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Endzeitstimmung

Weltuntergänge und apokalyptisches Denken: Globalisierung und Klimawandel, Finanzkrisen und Pandemien scheinen die apokalyptischen Reiter als Avantgarde des Weltuntergangs abgelöst zu haben. Und auch in der Literatur und im Film kommt immer öfter Endzeitstimmung auf.

Von Ulrich Baron | 09.01.2011
    "Die älteste und stärkste menschliche Empfindung ist die Angst und die älteste und stärkste Angst ist die Angst vor dem Unbekannten."

    schrieb der amerikanische Schriftsteller Howard Philipps Lovecraft im Jahre 1927. Lovecraft musste wissen, was er da schrieb, denn er zählte zu den maßgeblichen Vertretern der fantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts und leitete mit dieser Feststellung seinen Essay "Supernatural Horror in Literature" ein.

    In seinen eigenen Geschichten verkündete Lovecraft eine Art negativer Offenbarung, beschwor eine Welt voller metamorpher Monstrositäten und wahnsinniger Götter, in der sich Geschichte in Unheilsgeschichte verwandelte und alle Gewissheiten der Aufklärung in Finsternis versanken.

    Angst vor dem Unbekannten und Ungewissen, Todes- und Lebensangst, Angst vor der Zukunft hat den Menschen in seinem Kampf ums Dasein begleitet. Und mit dem menschlichen Bewusstsein wuchs auch das Bewusstsein seiner Bedrohtheit. Die Jäger und Sammler der Urzeit konnte jederzeit ein Unglück treffen. Wilde Tiere, feindliche Menschen, Feuer und Wasser, Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Krankheiten und Unfälle bedrohten ihr Leben akut. Und angesichts enger Lebenshorizonte und einer geringen Weltbevölkerung kam die Vernichtung auch nur einer einzelnen Horde durch eine Naturkatastrophe einem kleinen Weltuntergang gleich.

    Nachts rückte das Unbekannte greifbar nahe. In Träumen, Fieberfantasien und Räuschen brach es selbst aus dem Inneren hervor und musste gebändigt werden. Die Götter der Jagd und des Bodens mussten gnädig gestimmt, die Toten und die Dämonen, die einem nachgingen, mussten besänftigt, vielleicht auch getröstet werden. Am Ende stand aber unweigerlich der Tod, die Auslöschung des Individuums. Zum Erstaunlichsten der menschlichen Kulturgeschichte zählt deshalb, wie es den Religionen nicht nur gelang, Lebensangst in Gottvertrauen, sondern auch Todesangst in Heilserwartung zu verwandeln.

    Welch einen Trost bot der Glaube, man könne aus tiefster Not des irdischen Daseins errettet, man könne auf ewig erlöst werden. Welchen Trost auch die Vorstellung, nicht in Nichts zu vergehen, sondern fröhlich und mit seinen geliebten Mitmenschen auferstehen zu dürfen. Je schrecklicher, je aussichtsloser das "De Profundis" erschien, desto stärker wurden die Kräfte, die dieser Glaube zu entfachen vermochte - selbst wenn das offene und tätige Bekenntnis dazu Märtyrertum bedeutete.

    Die Kehrseite solch bedingungslosen Glaubens war eine Entwertung des Weltlichen und der weltlichen Existenz - und ist heute auch der Selbstmordattentäter, der als Märtyrer zu sterben glaubt. Aber trotz aller Sorgen, Leiden, Nöte hängt der normale Mensch am Leben und im Leben und will nicht so bald daraus erlöst werden. Den Himmel stellt man sich am liebsten als Himmel auf Erden vor, und auch der Traum von einer anderen Welt meint doch eigentlich diese, die von einem gnädigen Gott oder von uns selbst nur besser gemacht werden soll.

    Aber der Himmel blieb uns Lebenden verschlossen. Das Reich Christi war eben nicht von dieser Welt. Die apokalyptischen Erwartungen einer Wiederkehr Christi und der Vollendung der Geschichte als Heilsgeschichte wurden bei den frühen Christen, den Gläubigen des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit ebenso enttäuscht, wie die säkularen Heilsverkündungen der französischen und russischen Revolution und die des "Tausendjährigen Reichs" der Nationalsozialisten.

