untersuchungen auch die Ergebnisse vorangegangener Studien."
    Rechnet man auf ganz Norwegen hoch, was die Wissenschaftler gefunden haben, so ergibt sich eine Summe von etwa 500 Milliarden Mikroplastikteilchen, die durch diese Praxis jedes Jahr in die Umwelt gelangt.
    "Man merkt schon am Geruch, man kommt dem Ganzen näher."
    "Also aus meiner Sicht ist die Vorreinigung der einzige Bereich, der wirklich unangenehm ist – deswegen halten wir uns da auch nicht so lange auf."
    Was irgendwann einmal in der Stadt die Toilette heruntergespült wurde, kommt hier im Klärwerk Flensburg wieder zu Tage. Der Geruch ist faulig und intensiv – aber noch weniger schlimm, als man es vielleicht erwarten würde.
    "Hier kommt das Wasser, das verteilt sich hier auf zwei Straßen und läuft dann hier durch eine Rechenanlage."
    Toilettenpapier, Zahnseide, Bonbonpapier, Kondome
    Der Rechen, der aus vielen dicht nebeneinander liegenden Stäben besteht, filtert die größeren Stückchen heraus: eine beige-braune Masse, in der nicht nur Unmengen an feuchtem Toilettenpapier, sondern auch Zahnseide, Bonbonpapier und sehr viele Kondome ins Auge fallen.
    "Da ist natürlich, wie man hier schon sieht, viel Kunststoff mit drin. Das ist auch der Hauptaustragspfad für große Kunststoffe."
    Alles andere gelangt in weitere Klärstufen, bis am Ende erstaunlich klares Wasser auf der einen und Klärschlamm auf der anderen Seite entstanden ist.
    "Wir gehen mal hin und ich hol mal ne Schippe, dass wir uns das mal eben angucken können."
    Jens Eggers von der Kläranlage Flensburg nimmt eine Schaufel recht trockenen und bröseligen Klärschlamm aus dem Container.

    "Ah, ja, hier riecht es jetzt schon aromatischer."
    "So sieht das dann aus. Das ist natürlich auch noch so Faserstoffe wie hier drin. Das ist auch eher Faser. Da ist was Blaues irgendwie, Da haben sie dann mal, das ist von einem Kunststoffverschluss, das ist dann hier eher wieder so Klopapier, Pflaster kann es auch sein, oder auch ein Putzlappen. Aber in dieser Struktur erkennen Sie jetzt Mikroplastik überhaupt nicht mehr. Es ist wahrscheinlich irgendwie innen drin, aber als solches nicht mehr zu erkennen."
    Landwirt fährt mit einem Güllefasss bei Sonnenaufgang über ein angefrohrenes Rapsfeld.
    In Schleswig-Holstein erhalten Bauern mittlerweile pro Hektar etwa 100 Euro für die Ausbringung von Klärschlamm (imago / Marius Schwarz)
    Bisher ist der ganze Klärschlamm, der unter anderem wertvollen Phosphor und Kalk enthält, aus der Flensburger Anlage in der Landwirtschaft gelandet. Doch zuletzt wurde es zunehmend schwieriger Abnehmer zu finden. Die Landwirte haben schlichtweg keinen Bedarf. In Schleswig-Holstein erhalten sie mittlerweile pro Hektar etwa 100 Euro für die Ausbringung von Klärschlamm. Das ist für die Klärwerke immer noch günstiger, als ihn zu weit entfernten Anlagen zu transportieren und verbrennen zu lassen. Es wirft aber auch die Frage auf: Bekommen die Landwirte hier Geld dafür, um fragwürdige Reste aus unseren Abwässern zu entsorgen?
    Die 116 Seiten lange Düngemittelverordnung macht lediglich Vorschriften zu Fremdstoffen, die größer als zwei Millimeter sind. Tatsächlich sind kleinere Teilchen aber oft viel problematischer, meint der Tierökologe Christian Laforsch von der Uni Bayreuth.
    "Weil diese kleinen Partikel, wenn die dann von Organismen mit der Nahrung aufgenommen werden, dann eben zu Effekten bei diesen Organismen führen könnten. Und aus diesem Grund sollte es in den Köpfen auch ankommen, dass auch kleinere Fragmente als Müll zählen sollten."
    Mannigfaltige Eintragwege
    Zumal kleine Partikel auch durch die Luft verteilt werden können. Forscher der Universität Bern haben jüngst Bodenproben aus den Alpen analysiert. Sogar in entlegensten Regionen, die nur zu Fuß erreichbar sind und in denen es keinen Tourismus gibt, fand sich Plastik in den Böden. Zu 70 bis 80 Prozent war das Mikroplastik unter fünf Millimetern, vermutlich wurde es vom Wind dorthin geweht.
