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Energiewende
"Für uns ist RWE ja nicht irgendwer in Essen"

680 Millionen Euro Eigenkapital habe die Stadt Essen wegen ihrer Beteiligung am Energiekonzern RWE verloren, berichtete Kämmerer Lars Martin Klieve im Deutschlandfunk. Schuld daran seien auch die gesetzlichen Regelungen.

Lars Martin Klieve im Gespräch mit Thielko Grieß | 16.04.2014
    Der Essener Kämmerer Lars Martin Klieve (CDU)
    Der Essener Kämmerer Lars Martin Klieve (CDU) ( picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Die Stadt sei deshalb nah an der Überschuldung. An den Anteilen am Unternehmen in der Krise halte man aber fest. Nicht zuletzt, weil es seine Zentrale in Essen habe.
    Die Verbindung von Essen zu RWE sei so alt wie das Unternehmen selbst, betonte Klieve. Der Konzern sei ein wichtiger Arbeitgeber. Bislang habe die Dividende dazu gedient, den Nahverkehr in Essen mit zu finanzieren. Nun müssten dafür mehr Steuergelder verwendet werden.

    Das Interview in voller Länge
    Thielko Grieß: 3,50 Euro je Aktie, das war einmal eine ordentliche Dividende – vor wenigen Jahren noch. Wer Aktien des Energiekonzerns RWE besaß, konnte diese 3,50 Euro einstreichen. 2010 wurde sie zuletzt so gezahlt. Strom aus Kohleverbrennung - und das ist das Hauptgeschäft von RWE -, das war damals noch eine sprudelnde Quelle. Inzwischen verdient RWE deutlich weniger, die Gewinne sind eingebrochen, haben sich in ein Minus verwandelt. Die Dividende, die könnte in diesem Jahr bei nur noch einem Euro je Aktie liegen. Der Konzern, er steht noch, aber er steht auf schwachen Füßen, und heute ist Hauptversammlung in Essen. Am Telefon ist der Kämmerer der Stadt Essen. Guten Morgen, Lars Martin Klieve.
    Lars Klieve: Schönen guten Morgen aus Essen.
    Grieß: Was haben Sie bisher mit der RWE-Dividende finanziert in Essen?
    Klieve: Unmittelbar haben wir damit die Nahverkehrsleistung finanziert, weil wir die Aktien bei uns in der Holding halten, die sowohl die Stadtwerke als auch den Nahverkehr, den ÖPNV unter sich vereinigt. Insofern hat die Dividende komplett dazu gedient, den Nahverkehr jedenfalls in wesentlichen Teilen zu finanzieren. Und in dem Umfang, wie die Dividende jetzt rückläufig ist – das ist seit der Energiewende rund 50 Millionen Euro pro Jahr -, kann diese Kompensation nicht mehr gewährleistet werden.
    Grieß: Das heißt, in Essen fahren demnächst weniger U-Bahnen und Busse, weil Sie es sich nicht mehr leisten können?
    Klieve: Nein. Das heißt, bislang wird das dann aus dem Steuerhaushalt finanziert. Das heißt, wir müssen nehmen einem angestrengten Sanierungskurs, womit wir unser Defizit von vor vier Jahren noch über 400 Millionen Euro auf null drücken wollen, parallel dazu auch noch den Nachtrag finanzieren, in größerem Umfang, als wir das bislang kannten.
    Grieß: Die Kollegin Denise Friese in ihrem Beitrag vor unserem Gespräch hat es angesprochen: Die Dividende, die niedriger ausfällt, ist das eine Problem. Das zweite Problem ist, dass Sie den Wert der Aktien neu bewerten müssen in Ihrer Bilanz, und das führt dazu, dass bei einem Aktienkurs von gestern - ich habe es mir aufgeschrieben – 28,43 Euro inzwischen diese Wertberichtigung massiv ausfällt. Wie groß ist dieser Mühlstein RWE um den Hals von Lars Martin Klieve inzwischen geworden?
    Klieve: Wir haben mit dem Jahresabschluss, den wir jetzt am 31. 3. vorgelegt haben, den Buchwert von 75,92 Euro auf 26,61 Euro reduziert. Das macht insgesamt einen Buchwertverlust von 680 Millionen Euro. In dem Umfang haben wir Eigenkapital verloren und sind damit nahe an der Überschuldung.
    Grieß: Und damit wollen Sie sagen und damit argumentieren Sie, es lohnt sich nach wie vor für Essen, Aktien an RWE, dem taumelnden Riesen, zu halten?