    Aufklärung und Industrialisierung verdrängten schließlich die geistigen durch weltliche Gewissheiten und den Segen der Kirche durch die Segnungen der Technik. Fortschrittsgläubigkeit verdrängte den Gottesglauben, doch auch dabei blieben große Erwartungen unerfüllt. Wo heute die Grenzen des Wachstums sichtbar werden, droht jetzt der Fortschritt, droht das Wachstum von Weltbevölkerung und Weltwirtschaft sich ins Gegenteil zu verkehren. Fortschritt wird zur Gefahr. Aus Gewissheit wird neue Ungewissheit. Ängste vor dem Unbekannten, das die Zukunft bringen wird, erwachen neuerlich. Kollektive Weltuntergangsfantasien und Visionen apokalyptischer End- und Wendezeiten kehren in neuen, nun wahrlich globalen Dimensionen wieder. Und es geht nicht mehr allein um Prophezeiung, Deutung und Überstehen drohender Katastrophen. Es scheint bisweilen schon so, als wolle die Menschheit sich am liebsten selbst überleben.

    Schon 1983 entwarf der Schriftsteller Ulrich Horstmann in seinem Buch "Das Untier "die "Konturen einer Philosophie der Menschenflucht", und wo immer heute ein Umweltschaden ruchbar wird, ist das Etikett "menschgemacht" nicht fern. Vor allem wir Menschen der westlichen Wohlstandssphäre sehen uns selbst oft als Untiere, die zu viel konsumieren und emittieren, die brachiale "ökologische Fußabdrücke" hinterlassen und überhaupt viel zu viele sind. Ja, es scheint bisweilen so, als seien wir nur eine peinliche Episode der Naturgeschichte.

    Im Frühjahr 2000 veröffentlichte der Internetpionier Bill Joy im Magazin "Wired" seinen Aufsatz "Why the future doesn’t need us – Warum die Zukunft uns nicht braucht". Joy postulierte, dass Nano-, Gentechnik und Robotik uns zu einer gefährdeten Art machen könnten. Im Jahre 2007 widmete sich dann sein amerikanischer Landsmann Alan Weisman in dem Buch "The World Without Us" einem Komplex von Fragen, deren Faszinationskraft durch zahlreiche begeisterte Besprechungen belegt wurde:

    "Wie würde es auf der Welt ohne uns weitergehen? Wenn die Menschheit vom Antlitz der Erde verschwände, was würde dann aus unserer Zivilisation? Was würde aus Straßen, Autos, Eisenbahnen? Wie lange würden Häuser, Geschäfte, Städte dem Verfall standhalten? Und wie würde es aussehen, wenn die Natur zurückeroberte, was der Mensch ihr in Tausenden von Jahren abgerungen hatte?"

    Weisman griff damit ein Motiv auf, das seit dem Erscheinen von Herbert George Wells’ Roman "Die Zeitmaschine" im Jahre 1895 nicht nur Autoren der Science-Fiction beschäftigt hat. Wells befördert seinen Zeitreisenden schließlich in eine ferne Zukunft, in der eine verlöschende Sonne einen sterbenden Ozean bescheint. Arno Schmidt schickte 1949 in seiner nach dem Atomkrieg angesiedelten Erzählung "Schwarze Spiegel "einen bibliophilen und misanthropischen Radfahrer durch ein entvölkertes Norddeutschland, der grimmig verkündet:

    "Wir wissen durch Autopsie: Das Experiment Mensch, das Stinkige, hat aufgehört."

    In Peter Roseis "Entwurf für eine Welt ohne Menschen" scheint 1975 gar kein personaler Erzähler mehr nötig, während der amerikanische Romancier Cormac McCarthy in seinem 2006 erschienenem Roman "Die Straße" einen Vater und seinen Sohn durch ein Amerika schickt, das ein großer Weltenbrand in Asche gelegt und entvölkert hat.

    Fast immer also bleibt noch jemand übrig. Wir kommen von der Welt und von uns nicht los. Das gilt besonders für jene populären Katastrophenfilme, wie sie ein Roland Emmerich mit dem Eissturm in "The Day After Tomorrow" und später mit den zerbrechenden Kontinentalplatten in "2012" inszeniert hat. Der Weltuntergang wird hier zur Gruppenerfahrung und statt auf Fortschritt darf man nur noch auf die nächste Fortsetzung hoffen.