    "Es gibt mannigfaltige Eintragpfade, auch über die Luft wird Mikroplastik als Abrieb in die Umwelt eingetragen, über Abrieb in der Bauindustrie, Abrieb aus dem Verkehrsbereich. Das heißt tatsächlich wie groß der Eintrag ist, das kann man momentan noch nicht wirklich sagen. Denn es ist unglaublich schwierig auch wenn man sich das vorstellt, tatsächlich Mikroplastik in der Umwelt zu detektieren."
    Christian Laforsch selbst wühlte sich durch Kompost und zählte 14 bis 900 Partikel pro Kilogramm. Das ist deutlich weniger, als die Mengen, die Nizzetto im Klärschlamm fand, aber immer noch beträchtlich. Dabei war der Plastikanteil vor allem in Kompost aus Bioabfällen sehr hoch.
    Ein LKW kommt zur Kompostieranlage in Rendsburg. Das große Hallentor öffnet sich, und ein beißender Geruch strömt aus. In der Halle liegt ein gut vier Meter hoher Haufen mit Biomüll. Oder besser gesagt: mit den Bestandteilen der Biotonnen. Denn nicht alles, was dort liegt, ist tatsächlich bio. Ralph Hohenschurz-Schmidt, Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsanlage in Rendsburg, kennt diesen Anblick.
    "Da war der Hausmann, die Hausfrau einfach zu faul, das rauszudrücken, und schmeißt das mit rein. Da liegt noch ne Dose."
    Allein von außen sind auf dem Berg fünf Plastik-Blumentöpfe zu sehen, und dennoch ist Ralph Hohenschurz-Schmidt recht zufrieden mit der Sortier-Disziplin seiner Mitbürger, die wesentlich besser sei als in Ballungszentren.
    Eine Kompostieranlage
    Nicht alles in den Kompostieranlagen ist bio (Klaus Franke / dpa)
    "Das Biogut war jetzt also vier Wochen in der Vergärung, ist dann eine Woche in der Intensivrottung und liegt dann noch drei bis vier Wochen auf Miete. Und so sehen die Mieten aus. Und bei den Mieten kann man dann sehr gut auch den Kunststoff und Fremdstoffanteil erkennen."
    Hinter dem ersten groben Sieb folgt noch ein weiteres feineres Sieb. Und es ist beeindruckend, wie schwarz und rein der Kompost am Ende aussieht. Dennoch: Wer näher an die großen Komposthaufen herangeht, findet schnell kleine Plastikteilchen, in dem mit einem Gütezeichen für hohe Qualität ausgezeichneten Kompost. Ein leider unvermeidbares Übel, meint Hohenschurz-Schmidt.
    "Das Thema Mikroplastik ist halt mittlerweile so weltweit verbreitet, dass man, wenn man irgendwo sucht, auch immer irgendwas finden wird, weil wir eben über die verschiedenen Eintragspfade weit über den Kompost hinaus über ganz andere Dinge halt weltweit in den letzten Jahrzehnten Plastik verteilt haben."
    Ein notwendiges Übel?
    Ralph Hohenschurz-Schmidt ärgert sich über die Art der Diskussion. Und es ist richtig, dass allein durch Reifenabrieb in Deutschland 100.000 Tonnen Mikroplastik in die Umwelt geraten, wie das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen schätzt. Das entspricht in etwa dem Gewicht von 40 Millionen gelben Säcken. Die Produktion von zertifiziertem Kompost in Deutschland belief sich zuletzt auf gut acht Millionen Tonnen. Im Mittel sind darin etwa 3.000 Tonnen Folien enthalten. Plus das nicht erfasste Plastik unter zwei Millimetern. Dadurch werden dem Fraunhofer-Institut zufolge auch gut 13.000 Tonnen Mikroplastik jährlich imitiert. Ähnlich hoch ist der Eintrag von Plastik durch Abrieb auf Sportplätzen mit Kunstrasen oder Kunstbelägen, so wie durch Verluste durch sogenannte Pallets bei Transport und Produktion. Nirgends aber ist der Eintrag auf Äcker und Böden so direkt wie beim Kompost.
    "Wir tun alles dafür, um das, was leider Gottes im Input vorhanden ist, wieder auszusortieren. Aber das gelingt uns eben nicht zu 100 Prozent, was jedem, der ein bisschen nachdenkt, auch klar ist."
    Kompost ist wichtig für den Humus-Aufbau im Boden. Er macht ihn fruchtbarer und bindet auch überschüssiges Nitrat. Sind die Plastikteilchen also ein notwendiges Übel? Es ist vor allem erst einmal ein Gefühl, dass es nicht gut ist, wenn ein Material in immer größerem Maße in unsere Umwelt gelangt, das dort für viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte bestehen bleiben wird. Aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine schädliche Wirkung von Plastik und Mikroplastik im Boden sind bisher noch recht dünn.
