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Energiewende
"Reduzierung von Kohle stellt auch Gabriel nicht infrage"

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel setzt weiter auf Kohlekraftwerke. Er halte aber an dem Ziel fest, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, sagte Matthias Miersch, umweltpolitischer Sprecher der SPD, im DLF. Die Regierung müsse nun einen Plan vorlegen, wie das erreicht werden solle.

Matthias Miersch im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.11.2014
    Der umweltpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Matthias Miersch.
    Der umweltpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Matthias Miersch. (picture alliance / dpa / Tobias Kleinschmidt)
    Allen sei klar, dass es einen Übergang geben müsse bis 2050. "Wir werden Kohlekraft in dieser Übergangsphase von 2020 bis 2050 brauchen." Die entscheidende Frage sei, welche Kraftwerke am Netz blieben. Der Staat müsse die Stellschrauben installieren, damit nicht hocheffiziente Gaskraftwerke vom Netz gingen und alte Kohlekraftmeiler weiter liefen. "Wir werden die 40 Prozent nicht erreichen, wenn wir nicht dazu kommen, dass ineffiziente Kraftwerke vom Netz gehen."
    Um das Ziel zu erreichen, seien "viele, viele Maßnahmen" notwendig. Der Emissionshandel funktioniere nicht und die Debatte über zu hohe Stromkosten sei auch eine Frage der politischen Steuerung.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es gab Zeiten, da posierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel von der SPD in roten Anoraks vor grönländischen schmelzenden Gletschern. 40 Prozent weniger Treibhausgas bis 2020 gaben sie als Ziel aus. Mittlerweile ist Sigmar Gabriel Bundeswirtschaftsminister und will denjenigen, wie er sagt, die Illusionen rauben, die glauben, man könne gleichzeitig aus der Kohle und aus der Atomkraft aussteigen. Mit seinem Festhalten an den Kohlekraftwerken, so sagen Kritiker, macht er die Klimaschutzziele, die er einst selbst gesteckt hat, unmöglich. Dennoch soll Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, ebenfalls von der SPD, bis Anfang Dezember erklären, wie die Klimaschutzziele dennoch zu erreichen sind, und anschließend auf dem Klimagipfel in Lima Deutschland als Vorreiter beim Klimaschutz präsentieren. Am Telefon ist Matthias Miersch, umweltpolitischer Sprecher der SPD. Guten Morgen.
    Matthias Miersch: Guten Morgen!
    Kaess: Lässt denn Ihr Parteikollege Sigmar Gabriel Ihre Parteikollegin Barbara Hendricks im Regen stehen?
    Miersch: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja jetzt die gute Situation, dass wir zwei Schlüsselministerin in der Hand der SPD haben, nämlich das Wirtschaftsressort und das Umweltressort, und beide, denke ich, haben ihre Aufgaben: Sigmar Gabriel natürlich den Blick auch in alte Technologien zu lenken wie Kohle, das ist ein großes Thema in bestimmten Regionen, und die Umweltministerin natürlich den Klimaschutz. Das gibt Debatten. Das Entscheidende ist, dass beide auch gestern noch mal betont haben, dass sie an dem 40 Prozent Minderungsziel festhalten, und daran müssen sich beide messen lassen.
    Kaess: Aber Barbara Hendricks fordert eigentlich die Reduzierung von Kohle. Wer wird denn jetzt hier gewinnen, Gabriel oder Hendricks?
    Miersch: Na ja. Die Reduzierung von Kohle, glaube ich, stellt auch Sigmar Gabriel nicht in Frage. Ich finde, wir führen da im Moment sowieso eine Phantom-Diskussion, denn ich kenne niemanden, auch keinen bewegten Umweltschützer, der gleichzeitig den Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohle fordert. Insofern ist das ein bisschen übertrieben, was wir da jetzt augenblicklich an Diskussionen haben. Allen ist klar, dass es einen Übergang geben muss bis 2050, und wir werden auch Kohlekraft in dieser Übergangsphase zwischen 2020 und 2050 brauchen. Die entscheidende Frage ist nur, welche der fossilen Kraftwerke brauchen wir, und augenblicklich haben wir die Situation, dass hoch flexible Gaskraftwerke vom Netz sind, und hier, glaube ich, ist auch der Staat - und da, glaube ich, muss Sigmar Gabriel auch noch mal überlegen, ob das richtig ist -, da muss der Staat Stellschrauben installieren, dass es nicht zu Verwerfungen kommt, dass hoch flexible Gaskraftwerke vom Netz sind und alte Kohlemeiler am Netz.
    Kohlekraftwerke abschalten
    Kaess: Aber, Herr Miersch, die entscheidende Frage im Moment scheint mir eigentlich das 40-Prozent-Ziel zu sein, und jetzt weiß doch jeder, dass Kohlekraftwerke ein maßgeblicher Faktor beim CO2-Ausstoß sind, und jeder weiß, die bringen eigentlich am meisten.