    Ganz ohne uns scheint die Welt gar nicht untergehen zu können. Selbst in den schlimmsten Szenarien, in denen nicht nur die Menschheit, sondern unser ganzes Universum einem wissenschaftlichen Experiment zum Opfer fallen könnte, erscheint dieser Untergang zumindest noch selbstverschuldet. Drei Jahre nach der Jahrtausendwende beschrieb der britische Hofastronom Sir Martin Rees in seinem Buch "Unsere letzte Stunde" den zweifelhaften Fortschritt, den das Menschengeschlecht im 20. Jahrhundert gemacht hat:

    "Die schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte wurden durch Naturkräfte – Überschwemmungen, Erdbeben, Vulkane und Wirbelstürme – und durch die Pest hervorgerufen. Im 20. Jahrhundert wurden die größten Katastrophen jedoch vom Menschen selbst verursacht: 187 Millionen, so eine Schätzung, sind in den beiden Weltkriegen und ihrer Folgezeit durch Krieg, Massaker, Verfolgung und politisch bedingte Hungersnot umgekommen."

    Angesichts solch einer verheerenden Bilanz sind weit höhere Opferzahlen möglich, falls sich die Pandora-Büchse atomarer, chemischer und biologischer Waffen einmal öffnen sollte, falls eine Pandemie ausbrechen oder das Klima sich katastrophal wandeln sollte. Dabei verdrängt jede neue Angst ihre Vorgänger und saugt deren Potenzial in sich auf. Während der Astrophysiker Rees nicht ohne Berufsstolz darauf verweist, dass auch die aktuelle physikalische Grundlagenforschung ein gewisses Katastrophenpotenzial in sich berge, wandte sich unlängst eine besorgte Bürgerin wegen der jüngsten Experimente am Genfer Kernforschungszentrum CERN an das Bundesverfassungsgericht.

    Aufgrund der zuvor noch nie erreichten Energieintensität dieser Versuche könnten ihrer Meinung nach kleine schwarze Löcher entstehen und sich zu großen auswachsen, in denen wir und unsere Welt verschwinden würden. Zwar teilen Wissenschaftler diese Besorgnis nicht und halten einen solch fatalen Prozess für außerordentlich unwahrscheinlich, aber gegenüber dem Gericht führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie diese Sicherheitsanalyse für unzutreffend hielte:

    "Vielmehr hält sie eine Zerstörung der Erde durch die geplante Versuchsreihe nicht für ausgeschlossen. Schlimmstenfalls sei von einer Restlebenszeit des Planeten von weniger als fünf Jahren auszugehen."

    Am 18. Februar 2010 aber lehnte das Bundesverfassungsgericht ihre Beschwerde ab und begründete seine Entscheidung damit, dass nicht gegen alles, was zum Fürchten sei, auch der Staat einschreiten müsse:

    "Auch die (vermeintliche) Größe eines Schadens - hier die Vernichtung der Erde - erlaubt keinen Verzicht auf diese Mindestsubstanziierung, ob ein wenigstens hypothetisch denkbarer Zusammenhang zwischen der Versuchsreihe und dem Schadensereignis besteht. Das Ausmaß möglicher Schäden zwingt staatliche Stellen lediglich zum Einschreiten, falls substanziierte Warnungen vorliegen."

    In anderen Fällen aber liegen wohl- und ausführlich begründete Warnungen durchaus vor. Claus Leggewie und Harald Welzer prophezeiten 2009 in einer gemeinsamen Buchveröffentlichung angesichts von Klimawandel und begrenzter Ressourcen "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten", und der britische Ideenhistoriker John Gray kritisierte 2007 in "Politik der Apokalypse"ein an endzeitlichen Vorstellungen orientiertes Denken, das sich bei den christlichen Neokonservativen der USA ebenso beobachten ließe wie bei radikalen Muslimen.