    "Generell muss man erst mal sagen, dass die Forschung im Meer und im aquatischen Bereich einen Vorsprung von ungefähr einem Jahrzehnt hat. Das erste Paper zu dem Thema im Meer kam heraus 2004. Das heißt, man weiß viel mehr, was im Meer passiert, und erst vor kurzem ist sozusagen das Interesse auch auf den Boden mit umgeschwenkt."
    Matthias Rillig von der Freien Universität Berlin war im Jahr 2012 einer der ersten, der mit einer Studie die Aufmerksamkeit beim Thema Mikroplastik auf den Boden gelenkt hat. Der Bodenwissenschaftler hat sich zunächst einmal angesehen, wie sich das Mikroplastik auf die Bodenbeschaffenheit auswirkt, weil die wiederum auch Auswirkungen auf Flora und Fauna hat.
    Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze über ein Feld mit jungem Getreide in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree.
    Die Düngemittelindustrie mischt ihrem Dünger teilweise extra Kunststoffgranulat bei - aufgrund der wachstumsfördernden Effekte (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Die Effekte waren also, dass der Boden eher lockerer wird. Und deswegen sind auch mögliche Effekte, dass das Pflanzenwachstum sogar positiv dadurch beeinflusst wird, dass die Pflanzen zum Teil besser wachsen können in so einem Boden."
    Ein Effekt, der in der Düngemittelindustrie bekannt ist. Dort wird teilweise extra Kunststoffgranulat beigemischt – eine Praxis, die zur Zeit ebenfalls in der Kritik steht. Doch Rillig hat sich nicht nur den Boden, sondern auch die darin lebenden Organismen genauer angeschaut.
    "Wir haben Mikroplastik-Partikel auf der Bodenoberfläche angeboten in Töpfen, in denen Regenwürmer waren. Und unsere Fragestellung war, ob Regenwürmer dieses Material in den Boden einarbeiten, und das haben sie, und sie haben es auch relativ rasch bis zu zehn Zentimeter in den Boden eingebracht. Wir haben dann auch untersucht: Gab es Effekte auf die Regenwürmer? Die gab es bei uns nicht. In einer anderen Studie hatten sie negative Effekte beobachtet."
    "Wir haben ein Experiment mit Mesokosmen an der Universität Wageningen gemacht. Dabei haben wir gesehen, dass Regenwürmer das Mikroplastik tatsächlich fressen. Sie transportieren es auch durch ihre Tunnel oder in ihrem Körper in tiefere Schichten. Darüber hinaus haben wir auch im Kot der Regenwürmer Plastik gefunden. Und zwar viel konzentrierter als im Rest des Bodens. Und das ist schon sehr gefährlich."
    Sterblichkeit der Regenwürmer gestiegen
    Während Matthias Rillig keine Effekte feststellte, zeigten sich die bei den Experimenten von Esperanza Lwanga Huerta von der Universität Wageningen recht deutlich. Auch sie setzte Regenwürmer in verschiedene Behälter mit 7, 28, 45 und 60 Prozent Mikroplastikanteil. In den Behältern mit den drei höchsten Konzentrationen war die Sterblichkeit der Regenwürmer gestiegen und ihr Wachstum deutlich reduziert. Die unterschiedlichen Ergebnisse von Rillig und Huerta könnten auf die Größe und Art des verwendeten Mikroplastiks, vielleicht auch ihre Belastung mit Schadstoffen zurückzuführen sein. Die beiden Versuche zeigen aber auch, dass die Forschung zum Mikroplastik im Boden noch ganz am Anfang steht. Außerhalb des Labors hat es bisher nur ein einziges Experiment gegeben.
    Esperanza Lwanga Huerta ist in ihr Heimatland gefahren, in ein Biosphärenreservat, in dem einige Mayas leben. Diese, so beschreibt Huerta es, leben ein einfaches Leben. Aber auch hier sind Plastikflasche und Co längst in das alltägliche Leben eingezogen. Was immer als Müll anfällt, wird im eigenen Garten verbrannt, alles was übrigbleibt im Boden vergraben, wobei meist schon durch das Feuer viele winzige Plastik-Teilchen mit der warmen Luft aufsteigen und sich auf den anliegenden Hanggärten wieder absetzen.
    "Wir haben dort Proben vom Boden, vom Kot der Regenwürmer und dem Hühnerkot genommen. Außerdem haben wir die Hühner selbst untersucht. Wir haben sie aufgeschnitten und sowohl in ihrem Körper als auch in ihrem Magen Plastik gefunden."
    Je weiter sie in der Nahrungskette nach oben ging, desto höher wurden die Plastikkonzentrationen.