    Klieve: Na ja, der Schaden ist ja jetzt eingetreten. Das heißt, wir haben nachvollzogen, was in den vergangenen Jahren an der Börse passiert ist. Wir haben das über mehrere Jahre hinweg nicht gemusst. Die Rechtslage ist insofern jetzt angepasst worden, dass wir das nachvollzogen haben, und damit haben wir praktisch pro Aktie 50 Euro verloren. Das haben wir jetzt abgebildet. Ich gehe davon aus, dass irgendwann auch die Talsohle erreicht sein Muss, weil es kann ja dauerhaft nicht sein, dass man für das Vorhalten von Energie und damit auch die Gewährleistung der Energiesicherheit am Ende Geld mitbringen muss und damit kein Geld verdient.
    "Die Verbindung zu RWE ist so alt wie das Unternehmen"
    Grieß: Noch einmal kurz die Frage. Sie haben kurz gesagt, was Sie jetzt an Wert berichtigt haben. Ich wollte noch auf die nächsten Schritte schauen, und das haben Sie ja als Kämmerer auch immer im Auge. Was passiert mit dieser Beteiligung an RWE? Ist das immer noch ein Zukunftsgeschäft?
    Klieve: Nun, es ist ja nicht so, als hätten wir uns überlegt, an welchen Aktienunternehmen könnten wir uns beteiligen, sondern die Verbindung zu RWE ist so alt wie das Unternehmen, man kann auch sagen, so alt wie Elektrizität in Deutschland, ist die Verbindung von RWE und Essen. Das ist ja auch gar nicht abwegig, weil der wesentliche Bereich der Versorgung war ursprünglich in Deutschland kommunal organisiert, und zwar nicht nur bei Strom seit der Erfindung oder seit jeher, sondern in wesentlichen Versorgungsbereichen im Übrigen auch, ob das Gas oder Wasser ist, und erst recht im Bereich der Entsorgung, was ja bis heute noch ein wesentlicher Zug ist.
    Insofern ist das jetzt nicht so, als hätten wir uns hingesetzt und gesagt, was können wir denn auf dem Börsenzettel mal investieren, sondern das ist ja ganz anders. Es ist eine historisch bedingte Beziehung. Aber für uns ist RWE natürlich auch nicht irgendwer in Essen. Es ist neben der traditionellen Verbindung auch ein vielfältiger Partner, unter anderem auch als wesentlicher Anteilseigner unserer städtischen, unserer Essener Stadtwerke, aber auch ein wichtiger Arbeitgeber am Standort, und das war auch immer ein wichtiger Faktor in der Frage, wo werden neue Arbeitsplätze angesiedelt. Diese Frage hat sich jetzt inzwischen umgedreht, nämlich in einer Zeit, wo Arbeitsplätze abgebaut werden, ist die Frage, wo werden Arbeitsplätze als erstes abgebaut, und insofern ist auch da das Bekenntnis der Stadt Essen zum Unternehmen gewiss nicht schädlich.
    "Verkauf der Aktien würde sich nicht rechnen"
    Grieß: Herr Klieve, in Essen wird Wahlkampf geführt zurzeit. Im Mai sind Kommunalwahlen nicht nur in Essen, sondern in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens. Und im Wahlkampf werden ja gerne auch Versprechungen gemacht. Sie als Kämmerer müssen sehen, dass die Kasse irgendwie stimmt, dass Sie das Geld zusammenhalten. Wie groß ist die Versuchung in der Essener Politik, aus diesen RWE-Aktien, die ein bisschen unlieb geworden sind, doch Geld zu machen?
    Klieve: Ich nehme das als keine große Versuchung wahr. Das Thema wurde heftig diskutiert vor meiner Zeit, als der Kurs im Bereich von 100 Euro war. Ich glaube, die Verlegenheit, das ganze zu Geld zu machen, ist bei einem Kurs, der noch rund ein Viertel dessen beträgt, wesentlich geringer. Aber ich kann auch zumindest als Trost sagen, an jedem einzelnen dieser Tage war die Dividende, die Rendite höher als die Kredite, die wir ansonsten alternativ hätten tilgen können. Das heißt, der Verkauf der Aktien und die Tilgung von Krediten würde sich selbst heute nicht rechnen, das heißt, würde nicht zu einer Verbesserung des Haushalts führen, sondern zu einer Verschlechterung. Und was Besseres, als Kredite zu tilgen, wüsste ich absolut nicht bei einer Stadt, die 3,3 Milliarden Kredite vor sich herschiebt.