    "Die aufklärerischen Ideologien der vergangenen Jahrhunderte bestanden zu einem sehr großen Teil aus einer verfremdeten, ins Gegenteil verkehrten Theologie. Deshalb führt das Bild eines rein säkular geprägten Fortschritts in die Irre, das linientreue Vertreter der Rechten wie der Linken gern von "ihrem" 20. Jahrhundert zeichnen. Die Machtergreifung der Bolschewiken oder der Nationalsozialisten gründete ebenso in einem Glaubenssystem wie die theokratische Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran."

    Das Ende der Sowjetunion und ihrer säkularen Heilsversprechungen habe dem keineswegs ein Ende bereitet. Im Gegenteil:

    "Neokonservative Theorien setzen sie fort. Denn folgt man ihnen, so mündet die Entwicklung der gesamten Welt in ein und dieselbe Regierungsform und in ein und dieselbe Wirtschaftsordnung – eine universelle Demokratie und einen globalen freien Markt."

    Hier droht freilich eine Inflationierung des Begriffs der Apokalypse, denn nicht jedes säkulare Heilsversprechen folgt religiösen Mustern. Und auch ein Strenggläubiger ist noch kein Apokalyptiker. Das Problem apokalyptischen Denkens ist seine Synthese von Ängsten und Hoffnungen, seine situationsbedingte Brisanz und seine Bereitschaft zur Eskalation, die im Ernstfall tradierte Autoritäten einfach beiseite fegt.

    Es geht dabei um nichts Geringeres als um Leben und Tod, um Himmel und Hölle, und dabei mischen sich Bedrohung und Verheißung, individueller Leidensdruck und kollektive Heilserwartung. Während die einen angesichts des drohenden Weltendes in Heulen und Zähneklappern ausbrechen, feiern es die anderen als Vollendung einer Heilsgeschichte, von der die Erwartungen der Rechtgläubigen erfüllt und die Ungläubigen in ewige Verdammnis gestürzt werden.
    Je konkreter apokalyptische Erwartungen waren, desto wichtiger schien es, der anstehenden Weltwende gut vorbereitet zu begegnen. Also begannen die Christen der Spätantike zu rechnen, und ihre mittelalterlichen Glaubensbrüder folgten ihnen. Orientierte man sich an biblischen Zeitangaben, so waren seit Erschaffung der Welt nur wenige tausend Jahre vergangen. Deshalb lag der Gedanke nahe, dass es mit ihr bald zu Ende gehen könnte.

    Waren bislang rund sechstausend Jahre verstrichen, so mutmaßte man in Analogie zu den sieben Tagen der Schöpfungswoche, dass darauf bald ein langer Sabbat folgen werde, um die große Weltwoche abzuschließen. Das Jahr Tausend hätte ein guter Schlusspunkt sein können, doch die Kalenderkundigen kamen und kommen bis heute auch auf zahlreiche andere Untergangsdaten, die sich alle als falsch herausstellten.

    Hofastronom Rees verweist in diesem Zusammenhang auf die Überlegungen eines amerikanischen Fachkollegen, dessen Name ihn für dieses Thema geradezu prädestiniert. Richard Gott habe argumentiert, es sei wahrscheinlich, dass etwas, was schon sehr lange existiere, auch künftig noch lange existieren werde, während ein junges Phänomen keine Garantie für eine hohe Lebenserwartung böte.

    "Gott erwähnt beispielsweise, dass er 1970 die Berliner Mauer (damals neun Jahre alt) und die Pyramiden (über 4000 Jahre alt) besuchte; sein Argument hatte zutreffend vorhergesagt, dass die Pyramiden sehr wahrscheinlich im 21. Jahrhundert noch stehen würden; hingegen wäre es keine Überraschung, wenn die Berliner Mauer nicht mehr stehe, und sie ist natürlich verschwunden."

    Das nun ist nicht nur eine schöne Synthese von Humor und Wissenschaft, sondern zeigt auch, wie Hoffnungen und Erwartungen das Geschichtsdenken prägen. Während die DDR-Führung sich einen baldigen Fall der Mauer gar nicht vorstellen mochte, schien vielen Menschen der Gedanke unerträglich, dass die bisherige Geschichte noch einmal ein paar tausend Jahre oder gar unbegrenzt weiterlaufen könnte.

