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Energie- und Wasserwirtschaft
"Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht"

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft wirft der Politik Versagen bei der Energiewende vor. In einigen Bereichen gebe es seit Jahren ein Bund-Länder-Scheitern, das nicht akzeptabel sei, sagte die Geschäftsführerin Hildegard Müller im DLF. Die energieerzeugenden Unternehmen hingegen seien längst auf die Energiewende eingestellt und nach dem Abkommen von Paris offen für Diskussionen zur Umsetzung.

Hildegard Müller im Gespräch mit Bettina Klein | 15.12.2015
    Hildegard Müller vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.
    Hildegard Müller (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Es sei seit Längerem klar, dass es fundamentale Umwälzungen geben werden - der Wirtschaftszweig der Energiewirtschaft habe sich längst auf den Weg gemacht, so Müller: "Wir reagieren seit Jahren, legen konsequente Maßnahmen vor. Wir haben unseren Beitrag geleistet zur CO2-Reduzierung." Es fehle an einer realistischen und ehrlichen Diskussion darüber, wie Versorgungssicherheit hergestellt werden könne und auch, wie Arbeitsplätze erhalten werden könnten.
    "Wir brauchen einen stärkeren europäischen Ansatz"
    Die Ankündigung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (CDU), einen Plan vorzulegen, der den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2050 vorsieht, habe sie überrascht: "Ich weiß nicht, ob sie eine Mehrheit dazu hat," sagte Müller. Deutschland habe in einigen Bereichen der Energiewende seine Hausaufgaben nicht gemacht, meint Müller. Bund und Länder seien beispielsweise beim Verkehr und bei der Wärmeerzeugung gescheitert.
    Sie warb für eine europäische Klimapolitik: "Wir müssen die Energiewende besser in einen europäischen Rahmen einbetten. Ich bin nicht so optimistisch, wie es im Klimaabkommen auf dem Papier steht. Wir haben immer noch Länder, die massiv in Kohle investieren. Wir brauchen einen stärkeren europäischen Ansatz," so Müller.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Großer Jubel am Wochenende nach dem Klimaabkommen von Paris. Historischer Durchbruch, Weichenstellung für die ganze Welt, so die euphorischen Reaktionen. Vor allem vielleicht, da man nach der Enttäuschung 2009 in Kopenhagen sich kaum noch etwas Gutes vorstellen konnte. Aber die Reaktionen sind nicht durchgängig positiv. Von Wirtschaftsverbänden wie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und dem Bundesverband der Deutschen Industrie etwa waren gestern bereits Mahnungen zu hören, unter anderem mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
    Wir bleiben beim Thema: Wie sieht das die Energiewirtschaft, vor allem die Kohleindustrie, dieses Klimaabkommen? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Hildegard Müller. Sie war für die CDU unter anderem Staatsministerin im Kanzleramt und vertritt jetzt als Hauptgeschäftsführerin den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Guten Morgen, Frau Müller.
    Hildegard Müller: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Stimmen Sie denn ein in die Kritik der Wirtschaftsverbände? Ist das jetzt der Untergang der herkömmlichen Energiezweige?
    Müller: Ich glaube, dass uns allen seit längerem klar ist, dass wir in fundamentalen Umwälzungen stehen, und unser Wirtschaftszweig, zumindest die Unternehmen, die ich vertrete, haben sich da auch längst auf den Weg gebracht. Das Thema Erzeugung mit erneuerbaren Energien steht auf der Tagesordnung, jetzt das Thema Digitalisierung und anderes mehr. Klar ist aber auch, dass wir eine realistische Diskussion darüber brauchen, wie wir Versorgungssicherheit herstellen. Ich werbe immer dafür, dass wir auch den Blick auf Branchen richten, wo wir noch viel erreichen können. Wir haben auch im Verkehrsbereich 20 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen, im Wärmemarkt 30 Prozent. Hier könnten wir national besser sein, als wir es zurzeit sind.
    Klein: Das Thema steht auf der Tagesordnung, sagen Sie. Wird das jetzt beschleunigt durch dieses Abkommen?
