Donnerstag, 18. April 2024

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Energietanken auf Goethes Spuren

Das Lauterbrunnental in der Nähe von Interlaken wartet auf mit einer Vielzahl von Wasserfällen. Doch der berühmteste von ihnen, der Staubbachfall, scheint ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein.

Von Renate Rutta | 11.04.2010
    "Lauterbrunnen, alle aussteigen, wir wünschen Ihnen einen schönen Abend."

    Der Zug von Interlaken herauf ist in Lauterbrunnen angekommen. Die Reisenden steigen aus, auf dem Bahnsteig herrscht ein lautes Sprachengewirr. Einige gehen zur Straße hinauf zur Bushaltestelle, um ans Tal-Ende zu gelangen. Die meisten nehmen die Bahn hinauf ins autofreie Wengen oder noch weiter bis zur Jungfrau.

    "Ja, das ist eine Zahnradbahn, sowohl als auch. Das ist im Flachen, damit man besser fahren kann, ist`s ohne Zahnrad, und wenn`s in die Steigung geht, wird dann eingeklinkt. Das ist dann eine Zahnradbahn. Die Strecke ist von Interlaken nach Lauterbrunnen, und es gibt eine Zweigstelle nach Grindelwald.
    Lautsprecherdurchsage."

    Es ist ein bisschen wie eine Zeitreise hier herauf. Langsam und bedächtig nimmt die Bahn die vielen Kehren, und die Steigung herauf ins Lauterbrunnental. Kommt eine Bahn an, herrscht für kurze Zeit Getümmel. Ein paar Minuten später ist der Bahnsteig leer. In Lauterbrunnen selbst bleiben die wenigsten Touristen. Dabei hat der kleine Ort – schon erwähnt im Jahre 1240 - allerhand zu bieten.

    Tief eingeschnitten zieht sich das lang gestreckte Tal von hier aus dahin, rechts und links begrenzt von steil aufsteigenden Felswänden. Hier schießt Regen- und Schmelzwasser in imposanten Wasserfällen über mehrere hundert Meter hohe Felsstufen.

    72 Wasserfälle stürzen über die Felswände zu Tal. Einer von ihnen ist der Staubbachfall. Schon vom Dorf-Ende aus sieht man ihn auf der rechten Talseite.

    Im Herbst 1779 besuchte Goethe während seiner zweiten Schweizreise das Dorf Lauterbrunnen. Er gastierte im Pfarrhaus bei Pfarrer Johannes Unger. Tags darauf unternahm er eine Wanderung in Hintere Lauterbrunnental. Am 14. Oktober 1779 schrieb er ein Gedicht über den Staubbach "Gesang der Geister über den Wassern".

    "Er hat in einem Brief an Charlotte von Stein geschrieben: 'Wir haben den Staubbach bei gutem Wetter zum ersten Mal gesehen und der blaue Himmel schien durch. An den Felswänden hingen Wolken. Selbst das Haupt, wo der Staubbach herunterkommt, war leicht bedeckt. Es ist ein sehr erhabener Gegenstand.'"


    Der Staubbachfall, der 297 Meter über die Mürrenflue fällt inspirierte Goethe zum Vergleich der menschlichen Seele mit dem natürlichen Kreislauf des Wassers und des menschlichen Schicksals mit dem Wind.

    "Ein wunderbares Gedicht. Der Anfang lautet: 'Des Menschen Seele gleicht dem Wasser. Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es und wieder nieder zur Erde muss es, ewig wechselnd.'"

    Strömt von der hohen steilen Felswand, der reine Strahl, dann stäubt er lieblich in Wolkenwellen zum glatten Fels, und leicht empfangen wallt er verschleiernd leisrauschend zur Tiefe nieder.
    Ragen Klippen dem Sturz entgegen schäumt er unmutig stufenweise zum Abgrund.
    Im flachen Bette schleicht er das Wiesental hin und in dem glatten See weiden ihr Antlitz alle Gestirne.
    Wind ist der Welle lieblicher Buhler, Wind mischt vom Grund aus schäumende Wogen.
    Seele des Menschen, wie gleichst Du dem Wasser! Schicksal des Menschen, wie gleichst Du dem Wind!


    Früher war der Staubbachfall nur bis zum Spätherbst zugänglich. Im Winter war er wegen Eisschlaggefahr gesperrt.

    Heute kann man das ganze Jahr über durch einen neuen gesicherten Zugang bis hinauf zum Staubbachfall. Zu allen Jahreszeiten hat er seine Reize. Besonders spektakulär ist er nach der Schneeschmelze oder nach heftigen Regenfällen. Im Winter bedecken bizarre Eisgebilde den unteren Teil der Felswand. Wir sind im Spätsommer da mit Denise Haueter, die sich gut auskennt im Tal.

    "Der Tunnel ist der Durchbruch durch die Felsen damit man zur Staubbachgalerie kommt. Vor dem Staubbachfall gibt es einen Hügel, da kann man hochgehen und dann durch diesen Tunnel, dann geht’s ein paar Treppen hoch und dann über die Galerie unter den Staubbach. Ein wunderschönes Erlebnis. Wir sind jetzt am Ende des Tunnels vor den Treppen, die ebenfalls in den Fels gehauen wurden und den Zugang hinter den Staubbachfall ermöglichen. Die Sonnenstrahlen scheinen ein bisschen rein. Man sieht, wie der Staub, der Wasserstaub glitzert im Sonnenstrahl, das Wasser tropft von den Felswänden."

    "Da tropft es bereits ziemlich stark vor der Galerie. Wir sind fast im Trockenen, nicht ganz, ab und zu tropft es auch auf der Galerie. Aber die Tropfen kommen glitzernd vom Felsen runter. Wir sind noch nicht ganz unter dem Staubbach, der kommt erst nach dem nächsten Abschnitt. Aber wir haben schon jetzt einen tollen Ausblick aufs Tal, aufs Lauterbrunnental."

    "ja jetzt sind wir hinter dem Vorhang, hinter dem Wasservorhang. Perlende, in der Sonne glitzernde Wassertropfen kommen runter. Wir sind jetzt hinter dem Staubbachfall und im Moment ist es windstill, drum werden wir nicht geduscht. Aber sobald eine Windböe kommt, werden wir mit dem Wasserstaub eingehüllt und dann wird die Sicht milchig und unklar, aber herrlich kühl und erfrischend."

    "Superschön, einmalig, im Tal unten das Dorf Lauterbrunnen und rechter Hand Schneeberge und ein Regenbogen unten entlang an der Felswand."

    "Wir sind ein Stück zurückgegangen, da wo es so herrlich tropft, die Wassertropfen auf die Felswand klatschen. Etwas, was sehr spannend für mich ist, da kommt ein Wasserfall mit seiner ganzen Wucht und Kraft vom Berg runter und wenn er unten ist, ist er ein ganz gemütliches Bächlein. Faszinierend bei Wasserfällen ist ja auch, dass unter Wasserfällen ist immer eine enorme natürliche Energie und das ist immer schön, Energie zu tanken, sich wieder lebendig zu fühlen. Heute genießen wir die Lieblichkeit, die Schönheit und nicht die zerstörerische Kraft des Wassers."