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Endstation Marokko

Lange Zeit war die Meerenge von Gibraltar der wichtigste Übergang für Migranten aus Afrika auf ihrem Weg nach Europa. Aber seit dem Ansturm von Flüchtlingen auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla im Jahr 2005 hat sich viel verändert in Marokko. Die Europäische Union verlangt von den Länder des Mahgreb, die europäischen Grenzen zu sichern. Für diejenigen Flüchtlinge, die zum Teil seit Jahren in Marokko auf ihre Chance für den Grenzübergang warten, wird die Situation immer unerträglicher. Ein Bericht von Miriam Edding.

06.10.2007
    Die marokkanische Stadt Oujda, ein paar Kilometer von der algerischen Grenze entfernt, hat schon bessere Tage gesehen: Seit 10 Jahren ist die Grenze zum Nachbarland gesperrt, regulärer Grenzverkehr findet nicht statt und nachts gehören die Wüstenpisten neben der Hauptstraße den Schmugglern. Moses Janneh aus Liberia wohnt im Quartier Vietnam, einem Armenviertel der Stadt, in einem verlassenen Schuppen.

    "Just like that, we have a problem, help us, this is a heavy bondage, we are the buffalo soldier"

    Seit vier Jahren lebt Moses Janneh in Marokko. Drei Mal hat er versucht, in die spanische Enklave Melilla zu kommen, drei Mal endete seine Reise dort, wo sie begonnen hat - in der unwirtlichen Grenzregion zwischen Marokko und Algerien.

    ""Ich bin müde, ich habe wegen der Bedingungen hier keinen Kontakt mehr zu meinen Leuten. Es ist sehr schwierig geworden, Marokko zu verlassen, nach Europa zu kommen ist sehr schwer, der Weg ist überall blockiert!"

    Es sollen um die Zehntausend Transitmigranten sein, die in Marokko festsitzen. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Sicher ist aber, dass wegen der strengen Grenzkontrollen der Preis für professionelle Schlepper stark gestiegen ist. Nur noch Migranten mit dem nötigen Kleingeld können sich die gefährliche Überfahrt leisten.

    Die Stadt Oujda war lange ein Transitort auf dem Weg der Migranten an die Mittelmeerküste. Aber seit dem Ansturm von Flüchtlingen auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla im Jahr 2005 hat die Europäische Union den Druck auf Marokko erhöht, Europas Grenzen zu schützen. Diese Verpflichtung erfüllt Marokko auf seine Weise: Die Polizei führt überall im Land Razzien durch und verschleppt die aufgegriffenen Flüchtlinge über nach Algerien.

    "Jeden Tag, jeden Tag, die kennen keine Schonzeit, jagen sie uns weit weg in die Wüste, dort gibt es keine Häuser, nichts, dort gibt es gar nichts.... und irgendwann schaffen wir es, wieder zurück in diese Stadt. Jeden Tag passiert das."

    Auch Frauen mit Kindern werden abgeschoben, obwohl das marokkanische Gesetz das verbietet.
    "Gestern habe ich die drei Freunde getroffen, Schwarze wie ich, zwei Männer aus Gabun und eine Frau aus Mali, die Frau hat ein vier Monate altes Baby. Ich habe ihnen diesen Platz gezeigt wo sie wohnen können aber dann kam die Polizei und brachte sie über die Grenze, in die Wüste - weit weg. Und das alles mit dem Baby!"

    Die Strategie der Polizei ist sinnlos. Denn die algerischen Grenzbeamten jagen die Flüchtlinge zurück nach Marokko. Daher tauchen sie nach ein paar Tagen wieder in Oujda auf um von dort erneut zu versuchen, die Küsten oder die Großstädte Rabat und Casablanca zu erreichen. So wie Moses Janneh sind viele Migranten schon vier oder fünf mal nach Oujda deportiert worden.

    Um das Gemeindehaus der Kirche Saint-Louis brandet der Verkehr. Die Kirche beherbergt regelmäßig Migranten, die auf ihrer Odysee durch die Wüste verletzt, beraubt oder vergewaltigt wurden. Joseph Lépine ist schon dreißig Jahre Pater der kleinen katholischen Gemeinde von Oujda. Er hat in Frankreich ein Buch mit den Geschichten der Flüchtlinge herausgegeben. Mit Sorge beobachtet er die zunehmende Brutalität von Marokkos Behörden im Umgang mit den Migranten:

    "Um vier Uhr morgens kommt die Polizei in ihre Häuser oder in den Wald. Es sind besonders brutale Ausweisungen. Die Behörden haben nicht das Recht, Frauen mit Kindern auszuweisen aber das passiert trotzdem. Sie werden nach Oujda gebracht und wenn es Nacht wird, über die Grenze abgeschoben, das ist sehr gefährlich . . . "

    Pater Joseph hat seine eigene Theorie über die Abschiebungen ins Nachbarland:

    "Die Marokkaner sind nicht dumm, genau wie die Europäer. Das alles dient der Desillusionierung, sie wollen die Flüchtlinge durch diese sinnlose Hetze ermüden."

