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Energiewende in der Industriestadt
Wie Bottrop den CO2-Ausstoß halbieren will

Die Industriestadt Bottrop im Ruhrgebiet stand bisher vor allem für Stahl, Kohle, Industriequalm und Umweltbelastung. Doch die Kohlezeit geht dem Ende zu, Bottrop hat jetzt ein anderes Projekt: Innerhalb eines Jahrzehnts soll der CO-2-Ausstoß der Stadt halbiert werden. Vor allem durch eine enge Vernetzung von Industrie und Wohngebäuden.

Von Alois Berger | 12.12.2015
    Menschenkette gegen Braunkohle: Umweltaktivsten protestieren Hand in Hand gegen neue Braunkohletagebau und für die Energiewende
    InnovationCity, das ist der Code-Name, unter dem die Industriestadt Bottrop von der Kohlevergangenheit direkt in die Energiesparzukunft wechseln will. (dpa / picture alliance / Andreas Franke)
    "Das ist die Brennstoffzelle, sieht unspektakulär aus."
    Ute Gräfe und ihr Mann haben sich ein Heizkraftwerk in den Keller gestellt. Das Gerät ist kaum größer als ein Kühlschrank, aber damit heizen sie jetzt ihr Einfamilienhaus - und Utes Blumenladen nebenan gleich mit. Darüber hinaus liefert der kleine Stahlschrank auch noch Strom für die ganze Familie. Kraft-Wärme-Kopplung, nennen es die Fachleute. Ein kleines Wunderwerk, findet Ute Gräfe:
    "Wir wollten weg vom Öl. Weg von dem dauernd kucken, ob der Preis steigt oder fällt. Und ich musste das immer kaufen, hatte da sehr viel Stress mit. Und Innovation City hatte jetzt das Projekt, 100 KWK-Anlagen, ich sofort rein in den Laden und habe mich beworben. Und das klappte dann auch sofort."
    Ein weiter Schritt in die Zukunft
    InnovationCity, das ist der Code-Name, unter dem die Industriestadt Bottrop von der Kohlevergangenheit direkt in die Energiesparzukunft wechseln will. Rund 300 Projekte hat das Management der InnovationCity vor fünf Jahren gemeinsam mit den Bürgern der Stadt ausgearbeitet. Ute Gräfes Mikroheizkraftwerk gehört dazu. In Bottrop wollen sie ausprobieren, ob man mit vielen kleinen Kraftwerken große Anlagen ersetzen kann. Dirk Smit ist der Installateur der Anlage, die bei den Gräfes im Keller steht:
    "Es ist natürlich ein weiter Schritt in die Zukunft, also weit vorausgesehen. Der Gedanke: Viele kleine einzelne Haushalte, die dann Strom produzieren, zu einem virtuellen Kraftwerk bedarfsgerecht zusammenzuschalten."
    Energiewende beschäftigt die Leute in Bottrop
    Installateur Smit ist ein Tüftler, dem solche Projekte sichtlich Spaß machen. Je mehr Häuser ihren Strom selbst machen, desto weniger Stromtrassen sind nötig. Und wenn man die verstreuten Mikroanlagen zentral steuern kann, überlegt Smit, also zusammen rauf und runter schalten, dann wären diese Kleinstkraftwerke doch die ideale Ergänzung zu den wetterabhängigen Wind- und Sonnenenergien. Solche Fragen diskutieren die Gräfes jetzt öfter in ihrem Heizungskeller, und nicht nur mit dem Installateur.
    "Ich hab sehr viele Kundinnen im Floristik-Bereich -die sind erstaunt, wie viel ich über eine KWK-Anlage weiß. Und sehr viele waren schon hier im Keller, und die bringen dann auch ihre Männer zum Teil mit und sind sehr interessiert, ja."
    Die Energiewende in ihrer Stadt beschäftigt die Leute in Bottrop. Und Ute Gräfe ist jetzt so etwas wie eine lokale Fachkraft. So, wie sie früher die Ölpreise kannte, kennt sie jetzt die Preise für Gas, für Strom und die entsprechenden Steuersätze. Denn wer Strom erzeugt, der muss Steuern zahlen, auch, wenn er das Meiste selbst verbraucht.
    "Wir sind halt Pioniere jetzt auf diesem Gebiet. Also, das erste Jahr war anstrengend. Besonders anstrengend, ich sag mal die steuerliche Geschichte. Also das Finanzamt, wenn die Gräfe hören, die kennen mich schon sehr sehr gut. Da war ich täglich. Und keiner, selbst das Finanzamt weiß nicht bescheid, wie das wirklich läuft. Aber wir sind jetzt im zweiten Jahr, und da funktioniert bis jetzt doch alles schon deutlich besser."
