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Energiepolitik
Hamburgs langsamer Abschied vom Kohlekraftwerk

Lieber gestern als heute möchte Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck ein Steinkohlekraftwerk in der Nähe Hamburgs abgestellt wissen. Doch das Werk liefert unverzichtbare Fernwärme für 145.000 Haushalte. So verzögert sich das Aus, Pläne für dezentrale Anlagen liegen aber schon bereit.

Von Ralph Ahrens | 06.03.2018
    Ansicht auf das Kraftwerk
    Das Steinkohlekraftwerk in Wedel an der Unterelbe (imago / Westend 61)
    Kerstin Lueckow wohnt in Wedel mit Blick auf die Elbe in einer alten Gartensiedlung. 200 Meter entfernt steht ein Steinkohlekraftwerk von 1965 an der Grenze zu Hamburg. Dies beliefert die Hansestadt mit Strom und Wärme - und beschäftigt die Anwohnerin.
    "Seit Sommer 2016 emittiert dieses Kohlekraftwerk sichtbaren Grobstaub. Das sind Partikel. Die sind manchmal wie weißes Pulver, kleinere Bröckchen. Das legt sich überall nieder."
    Einige Partikel enthalten Schwermetalle und sind sauer. Anwohner klagen über Lackschäden an Autos. Schuld daran seien die Partikel, so Lueckow. Der grüne schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck weiß von diesen Sorgen. "Ja, es gibt Ärger. Und ich verstehe auch alle Anwohner, die genervt sind davon, die sich Sorgen machen. Es gibt aber auch Verbesserungen."
    Abgasreinigung im Sommer 2017 nachgebessert
    Im Kraftwerk hat der Energiekonzern Vattenfall bis Sommer 2017 die Abgasreinigung nachgebessert. Bei Ostwind rieseln zwar weiterhin Partikel, weiß Kerstin Lueckow. Zufrieden ist sie allerdings mit folgender Anordnung des Kieler Umweltministeriums: "Die Partikel, die hier rauskommen, die müssen so leicht zu entfernen sein, dass ein normaler Reinigungsaufwand reicht. Also: Was nicht mehr sein darf, dass dieses Partikel so stark Schäden oder Anhaftungen machen, dass sie nur mit einem erheblichen oder professionellen Reinigungsaufwand entfernt werden dürfen."
    Dem ist auch so – nach einer Prüfung durch den TÜV Nord. Dies stimme aber nicht immer, erwidert Kerstin Lueckow und erwartet, dass diese "erheblichen Belästigungen" enden. Minister Robert Habeck sieht durch die Kraftwerkspartikel aber weder eine "erhebliche Belästigung" noch eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner. Ihm seien rechtlich die Hände gebunden. Und …
    "… die Unterstellung, ich bin ein Freund von Kohlekraftwerken und Schleswig-Holstein und das Umweltministerium tut alles, das ein Kohlekraftwerk läuft, die weise ich mit Entschiedenheit zurück: weder energiepolitisch noch sonst wie bin ich ein Freund von Kohlekraftwerken."
    Hamburger sollen nicht im Kalten sitzen
    So möchte Minister Habeck das Kraftwerk lieber gestern als heute abgestellt wissen. Dies brauche Zeit. Das weiß auch sein Kollege, der grüne Hamburger Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan.
    "Natürlich können wir Wedel erst in dem Moment abschalten, wenn wir sicherstellen können, dass die Leute, die auf Fernwärme angewiesen sind, dann nicht im Kalten sitzen, wenn wir Wedel abschalten."
    Das Kraftwerk liefert nach Hamburg bis zu 400 Megawatt Fernwärme - genug, damit es in bis zu 145.000 Haushalten warm bleibt. Dennoch: Um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, will Senator Jens Kerstan das Kraftwerk, das Hamburg dies Jahr mit dem gesamten Fernwärmenetz der Stadt von Vattenfall zurückkaufen möchte, im Frühjahr 2022 abschalten. Dann soll es ausreichend kohlefreie Fernwärme geben.
    "Wir planen, das große Kraftwerk in Wedel durch viele dezentrale Anlagen zu ersetzen – und zwar im Wesentlichen durch erneuerbare Energien und durch vorhandene industrielle Abwärme. Insofern ein sehr innovatives Konzept."
    Tiefstack zum Gaskraftwerk umbauen
    Etwa durch Abwärme aus der Hausmüll- und Biomasseverbrennung wie auch der Aluminium-, Kupfer- und Stahlherstellung. Kohlefrei wird die Fernwärme aber erst, baut die Stadt auch das Steinkohlekraftwerk im Stadtteil Tiefstack zu einem Gaskraftwerk um. Das ist bis 2025 geplant. Dann soll Hamburgs Fernwärme statt mit fast einer Million nur mit 400.000 Tonnen Kohlendioxid zum Treibhauseffekt beitragen. Um diesen Plan wird noch gerungen: Denn der Konzern Vattenfall bietet der Hansestadt an, Fernwärme seines 2015 in Betrieb gegangenen Kohlekraftwerks Moorburg im Hamburger Süden zu nutzen. Darauf möchte Senator Jens Kerstan verzichten. Für ihn ist das eine Frage des Prinzips.
    "Wir brauchen ja einen zügigen Kohleausstieg. Insofern wird Kohlewärme auch gar nicht mehr lange zur Verfügung stehen. Insofern macht es jetzt wenig Sinn, auf eine klimaschädliche Technologie zu setzen. Wir planen da schon langfristig – und deshalb müssen wir auf Kohle verzichten."
    Kerstin Lueckow aus Wedel wäre zufrieden, wenn Hamburg das Fernwärmenetz von Vattenfall bald zurückkauft. Dann kann die Hansestadt in kohlefreie Fernwärme investieren und absehbar ist dann auch, dass bald keine Partikel mehr aus dem Kraftwerk Anwohner belästigen.