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Energiepolitik
Konflikte um den Kohle-Boom

Chhattisgarh in Indien, die Liverpool Plains in Australien und die ostdeutsche Lausitz - drei Kohlegebiete, die der australische Journalist Tom Morton für seine neue Dokumentation besucht hat. An allen drei Orten gibt es Widerstand gegen die Kohleförderung, die jedoch harten wirtschaftlichen Interessen gegenüber steht.

Tom Morton im Gespräch mit Jule Reimer | 23.09.2015
    Blick in den Braunkohletagebau Welzow-Süd am 24. Juni 2015 in Welzow, Brandenburg
    Der Braunkohletagebau Welzow-Süd bei Cottbus (DPA)
    Jule Reimer: Was haben die Lausitz in Ostdeutschland, die Liverpool Plains in Australien und die Region Chhattisgarh in Indien gemeinsam? Es ist die Kohle. Der Braunkohlebergbau steht in Konkurrenz zu Dörfern mit gewachsener Sozialstruktur, zur Bewirtschaftung von Äckern, Wäldern und Weiden, in Konkurrenz zu anderen Unternehmen, die dort angesiedelt sind. Mein Journalistenkollege Tom Morton arbeitet für unseren australischen öffentlich-rechtlichen Schwestersender Australian Broadcasting Corporation "ABC" und er besucht die Lausitz, die australischen Liverpool Plains und die Braunkohlegebiete in Indien, um ein Feature mit dem Titel "Jenseits des Kohlebooms" vorzubereiten. Ich fragte ihn kurz vor dieser Sendung in unserem Berliner Funkhaus, denn er reist gerade in die Lausitz, warum er ausgerechnet in diese drei Regionen schaut.
    Tom Morton: Ja. Mich interessieren in erster Linie die Kontraste. Was diese drei Regionen verbindet, ist die Frage um die Kohle. Es gibt da Kämpfe um die Kohle, Kontroversen um die Kohle, und mich interessieren diese Kontroversen, mich interessieren die Motivationen der Leute, die dort leben, warum sie gegen die Kohle, gegen die neuen Tagebaue kämpfen, oder warum sie sie unterstützen.
    In der Lausitz geht es um die Heimat
    Reimer: Gibt es da Unterschiede?
    Morton: Ja natürlich! Ich meine, die deutschen Hörer werden natürlich die Lausitz besser kennen als die anderen Fälle, aber in Australien auf den Liverpool Plains, da gibt es einen Kampf zwischen "big mining und big dining", zwischen dem Bergbau im großen Stil und der Landwirtschaft im großen Stil. Das sind zum Teil ganz reiche Farmer mit ganz großen Agrarflächen, die jetzt gegen den geplanten neuen Tagebau Shenhua Watermark kämpfen. Das ist ein chinesischer Staatskonzern, und die Farmer befürchten, dass dieser Tagebau das Grundwasser beeinträchtigt. Und das ist ganz interessant, weil das sind Leute, die prinzipiell ziemlich konservativ sind von der Gesinnung her, und die machen jetzt mit Umweltschützern gemeinsame Sache.
    Natürlich ist das in Indien ganz anders. Das sind da ganz arme Bauern, die sich gegen Tagebaue, neue Tagebaue wehren. Ihnen geht es einfach ums Überleben. Das ist das Land, wovon sie leben. Auch der Wald wird da gefährdet, oder auf jeden Fall behaupten sie das, und von dem Wald und von den Tieren, die darin leben, und von den Pflanzen leben sie auch. Und ich würde sagen, in der Lausitz geht es den Leuten in erster Linie um die Heimat.
    Reimer: Sie zeigen im Netz die fruchtbaren Felder der Liverpool Plains. Andererseits sind große Teile Australiens regelmäßig von Dürren betroffen. Wie kommt es, dass die australischen Wähler keine Verbindung zwischen der Regierungspolitik, die ja sehr antiklimaschutzmäßig aufgestellt ist, und dem Klimawandel ziehen und dann immer wieder die konservative Partei der Klimawandelzweifler wählen?
    Morton: Ich glaube schon, dass es eine Mehrheit in der australischen Bevölkerung gibt für Klimaschutz und für eine andere Energiepolitik. Nur haben die politischen Parteien keine Mehrheit im Parlament dafür bilden können. Es gab auch eine sehr gezielte und starke Kampagne vor allem von den Medien in Australien, die Rupert Murdoch gehören, auch von den großen Bergbaugesellschaften, zum Teil von den Gewerkschaften gegen die Einführung von einem Emissionshandels-System oder von einer Versteuerung der CO2-Emissionen. Das hat dazu geführt, dass die Labour Party jetzt, na ja, sehr bescheiden ist in ihren Klimazielen.
    Kohle ist kein entweder/oder für Indien
    Reimer: Blicken wir auf Indien. So ein Land mit so vielen Millionen Armen, da kann man eigentlich kaum kritisieren, dass sie die Kohle als Reserve, als Energieträger nutzen, oder.
    Morton: Der große indische Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat neulich gesagt, wenn man den Armen in Indien mehr Freiheit gewährleisten will, also mehr Chancen ohne den Druck der Armut, dann braucht man eben Energie. Das stimmt ja. Nur die Frage ist insofern falsch gestellt, dass Indien jetzt, ich glaube, nach dem Vorbild von China große Investitionen auf dem Sektor der Erneuerbaren einleiten will. Der Premierminister Modi hat Anfang des Jahres angekündigt, dass er 200 Milliarden Dollar an Investitionen in die Erneuerbaren ermutigen will, und ich glaube, das ist kein entweder/oder für Indien. Ich glaube, die Inder schauen sich ganz genau China an, und China bereitet jetzt mit ganz großen Maßnahmen den Aufwuchs der Erneuerbaren vor.
    Reimer: Wie nehmen Sie die deutsche Kohlepolitik wahr?
    Morton: Deutschland hat die Energiewende. Das ist der große Unterschied. Nur paradoxerweise, wie Sie wohl kennen, hat die Energiewende in Deutschland dazu geführt, dass das einzige, was noch billiger ist als die erneuerbaren Energien, die Braunkohle ist, und der Anteil der Braunkohle an dem deutschen Stromsektor ist gestiegen und Deutschland steht jetzt vor einem ziemlich großen Dilemma.
    Von den Klimazielen her gesehen hat die Braunkohle keine Zukunft in Deutschland, aber in den Regionen wie in der Lausitz, wo die Menschen, wo die Wirtschaft noch von der Braunkohle sehr abhängig ist, haben die Regierungen sowohl auf Landesebene wie auch auf Bundesebene noch kein Konzept vorgelegt, wie man da aus der Braunkohle aussteigen soll.
    Vattenfall hat gerade jetzt angekündigt, dass sie die ganzen Braunkohletagebaue und die Braunkohlekraftwerke in der Lausitz verkaufen werden, und jetzt wäre es nötig, dass, na ja, Landesregierung, Bundesregierung, Gewerkschaften, die anderen Wirtschaftssektoren in der Lausitz und in Brandenburg und Sachsen und überhaupt, dass sie sich zusammentun und ein Konzept für den Strukturwandel ausarbeiten.
    Reimer: Der australische Journalist Tom Morton über Kohlebergbau in Indien, Australien und der Lausitz im Vergleich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.