    Die Situation in Oujda hat sich in diesem Jahr weiter zugespitzt. Nachdem die Polizei die Camps der Migranten in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla im Jahr 2006 vollständig aufgelöst hatte, entstand auf dem Geländer der Universität von Oujda das größte Flüchtlings-Camp Marokkos. Um die 600 Flüchtlinge lebten dort. Aber auch dieses Camp haben Polizei und Militär Ende Juli geräumt. Zelte, Töpfe, Decken und alle persönliche Habe der Flüchtlinge wurden verbrannt. Seit dem leben die Migranten in kleinen Gruppen in Minicamps, so genannten Tranquilos, in den Außenbezirken der Stadt und in den Wäldern nahe der Grenze. Diese Tranquilos können innerhalb von Minuten ab- und anderswo wieder aufgebaut werden. Die permanente Verfolgung zwingt die Flüchtlinge, ständig mobil und auf der Hut zu sein.

    Das ABCDS, eine kleine Gruppe von Studenten, unterstützt die Flüchtlinge mit Essensspenden, warmer Kleidung und Medikamenten. Seit dem das Camp auf dem Gelände der Universität geräumt wurde, ist ihre Arbeit viel schwieriger geworden. Um Lebensmittel und Medizin zu verteilen, müssen sie nun die ständig wechselnden Tranquilos in und um Oujda aufsuchen. Oft werden sie dabei von Polizeibeamten beschattet, die so versuchen, die Verstecke der Flüchtlinge aufzuspüren. Wie Pater Joseph beobachtet auch Mohammed Talbi vom ABCDS eine Zunahme der Repression:

    "Wir erleben die Migranten jetzt sehr erschöpft, moralisch, physisch und psychisch erschöpft. Sie werden die ganze Zeit von der Polizei gejagt, sie sitzen hier fest. Sie können nicht vor und nicht zurück, die Grenzen sind geschlossen, sie können nicht hier bleiben, weil sie permanent von den marokkanischen Autoritäten gejagt werden und sie können nicht in ihre Länder zurück."

    Die Situation für die Flüchtlinge, die noch auf der alten Route durch Marokko versuchen, Europa zu erreichen wird immer prekärer. Denn die Europäische Union lässt sich die Sicherheit ihrer Grenzen viel kosten. 26 Millionen Euro hat die EU für die Aufrüstung der Zäune um die spanischen Enklaven ausgegeben. 40 Millionen wurden in einen Fonds zur Verbesserung des Grenzmanagements gesteckt und weitere 40 Millionen flossen in Entwicklungshilfeprojekte. Das Geld kam der Modernisierung der marokkanischen Fischerei-Flotte zugute. Diese Summen verpflichten. Marokko schickt seither Erfolgsberichte nach Europa: Um 60 Prozent seien die illegalen Grenzübertritte gesenkt worden vermeldet das Innenministerium. Aber in Marokko, wo fast jede Familie von den Geldüberweisungen der eigenen Auswanderer abhängt, findet die Politik der Regierung wenig Zustimmung.

    "Marokko macht die Drecksarbeit für Europa, die EU hat ihre Grenzen nach außen verlagert. Marokko spielt die Rolle des Gendarmen für Europa. Das Land blockiert die Migration um - man könnte sagen - Europas Segen zu bekommen.
    Aber das wird nicht aufhören, es wird jeden Tag mehr. Auch die repressive Politik Europas wird das nicht stoppen. Bei uns sagt man nicht: Ich werde Doktor, ich werde Pilot- nein, ich werde Migrant! Migrant, das ist der neue Beruf."

    Wenn die Wege vor und zurück versperrt sind, wählen die meisten Menschen den Weg nach vorne. Auch wenn er aussichtslos erscheint. Moses Janneh will es trotz seiner drei erfolglosen Versuche weiter probieren:

    "Aber ich werde die Hoffnung nie verlieren, ich werde es wieder versuchen bis Gott mir vielleicht hilft, nach Europa zu kommen. Europa ist gut."