    Miersch: Genau! Das ist, glaube ich, auch unstrittig. Auch Sigmar Gabriel betont, dass sicherlich augenblicklich massive Überkapazitäten am Netz sind und dass wir auch Kohlekraftwerke abschalten müssen. Insofern ...
    Kaess: Warum überlässt er dann die Entscheidung der Industrie?
    Miersch: Das ist genau die Schlüsselfrage, denke ich, die das Kabinett in den nächsten Tagen, Wochen, möglicherweise wir alle zusammen in den nächsten Monaten auch beraten müssen, denn ich glaube, dass der Staat, die Gesellschaft, hier die Rahmenbedingungen setzen muss. Wir erleben zurzeit, dass ein Emissionshandel eigentlich Kohle mit die Folgekosten einpreisen soll. Dieser Emissionshandel funktioniert nicht, jedenfalls nicht so, wie es gedacht ist, und deswegen muss die Regierung eine Antwort finden, wie sie das 40-Prozent-Minderungsziel bis 2020 erreichen will. Dazu werden viele, viele Maßnahmen notwendig sein, auch das Zehn-Milliarden-Investitionspaket, das Herr Schäuble jetzt in den Raum gestellt hat, wird dazu, denke ich, benötigt, wenn es um Gebäudesanierung, Effizienz, geht. Aber das Thema Kohle, fossile Kraftwerke wird einen Raum einnehmen müssen. Da bin ich mir sicher, dass das auch Sigmar Gabriel akzeptiert. Wir werden dort politische Rahmenbedingungen setzen müssen. Und ich sage noch mal: Wir haben augenblicklich die Situation, dass wir fossile Kraftwerke, hoch flexible Gaskraftwerke, vom Netz haben. Das kann niemand wollen.
    Kaess: Also doch eine politische Entscheidung, dass Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Sigmar Gabriel muss umdenken?
    Miersch: Ich weiß nicht, ob er umdenken muss. Ich glaube, im Moment ist die Regierung erst mal am Zug, uns einen Plan vorzulegen, wie sie das 40-Prozent-Minderungsziel erreichen will, und dann wird man das kritisch reflektieren. Möglicherweise sind die Unternehmen ja auch schon selbst bereit dazu, einen Plan zu entwerfen. Da bin ich gespannt, was die Regierung uns am 3. Dezember präsentieren wird. Nur klar sein muss: Wir werden die 40 Prozent nicht erreichen, wenn wir nicht auch im Bereich des Strommarkt-Designs dazu kommen, dass ineffiziente Kraftwerke vom Netz gehen. Aber noch mal: Im Moment haben wir die Debatte so ein bisschen, dass wir angeblich 2020 aus der Kohle aussteigen wollen. Das, glaube ich, für niemand ernst zu nehmen ist.
    Kaess: Warum gibt es eigentlich die Sorge, oder warum formuliert Herr Gabriel die Sorge vor einer Unterversorgung, wenn Deutschland so viel Strom exportiert?
    Miersch: Na ja. Eine Unterversorgung, glaube ich jedenfalls, ist deswegen ein Thema, weil es bestimmte Regionen auch in Deutschland gibt, die zum Beispiel ohne fossile Kraftwerkskapazitäten augenblicklich nicht auskommen. Deswegen muss man die Systemrelevanz von Gebiet zu Gebiet beurteilen. Dazu glaube ich, das schließt aber nicht aus, dass wir Überkapazitäten, die wir in bestimmten Bereichen haben, ganz einfach dann auch vom Netz nehmen.
    Energiepreise sind Frage von politischer Steuerung
    Kaess: Und ein weiteres Argument von Gabriel ist die explodierenden Stromkosten, wenn wir aus der Kohle aussteigen würden. Wegen des vielen Stroms aus erneuerbaren Energien müsste man dennoch meinen, der Strom wird billiger.
    Miersch: Die Kostendiskussion, finde ich, ist auch eine Frage natürlich von politischer Steuerung. Wir wollen ja gerade - und das wollte die Politik ja vor Jahren; deswegen hat sie diesen Emissionshandel eingeführt -, wir wollten ja eigentlich die Folgekosten von Kohle und fossiler Energie verteuern, weil die augenblicklich nicht im Preis enthalten sind. Nur dieses Marktsegment, das funktioniert augenblicklich nicht, und deswegen, glaube ich, kann man auch nicht sagen, alte gegen neue Technologie, teure gegen billige. Das ist einfach eine Frage von der politischen Steuerung, wie Energiepreise sich entwickeln, und die funktioniert augenblicklich nicht, wie wir am Emissionshandel sehen, und deswegen müssen wir überlegen, wie wir die weitaus höheren Folgekosten vermeiden. Deswegen brauchen wir eine Debatte, wie wir den Umstieg 2020 bis 2050 ins erneuerbare Zeitalter organisieren. Da, glaube ich, brauchen wir noch eine gute und sachliche Diskussion vor allen Dingen.
    Kaess: ..., sagt Matthias Miersch. Er ist umweltpolitischer Sprecher der SPD. Danke für dieses Gespräch.
    Miersch: Ja, danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.