    Grieß: Essen ist ein Anteilseigner. Es gibt weitere Kommunen. Insgesamt gehören den Kommunen 25 Prozent, ein Viertel von RWE. Das ist doch eine Gestaltungsmacht. Gibt es da Bewegungen, sich zusammenzutun und die Konzernpolitik zu beeinflussen, so, dass die Kommunen von ihrer Beteiligung an RWE künftig wieder mehr haben?
    Klieve: Tatsächlich gibt es hier eine Bündelung von kommunalen Anteilen in der RWE-Beteiligungs-GmbH. Da sind eine Vielzahl von Kommunen, allen voran Dortmund und Essen, Mülheim und andere aber auch. Die haben ihre Aktienpakete dort eingelegt und versuchen natürlich, damit auch Einfluss zu nehmen. Es geht aber in erster Linie darum, dass man eine steuerliche Schachtel gewährleistet und damit ...
    Grieß: Eine was? Eine steuerliche Schachtel? Was ist das?
    Klieve: ..., dass wir eine steuerliche Privilegierung halten und damit nicht in dem Umfang Steuern zahlen müssen auf die Dividendenerträge, wie das bei einer Beteiligung unter 15 Prozent erforderlich wäre.
    Grieß: Da geht es aber dann nicht um die Konzernpolitik und da geht es nicht um das Umgehen mit der Energiewende?
    Klieve: Jetzt enthält jede Aktie natürlich auch ein Stimmrecht und durch die Bündelung des Aktienkapitals hat man natürlich auch eine Bündelung des Stimmrechts. Allerdings haben wir auf keiner Hauptversammlung eine Mehrheit. Das muss man auch dazu sagen. Und letztlich muss es ja darum gehen, dass man gemeinschaftlich dieses Unternehmen zum Erfolg führt. Da sind ja Aktionäre und Vorstand im selben Boot und da sehe ich im Wesentlichen erst einmal das Problem, dass es ja nicht Marktentwicklungen waren, die zu der gegenwärtigen Situation geführt haben, sondern eine Überlagerung durch gesetzliche Regelungen, die ja im ersten Zug die Kernkraftwerke mit einem Sonderabschreibungsbedarf ausgestattet haben, und nachdem dieser Schmerz verbunden ist, über den in Teilen jetzt ja auch noch das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird, gibt es das zweite Problem, dass nämlich auch mit den konventionellen Kraftwerken aufgrund des Einspeisevorrangs regenerativer Energien kein Geld mehr zu verdienen ist, und das kann kein Dauerzustand sein, denn für den Fall, dass der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es ja ...
    Der Hauptsitz des Energielieferanten RWE in Essen
    Der RWE-Hauptsitz in Essen (AP Archiv)
    Grieß: Herr Klieve, ich glaube, das wünschen sich die allermeisten Kommunen. Sprechen wir noch ganz kurz über die Sondersituation von RWE in Essen. RWE unterhält dort ja seine Zentrale. Ein hoher Turm ist das, das höchste Gebäude im Ruhrgebiet, glaube ich, von überall aus gut zu sehen. Aber bei RWE wird überlegt, diesen Turm zu verkaufen. Es ist aber auch das Wahrzeichen Ihrer Stadt. Wäre es okay, wenn RWE den Turm zu Geld macht?
    Klieve: Dann muss sich ein Käufer finden, der die Problemlage, die RWE beschrieben hat, nicht hat. Ich weiß auch nicht, ob es ein besonders kluger Ansatz war, erst mal zu erklären, welche Probleme man mit der Nutzung des Gebäudes hat, um es dann auf den Markt zu werfen. Ich fände das schon einen Verlust an Identifikation und auch an Identität des Unternehmens und würde davon abraten. Aber letztlich ist auch das eine Frage, wo Angebot und Nachfrage das Ergebnis bringen werden, und wenn sich niemand findet, der das zu den angestrebten Preisen kaufen möchte, dann wird RWE möglicherweise den Turm länger nutzen, als es heute im Raume steht.
    Grieß: RWE, die schwindenden Gewinne, die Verluste im Konzern und die Folgen für die Eigentümer, die kommunalen Eigentümer – ein Gespräch war das mit Lars Martin Klieve, dem Kämmerer der Stadt Essen. Herr Klieve, danke für das Gespräch und einen schönen Tag heute in Essen.
    Klieve: Ich danke Ihnen, beste Grüße aus Essen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.