    "Von den kleinen Teilchen fanden wir pro Huhn ein bis 34 Stück, von den größeren sogar bis zu 120 Teilchen. Ob es für die Menschen, die die Hühnermägen essen, gefährlich ist? Das weiß ich nicht."
    "Wir sind momentan gerade dabei im ganzen Kreis Rendsburg-Eckernförde, in den Bereichen, wo ich verdichtete Wohnbebauung habe, wirklich jeden Haushalt per Postwurfsendung anzusprechen."
    Was lässt sich tun gegen die Plastik-Flut? Hartnäckige Öffentlichkeitsarbeit, wie sie Hohenschurz-Schmidt betreibt, ist sicherlich ein Ansatz.
    "Wenn wir dann Menschen aus diesem Haushalt persönlich treffen sprechen unsere Leute die natürlich auch auf das Thema an. Aber ansonsten bekommen sie ein schönes Päckchen mit einer Anleitung, wie man richtig die Biotonne befüllt, bekommen fünf Papiertüten, die wir zum Sammeln empfehlen. Und sie bekommen, damit sie auch in Sachen Insektenschutz noch ein bisschen was machen, ein Tütchen mit Samen-Mischungen. Wir versuchen durch diese positive Ansprache Überzeugungsarbeit zu leisten. Ob wir da einen merkbaren Effekt feststellen auf die nächsten Monate und Jahre, das müssen wir einfach abwarten."
    Der eigenen Plastikflut wieder Herr werden
    Keine landwirtschaftliche Nutzung des Klärschlamms? Den Reifenabrieb reduzieren? Noch bessere Sortiertechniken in den Müllanlagen? All das könnten Lösungsansätze sein. Doch einig sind sich alle Experten darin, dass vor allem die Produktion von Plastik drastisch gesenkt werden sollte. Dass China, das bisher fast die Hälfte des weltweiten Plastikmülls aufgenommen hat, keine weiteren Importe mehr zulassen will, könnte gerade für die Industrieländer eine Chance sein, ihrer eigenen Plastikflut wieder selbst Herr zu werden. Denn eines ist klar: Was einmal als Plastik, zumal als Mikroplastik, in die Umwelt gelangt ist, lässt sich kaum je wieder zurückholen. Das mussten auch Thorsten Roos und seine Helfer am Ostseearm Schlei feststellen.
    "Über lange Zeit waren täglich so durchschnittlich vielleicht 20 Menschen im Einsatz. Diese Personen haben dann händisch mit, ich sag mal mit feinen Haken, diese Uferbereiche wirklich abgehakt. Das müssen Sie sich mal vorstellen! 100 Kilometer Küstenlänge! Das war eine wirkliche logistische Herausforderung. Diese Partikel sind ja wirklich äußerst klein, und wenn man sich das vorstellt, solche fingernagelgroßen Plastikteile dann zusammenzuhaken, ist dann gar nicht so leicht. Das Problem war, dass eigentlich mehr organische Masse rausgeharkt wurde als Plastik, was uns auch viel Kritik beispielsweise von Naturschützern eben einbrachte. Mengenmäßig können wir nachweisen, dass ein Großteil des Plastik-Materials immer noch im System sein muss."
    Im Jahr 2016 entdeckten Wissenschaftler auf einer japanischen Recyclinganlage ein Bakterium, das Plastik abbauen kann. Auch die Mexikanerin Esperanza Lwanga Huerta hat bei ihren Versuchen im Verdauungstrakt der Regenwürmer solche Bakterien gefunden. Und zwar waren sie besonders dann zahlreich, wenn die Würmer hohen Konzentrationen von Mikroplastik ausgesetzt waren.
    Solche Entdeckungen wecken Hoffnung, dass wir bei der Bekämpfung unseres Plastikproblems vielleicht auch von der Natur Unterstützung bekommen könnten. Im Moment aber lässt sich noch nicht absehen, ob und wie solche Bakterien und Enzyme beim Recycling oder gar bei der Bekämpfung des Plastiks in der Umwelt hilfreich sein könnten. Es wäre also besser, das Problem zunächst an der Wurzel zu bekämpfen. Nicht nur im Meer, auch in unseren Böden, die uns ernähren.
    "Wir können die Risiken noch nicht wirklich abschätzen. Dass das Material da aber nicht reingehört, ich glaube darüber sind wir uns alle einig. Das ist künstlich produziertes Material. Es ist persistent. Das heißt, es ist eine Kontamination, die sehr lange anhält. Das ist nicht gut."
    Endstation Acker – Plastik auf dem Land
    Von: Tomma Schröder
    Es sprachen: Svenja Wasser, Sabine Küchler und Gerd Daaßen
    Ton: Kiwi Eddy
    Regie: Claudia Kattanek
    Redaktion Christiane Knoll
    Eine Produktion des Deutschlandfunks 2018