    Müller: Die Chance ist tatsächlich da. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass wir die Debatte in Deutschland oft sehr national führen. Ich war selber auch in Paris vor Ort, habe viele Gespräche geführt. Bei uns ist der Treiber das Thema Klimaschutz, die Angst vor Kernenergie, aber auch die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz fossiler Brennstoffe. In anderen Schwellenländern steht zum Beispiel der Zugang zu Energie- und Versorgungssicherheit - ich habe mit einem indischen Vertreter dort gesprochen - ganz oben auf der Tagesordnung und die Hoffnung, dies mit so viel erneuerbaren Energien wie möglich zu machen, aber auch die Frage, wie versorgen wir unsere Menschen, und mit diesem Spannungsfeld muss man umgehen. Ich finde, das zeigt das Klimaschutzabkommen, was beschlossen worden ist, auch sehr deutlich, dass jetzt die eigentliche Arbeit eigentlich beginnt zu fragen, wie kann das konkret sein, wie sollen diese Monitoring-Prozesse, die uns auch sehr wichtig waren, sein, damit wir in der Tat eine weltweite Bewegung aus dem machen, was wir in Deutschland vorleben.
    "Die Hausaufgaben werden insbesondere in den Bereichen Verkehr und Wärmeerzeugung nicht gemacht"
    Klein: Versorgungssicherheit brauchen wir sicherlich auch in Deutschland. Wir sprechen jetzt mit Ihnen, mit einer Vertreterin eines deutschen Verbandes. Sagen Sie uns konkret: Wie wird Ihre Branche jetzt das Ausstiegs-Szenario aus der Kohlewirtschaft vorbereiten?
    Müller: Erst einmal bin ich überrascht, dass die Bundesministerin das jetzt ankündigt. Ich weiß auch gar nicht, ob sie innerhalb ihrer eigenen Partei oder der Bundesregierung dafür eine Mehrheit hat. Wir haben in diesem Jahr sehr offensiv dafür geworben, genau so eine Debatte unter Berücksichtigung aller Faktoren auch zu führen. Ich kann mich erinnern, als diese Debatte Anfang des Jahres über diese 22 Millionen Tonnen, die wir gesucht haben, so verquer war, dass ich gesagt habe, wir müssen uns offen hinsetzen mit allen Beteiligten, von der NGO bis zum Industrieverband, aber auch bis hin zu den Mieterschützern hinsetzen und sagen, welche Konsequenzen hat das für das Thema CO2, aber auch für Arbeitsplätze, für bezahlbare Preise und anderes. Unser Angebot, darüber zu reden, steht. Das ist klar. Ich will aber noch mal sagen: Die Hausaufgaben in Deutschland werden insbesondere auch in den Bereichen Verkehr und Wärmeerzeugung nicht gemacht. Hier gibt's ein Bund-Länder-Scheitern seit Jahren, das nicht akzeptabel ist.
    Klein: Aber, Frau Müller, klar ist doch, dass der Versuch dieses Jahres der Bundesregierung, den Kohleausstieg zu beschleunigen, unter anderem auch von Ministern, von Politikern aus kohleintensiven Ländern verhindert oder verzögert worden ist, aber auch von Ihrer Branche. Das heißt, noch mal meine Frage: Wollen Sie jetzt eine Ausstiegsstrategie vorlegen, oder darauf warten, dass die Regierung Ihnen den Ausstieg in einzelnen Schritten vorschreibt?
    Müller: Wir selber sitzen da dran. Es ist das Scheitern dieses Jahres darauf zurückzuführen, dass die Debatte nicht ehrlich über die damit verbundenen Konsequenzen geführt worden ist. Einerseits wurde gesagt, man will nicht aus der Kohle aussteigen; andererseits wurde ein Regulierungsinstrument vorgelegt, was nur abzulehnen ist, weil es keine strukturierte Diskussion ist. Unsere Branche ist dazu bereit. Wir machen unsere eigenen Hausaufgaben im Übrigen intern, wie wir das bei allen Fragen in den letzten Jahren intern immer wieder auch sehr deutlich bewiesen haben. Wir stehen da zur Diskussion bereit.
    Klein: Sie stehen zur Diskussion bereit. Aber ich habe noch nicht verstanden, welche konkreten Schritte Sie jetzt als nächstes in Angriff nehmen wollen, denn es gibt dieses Abkommen und diesen Vertrag und wenn Sie nicht reagieren, wird die Regierung Ihnen etwas vorlegen.