    Besonders die Christenverfolgung schuf nicht nur Märtyrer, sondern auch den Nährboden für Rache- und Erlösungsfantasien, die sich an alttestamentlichen Beispielen und Prophezeiungen orientierten. Und nicht nur die Menschen der Spätantike und des Mittelalters waren angesichts von Glaubensstreit, Krieg und Pestilenz, angesichts der Leiden Unschuldiger, die unters Rad der Geschichte geraten waren, der Ansicht, dass dessen Lauf endlich Einhalt geboten werden müsse. In den 1930er-Jahren schrieb Walter Benjamin angesichts der drohenden Selbstzerfleischung Europas:

    "Dass es 'so weiter’ geht, ist die Katastrophe."

    Immer wieder wurde eine Weltwende auch als Befreiungsschlag verstanden, der reale und symbolische Mauern in Trümmer legte. Der alte Feuerkopf Friedrich Nietzsche wollte am liebsten mit dem Hammer philosophieren. Leon Bloy nannte sich gar einen "entrepreneur de démolitions", einen Abrissunternehmer, wobei den deutschen Philosophen und den französischen Schriftsteller unterschied, dass Ersterer Gottes Tod diagnostiziert hatte, während Letzter als gläubiger Katholik lediglich konstatierte: "Dieu se retire." Gott zieht sich zurück, und mit diesem Rückzug rückten auch die religiösen Heilserwartungen in weite Ferne. Was blieb, war in vielen Fällen nur eine halbe Apokalypse, nur die Lust an der Zerstörung.

    Im Jahre 1979 verankerte Francis Ford Coppolas Film "Apocalypse now "den Ausdruck "Apokalypse" in der Sprache der globalen Populärkultur. Dort fiel er auf fruchtbaren Boden. Ob Nato-Doppelbeschluss oder GAU von Tschernobyl, ob Ende des Ostblocks oder Ende der Geschichte, ob Kampf der Kulturen, Krieg gegen den Terror oder Vogelgrippe, ob Weltfinanzkrise oder Klimakatastrophe – im Zeitalter der Globalisierung fehlt es nicht an Katastrophenszenarien, die auf den stärksten möglichen Begriff gebracht werden wollen. Und was würde da machtvoller wirken als die "Apokalypse" mit ihren Posaunen, Schalen des Zorns, todbringenden Reitern, dem Tier aus der Tiefe und stürzenden Sternen und Bergen?
    Ob klimatische oder tektonische Katastrophe, ob Pandemie oder Feuersturm, ob Maya-Prophezeiung oder Atomkrieg – "Apokalypse" ist zum Synonym für welterschütternde Katastrophen geworden. In wörtlicher Übersetzung aber bedeutet dieser Ausdruck nicht Weltende und nicht einmal Weltwende, sondern schlichtweg "Enthüllung" oder "Offenbarung". Als "Offenbarung des Johannes" beschließt die bekannteste Apokalypse das Neue Testament, doch schon das Alte kannte Prophezeiungen eines finalen Gerichts. So heißt es im Buch Daniel:

    "Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seit es Menschen gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande. Und die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich."

    Was Johannes auf Patmos dann gegen Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung an sieben kleinasiatische Gemeinden sandte, schien zu signalisieren, dass die Umsetzung des göttlichen Heilsplans nun endlich beginnen werde. Doch als letzter Text des neuen Testaments verheißt die Apokalypse bis heute etwas, was die die Kirche nie hat erfüllen können und wollen. Schon Augustinus beschwor die Leser seiner Schrift "Der Gottesstaat", diese Offenbarung keinesfalls wortwörtlich zu verstehen. Genau das aber ist immer wieder geschehen, denn sie war nach Angaben des Verfassers von höchster Stelle beglaubigt. War es doch die "Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll".

    Dabei ging es um nichts Geringeres als um die Enthüllung des göttlichen Heilsplans in einer Zeit, als das Christentum noch schwach war und sich einem übermächtigen Rom unter der Führung gottloser Kaiser ausgeliefert sah. Und mehr noch. Auch wenn die Offenbarung nicht mit großen Zahlen geizte und ein Tausendjähriges Reich der Herrschaft Christi und der Heiligen prophezeite, verkündete sie doch auch, dass deren Anbruch schon in greifbare Nähe gerückt sei: "Denn die Zeit ist nahe", heißt es am Anfang, und am Ende wird noch einmal das baldige Kommen Jesu versprochen.

