Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Energiespeicher
Die Kraft des Rhabarbers

Technik. - Wächst der Anteil erneuerbarer Energien in unserem Stromnetz, tritt die Frage nach der Speicherung immer mehr in den Vordergrund. Denn diese Energiequellen sprudeln nicht immer. Speicher könnten diese Lücken ausgleichen, sind aber mit herkömmlichen Batterietechnologien sehr teuer. Wie eine kostengünstige Alternative im Prinzip aussehen könnte, das demonstrieren Forscher der Harvard University heute im Fachblatt "Nature".

09.01.2014
    Wer Windenergie für das Stromnetz speichern möchte, muss damit unter Umständen auch tagelange Flauten überbrücken können. Herkömmliche Batterien eignen sich kaum für solch eine Aufgabe. Davon ist Michael Aziz überzeugt, Professor für Materialwissenschaften an der Harvard University. Denn soll der Energiespeicher über einen langen Zeitraum Strom liefern, braucht er eine große Anzahl einzelner Batterien. Das sei mit konventioneller Technik zu teuer, urteil der US-Forscher. Er favorisiert eine andere Zellarchitektur, nämlich eine Flussbatterie, auch Redox-Flow-Zelle genannt.
    "Eine solche Batterie speichert Energie in Form von flüssigen Chemikalien, die in großen Tanks gelagert werden – und nicht in der Batterie selbst. Die Lösungen werden dann in die eigentliche Zelle hinein gepumpt, wo die Energieumwandlung stattfindet: Die chemische Energie, die in den Substanzen gespeichert ist, wird in elektrische Energie überführt, wenn man die Batterie entlädt. Polt man den Akku um und schickt Strom hindurch, lädt man die Chemikalien wieder mit Energie auf."
    Die Speicherkapazität solch eines Systems lässt sich leicht erhöhen, einfach indem man die Vorratsbehälter vergrößert. Aber auch hier stieß man bisher an eine Kostengrenze. Denn etablierte Flussbatterien speichern die Energie mit Hilfe von Vanadiumsalzen.
    "Vanadium ist sehr teuer. Will man große Vorratsbehälter mit enormen Mengen solch einer Salzlösung befüllen, dann sollte man natürlich die Ausgaben dafür im Auge behalten. Denn die Kosten steigen schließlich mit der Größe des Speichertanks."
    Auf der Suche nach einer preiswerten Alternative zog Michael Aziz auch solche Substanzen in Erwägung, die für Batterieanwendungen als eher exotisch gelten: organische Molekülverbindungen. Von denen existiert eine nahezu unüberschaubare Vielzahl. Rund 10.000 organische Moleküle haben die Harvard-Wissenschaftler zunächst am Computer gemustert.
    "Einiger der Substanzen haben sich als schlechte Kandidaten für unsere Zwecke entpuppt, andere als gute. Mit dieser Batterie präsentieren wir nun die erste, die sich als wirklich hervorragend erwiesen hat."
    Eine Substanz aus der Klasse der Chinone. In Schwefelsäure aufgelöst wird sie am Minuspol der Batterie umgesetzt. Für den Pluspol verwenden die Forscher eine konventionelle Halbzelle auf Basis von Brom, die aber ebenfalls keine Metalle enthält. Diese Kombination sei eine preiswerte Alternative zu den Vanadium-Flussbatterien, erklärt Michael Aziz.
    "Chinone sind im Rohöl reichlich vorhanden. Und sie sind sehr billig. Man könnte sich auch vorstellen, sie aus Pflanzen zu gewinnen. Denn Chinone kommen in allen grünen Pflanzen vor. Wer jeden Tag sein Gemüse isst, verleibt sich auch Chinone ein. Das Chinon, das wir verwenden, findet sich leicht abgewandelt zum Beispiel in Rhabarber wieder."
    Organische Verbindungen haben jedoch auch Nachteile: Sie sind weniger stabil als Metallsalze. Darauf weist der Chemiker Grigorii Soloveichik hin. Der Batterie-Experte arbeitet für einen großen US-Konzern. Er hat die Veröffentlichung der Harvard-Forscher kritisch unter die Lupe genommen und sich eine eigene Meinung gebildet.
    "Bis jetzt haben sie erst für wenige Ladezyklen zeigen können, dass die Batterie stabil funktioniert. Das liegt natürlich weit jenseits der Anforderungen an einen stationären Stromspeicher. Der muss Tausende von Zyklen durchlaufen bei einer Lebenszeit von über zehn Jahren."
    Zusammen mit einem Unternehmen aus Connecticut möchten die Harvard-Forscher ihre Flussbatterie in dieser Hinsicht optimieren und vom Labor in eine große Demonstrationsanlage überführen.