    CO-2-Ausstoß um 50 Prozent senken
    Im Rathaus sammeln sie solche Erfahrungen und ziehen ihre Schlüsse. Innerhalb eines Jahrzehnts will die Stadt den CO-2-Ausstoß um 50 Prozent senken - und Bottrop liegt gut im Plan, jetzt, wo die Hälfte der Zeit um ist. Viel Energie wurde in Wohnhäusern eingespart, vor allem durch intensive Beratung und durch eine flexible Förderung. Inzwischen werden in Bottrop jedes Jahr fünfmal so viele Häuser energetisch modernisiert wie im Bundesdurchschnitt. Das Problem sind jetzt die Gewerbebetriebe, sagt Burkhard Drescher vom InnovationCity-Management. Drescher ist der Antreiber der Bottropper Energiewende:
    "Was wir gelernt haben, ist, dass in den Industrieunternehmen die Energiekosten nicht eine so dominante Rolle spielen, wie wir vielleicht gedacht haben. Die Unternehmen, die wir auch versucht haben zu beraten, sie zu bewegen, ihre Betriebe energetisch zu optimieren, die haben uns vorgerechnet, dass die Energiekosten nur zwei, drei, vier Prozent ausmachen und der Fokus dort liegt ganz wo anders. Deshalb ist das ein Thema, was so derzeit nicht so gut funktioniert."
    Dabei war zu Beginn gerade die Vernetzung von Wohnhäusern, Gewerbebetrieben und Industrieflächen die große Hoffnung in Bottrop. Ideen gab es genug: Man überlegte, die Abraumhalden der Bergwerke als Wärmespeicher zu nutzen oder mit dem Wasserdampf der örtlichen Kokerei Bürogebäude, Altersheime und Werkhallen zu heizen.
    "Es ist ja aberwitzig, dass wir in der Industrie jede Menge überschüssige Energie haben, wie überschüssige Wärme, die in die Luft geblasen wird. Und es ist uns bisher nicht gelungen, diese Wärme für andere Betriebe, die einen Wärmebedarf haben, zum Beispiel nutzbar zu machen."
    Große Hoffnung in Bottrop
    Doch jetzt will Bottrop auch die Industrie stärker in die Pflicht nehmen. Einer der größten Stromfresser ist das Aluminiumwerk am Stadtrand. Viele Arbeitsplätze hängen an dieser Fabrik, und die dürfen aus Sicht der Stadt nicht gefährdet werden. Aber das Aluwerk könnten mit wenig Aufwand seinen Stromverbrauch an das schwankende Angebot anpassen. Energiewende-Manager Drescher hat dafür ein fertiges Konzept ausarbeiten lassen:
    "Die können mit wenigen Absenkungen in der Temperatur sehr stark den Stromverbrauch regulieren. Das heißt, wenn sehr viel Wind da ist, also viel Strom, fahren die hoch, und wenn wenig Wind da ist, fahren die runter und können damit das Netz stabilisieren."
    Noch ziert sich das Unternehmen. Deshalb hat Burkhard Drescher in Berlin spezielle Fördermittel beantragt: für ein Pilotprojekt zur Stabilisierung der Stromnetze. Wenn die Förderung erst mal steht, so die Hoffnung, dann werde sich das Unternehmen leichter überreden lassen.
    "Hier sehen sie ein typisches Verschleißteil für die Stahlindustrie, Haltbarkeit 100 Stunden, und durch diese Produkte fließt flüssiger Stahl."
    Wohnungsbestand schneller sanieren
    Ralf Warkotsch ist stolz auf die Qualitätsarbeit seiner Schweißer. 1.600 Grad müssen die meterhohen Stahlringe später aushalten. Geschweißt wird mit über 3.000 Grad. Das kostet Strom, viel Strom. Mehr als 1.000 Euro hat der 40-Mann-Betrieb früher allein dafür ausgegeben, pro Monat. Heute hat Warkotsch 300 Solarmodule auf dem Dach seiner Werkhalle. Seine Leute schweißen mit Sonnenenergie, und was übrig bleibt, wird ins Netz eingespeist.
    Ralf Warkotschs Firma Technoboxx ist einer der Vorzeigebetriebe in Bottrop:
    "Wir haben ca ein Kilometer Kunststofffußbodenheizung verlegt. Die Wärmeerzeugung findet über einen Pelletbrenner statt, die Fußbodenheizung ist sehr effektiv. Normale Hallenheizungen funktionieren ja über Konvektion, das heißt, überall hängen große Gebläse in sehr hoher Höhe, und dann ist die Wärme nämlich nicht da, wo wir sie wollen, nämlich unten am Boden, wo die Mitarbeiter sich aufhalten. Und hier stehen sie sozusagen direkt auf der Heizung."
    Doch solche Firmen gibt es noch zu wenige. In den ersten fünf Jahren des Klima-Projektes hat Bottrop vorgemacht, wie man den Wohnungsbestand schneller sanieren kann. Was noch fehlt, ist ein Rezept, wie man auch Industriebetriebe zum Energiesparen bewegt.