    Dieses Versprechen unterscheidet die Apokalypse von reinen Untergangsprophezeiungen und Katastrophenszenarien. Die Apokalypse verheißt keine katastrophale Götterdämmerung, sondern die Vollendung der Schöpfung, einen Aufstieg aus dem Untergang. Doch im Kern ist sie auch eine Machtdemonstration, eine Rachefantasie, die an die Vorstellungswelt alttestamentlicher Texte anknüpft. Die Große Hure Babylon, das Tier mit sieben Häuptern, der Drache, die Schlange und Satan werden heraufbeschworen, um endlich der Gewalt Gottes und der Macht des Erlösers zu erliegen. Jede Zeit konnte sich auf diese Bestien ihren eigenen Reim machen – mochten die Zeitgenossen des Johannes darin die Auswüchse römischer Dekadenz erblicken, so sahen die radikalen Reformatoren und Chiliasten der Lutherzeit in ihnen die Pervertierung christlichen Glaubens durch die päpstlichen Irrlehren vorgezeichnet.

    Die betörende und bis heute ungebrochene Stärke der Johannes-Apokalypse liegt in ihrem Überschuss, in der Entfesselung einer Bild- und Gedankenwelt, die theologisch nie zu bändigen war. Mochte ein Augustinus die Auslegungen der Chiliasten oder Tausendjährler auch als Irrtümer und Irrlehren beiseiteschieben, so ließ sich das "Buch mit den sieben Siegeln", das bei Johannes geöffnet wird, nicht mehr verschließen, ließ sich der Schall der sieben Posaunen nicht ungehört machen, blieben die sieben Schalen des Zorns fortan ausgegossen.

    Der Text dieser Offenbarung ähnelt der Büchse der Pandora, doch daraus kommen keine Krankheiten, sondern Bilder, gegen deren faszinierende Virulenz kein Bannspruch hilft. Nach Öffnung der ersten Siegel brechen die verheerenden Apokalyptischen Reiter hervor, deren erste drei auf einem weißen, einem feuerroten und einem schwarzen Pferd durch die Welt stürmen:

    "Und da es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit dem Schwert und Hunger und Tod und durch die wilden Tiere auf Erden."

    Das Bild, das hier beschworen wird - Krieg, Hunger und am Ende wilde Tiere, die sich über die Überlebenden hermachen – wirkt auch zweitausend Jahre nach seiner Formulierung beklemmend realistisch. Auf den Killing Fields des 20. und 21. Jahrhunderts darf sich der Reiter auf seinem fahlen Pferd so heimisch fühlen wie in der Epoche der Zeitenwende. Der russische Filmregisseur Andrej Tarkowski hat dies in seinem Weltkriegsdrama Iwans Kindheit unvergesslich in Szene gesetzt, als er seinen jungen Helden in einem von deutschen Truppen zerstörten Haus ein Buch mit Dürers Darstellungen der apokalyptischen Reiter durchblättern lässt.

    Als Enzyklopädie der Heimsuchungen ist die Apokalypse so bis heute anschlussfähig geblieben, weil sie alle möglichen Visionen drohenden Unheils teils vorweggenommen, teils vorgeprägt hat. Anders als die Sintflut oder die Zerstörung von Sodom und Gomorrha gibt es hier keinen bestimmten Modus operandi der Vernichtung, sondern einen ganzen Katalog, der auf fast jede Katastrophe und auf jede Zeit passt. Man kann sich die Reiter der Apokalypse als Panzerkommandanten und als Hubschrauberbesatzung vorstellen, als Kamikazepiloten und als Selbstmordattentäter, als Atom- oder Bioterroristen oder als jene maschinenhaften Monstren und monströsen Maschinen, die die Menschheit von den Schlachtfeldern einschlägiger Endzeitfilme fegen. Doch sie sind nur die Avantgarde des Untergangs, die Vorreiter einer noch tief greifenderen Zerstörung.