    Müller: Erst einmal reagieren wir seit Jahren. Wir legen seit Jahren sehr konsequente Maßnahmen vor. Wir haben unseren Beitrag geleistet, in vielen Bereichen auch CO2 zu reduzieren. Unsere Unternehmen stellen ihre Ansätze um, ihre Produktion um, wir bauen die Energiewende jeden Tag. Uns zu sagen, wir würden hier nicht aktiv sein, ist schlichtweg falsch und hat auch den Wandel in der Branche nicht vor Augen, der dort stattfindet. Es wird massiv investiert. Lassen Sie es mich ausführen, weil es ein kompliziertes Thema ist. Das andere ist, dass wir uns gerne hinsetzen. Wir haben klare Szenarien, was es heißt, wann wie mit welchen Erzeugungsarten aus dem Markt zu gehen. Wir wissen, wie die Kraftwerkszubauten sind. Wir wissen, welche Kraftwerke laufen nicht. Wir haben diesen Dialog angeboten. Ich bin froh, wenn die Politik das jetzt aufgreift. Es ist das erste Mal, dass wir dieses Signal bekommen. Wir stehen dazu bereit, diese Diskussion zu führen.
    Klein: Da ist noch viel Redebedarf, höre ich da heraus. Werden Sie denn mit dem bisherigen Tempo die jetzt vereinbarten Klimaziele erreichen können?
    Müller: Nun ja, klar ist, dass wir noch nationale Hausaufgaben haben in vielen Bereichen. Klar ist aber auch, dass wir diese Energiewende, die wir in Deutschland leben, endlich auch besser einbetten müssen im europäischen Rahmen. Hier bin ich doch nach wie vor nicht so optimistisch, wie das Klimaschutzabkommen es auf dem Papier erst einmal schreibt. Wir haben in Europa sehr unterschiedliche Diskussionen schon. Wir brauchen gar nicht auf die Schwellenländer und andere Länder zu verweisen. Wir haben Länder, die massiv weiter in Kohle investieren, wir haben Länder, die massiv weiter hinter der Kernenergie stehen, für die ein bisschen Ausbau Erneuerbarer schon Energiewende ist. Das ist sicherlich nicht genug. Hier brauchen wir einen stärkeren europäischen Ansatz.
    "Ich stehe als Person für diese Energiewende"
    Klein: Könnte es auch vielleicht sein, Frau Müller, dass der Umbau ja ohnehin kommt - Sie haben das auch angedeutet - und es eigentlich nur darum geht, wer jetzt diesen Wandel verschläft oder wer wach genug ist, rechtzeitig die Weichen zu stellen und eben in erneuerbare Energien zum Beispiel zu investieren?
    Müller: Da bin ich sehr bei Ihnen, weil ich glaube, dass wir eine große Erfolgsgeschichte aus Deutschland heraus auch für grüne Technologien - und das will ich auch bewusst nicht nur auf erneuerbare Energien reduzieren - schreiben können. Wir haben viele Effizienz-Technologien, die wir an den Markt bringen können. Hier gibt es auch ganz tolle Chancen für die deutsche Industrie. Da würde ich mir auch manchmal ein bisschen mehr Dynamik wünschen, als das vorhanden ist.
    Klein: Frau Müller, es war in der Presse bereits zu lesen: Sie werden wechseln zum Unternehmen RWE.
    Müller: Das sind Marktgerüchte, die ich hier nicht kommentieren will. Das ist aus der Luft gegriffen.
    Klein: Das ist noch nicht in trockenen Tüchern, hören wir.
    Müller: Nein.
    Klein: Aber Sie werden Ihren Einfluss dann wie nutzen, egal in welcher Position, den Umstieg oder den Ausstieg aus der Kohleenergie voranzutreiben?
    Müller: Ich stehe als Person für diese Energiewende. Der Verband BDEW und seine Mitgliedsunternehmen, die ich vertrete, stehen eindeutig für die Energiewende. Das haben wir mit ganz vielen konstruktiven Vorschlägen bewiesen in den letzten Jahren. Und ich glaube, man kann nicht sagen, dass der BDEW der Diskussion sich nicht stellt.
    Klein: Gut. Also Diskussionen werden geführt und sind vielleicht auch noch mal jetzt beschleunigt nach dem Klimaabkommen von Paris. Das war Hildegard Müller bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Sie ist die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Danke Ihnen für das Interview, Frau Müller.
    Müller: Vielen Dank, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.