    Auf die Öffnung der Siegel folgt der Schall der Posaunen, Hagel und Feuer werden mit Blut vermischt auf die Erde geworfen, und der dritte Teil der Erde und Bäume und alles grüne Gras verbrennen. Wie solche verbrannte Erde aussehen würde, kann man heute in der Verfilmung von Cormac McCarthys Roman "Die Straße" studieren, der offen lässt, ob ein Atomkrieg, eine Klimakatastrophe oder ein göttliches Strafgericht die Erde in Asche gehüllt hat. Auch die Folge der zweiten Posaune hat schon ihre modernen Umsetzungen gefunden: Wird bei Johannes ein feuerflammender Berg ins Meer geworfen, so brechen in Roland Emmerichs Weltuntergangspektakel 2012 die Kontinentalplatten auseinander. Nur ist die Bibel sehr viel gedanken- und bilderreicher, denn bevor die Posaune des vierten Engels eine globale Verfinsterung nach Art eines Nuclear-Winter einleitet, hat sein Vorgänger Gift vom Himmel stürzen lassen:

    "Und der dritte Engel posaunte und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen. Und der Name des Sterns heißt ,Wermut’. Und der dritte Teil der Wasser ward Wermut, und viele Menschen starben von den Wassern, denn sie waren bitter geworden."

    Das ist nun nicht nur exotisch, sondern schon extraterrestrisch und scheint Bedrohungen zu antizipieren, vor denen sich die Zeitgenossen eines Johannes wohl kaum ernsthaft gefürchtet haben werden. Überhaupt wird hier ein Überschuss beschworen, ein apokalyptischer Overkill, der selbst die Prüfungen eines Hiob in den Schatten stellt. Nur sind es hier stets die anderen, denen Sterne und Berge aufs Haupt fallen, denn so schrecklich dieser Weltuntergang auch anmutet, ist er für die wahren Christen doch die ersehnte Wende zum Besseren.

    Die Apokalypse und das apokalyptische Denken zeigen, wie sich Ängste in Hoffnungen, Hoffnungen in Erwartungen und Erwartungen in Handlungen umsetzen lassen. Solange man sie nur als große tröstliche Allegorie darauf verstand, dass die Welt sich wandeln und das Christentum obsiegen würde, mag sie ihren Adressaten den Rücken gestärkt haben. Doch sie verführte immer wieder dazu, wörtlich genommen zu werden - und das in einer explosiven Mischung aus kritischem Impetus und naiver Wortgläubigkeit, als Lehrbuch für den großen Aufstand gegen den irr- und ungläubigen Rest der Welt.

    Hatte sich dieser Impetus ursprünglich gegen das kaiserliche Rom gerichtet, so nahm er später das Papsttum ins Visier, um sich dann in säkularisierter und banalisierter Form gegen das Christentum überhaupt zu richten. Im Wiedertäuferreich zu Münster, in den kommunistischen Revolutionen und in der Hybris des Dritten Reichs ging eine Saat auf, die in den Bildern der Offenbarung geschlummert hatte. Und selbst noch im gut gemeinten Kampf für die Umwelt wirken apokalyptische Unheils- und Heilvorstellungen fort, die fatale Folgen haben können, wenn sich der Konflikt zwischen Gläubigen und Andersdenkenden verschärfen sollte.

    Je größer und je konkreter die Heilserwartung und je katastrophaler die aktuelle Lage umso größer ist beim apokalyptischen Denken die Gefahr einer Eskalation. Schon Augustinus aber hat sich mit den allzu viel versprechenden Passagen der Johannes-Apokalypse nicht anfreunden können. Die Lehre von einem buchstäblich tausendjährigen messianischen Friedensreich, in dem die Heiligen mit dem Herrn herrschten, lehnt er als "lächerliche Fabel" ab, die von den "Tausendjährlern" vollends ins Weltliche verdreht worden sei:

    "Diese Meinung wäre erträglich, wenn man annähme, dass an jenem Sabbat den Heiligen durch die Gegenwart des Herrn allerlei geistliche Freuden beschert werden würden. Auch ich habe das früher einmal so aufgefasst. Aber wenn man sagt, die dann Auferstehenden würden ihre Muße mit maßlosen leiblichen Tafelfreuden hinbringen und solche Fülle von Speise und Trank genießen, dass von keinem Halten mehr die Rede wäre, ja ein mehr als unglaubliches Schwelgen anfinge, so können doch nur fleischlich gesinnte Menschen derartiges glauben."