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Energiewende schreitet voran
Braunkohle-Kraftwerk in NRW geht auf die Reservebank

Frimmersdorf war mal das größte Braunkohlekraftwerk der Welt. Im Zuge der Energiewende wird die riesige Anlage in der Nähe der Stadt Grevenbroich nun vom Netz genommen und in Sicherheitsbereitschaft versetzt - für den Fall, dass Solar- und Windenergie knapp werden. Die Maßnahme ist teuer und umstritten.

Von Peter Hild | 29.09.2017
    Das RWE-Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf in der Nähe von Grevenbroich in Nordrhein-Westfalen; Aufnahme vom Oktober 2015
    Das RWE-Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf in der Nähe von Grevenbroich in Nordrhein-Westfalen; Aufnahme vom Oktober 2015 (picture alliance / dpa)
    Noch laufen sie unter Volllast, die beiden letzten aktiven Blöcke des Kraftwerks Frimmersdorf. Durch die Wärmeabstrahlung ist es rund um die beiden Generatoren in der großen Halle rund 40 Grad heiß, die Mitarbeiter tragen wegen des Lärms Gehörschutz, sie nennen die beiden Blöcke "Paula" und "Quelle". Für sie ist die Zeit nach dem Herunterfahren eine ungewohnte Herausforderung, betont Produktionsleiter Walter Scheffler:
    "Also wer glaubt, dass wir uns jetzt in den nächsten vier Jahren in der Sicherheitsbereitschaft hier so hinsetzten - nach dem Motto 'Wir setzen uns mal hin und warten, das jemand anruft' - also, der irrt sich!"
    Denn die Beschäftigten müssen alle Anlagen betriebsbereit halten, so dass sie im Notfall innerhalb von zehn Tagen wieder einsatzfähig sind. Walter Scheffler erläutert, was künftig zu tun ist:
    "Wir werden also die Mühlen drehen, wir werden den Nassentschlacker drehen, wir werden das Rost bewegen, damit diese Dinge alle nicht anrosten, sag ich mal, und natürlich auch die Antriebe testen, ob die noch laufen."
    Zuletzt Fernwärme für 1,2 Millionen Haushalte
    Kesselrohre werden mit Stickstoff gefüllt, damit sie nicht durch Sauerstoff korrodieren. Pumpen, Bänder und Antriebe müssen regelmäßig gestartet und bewegt werden, damit sie nicht einrosten. Diese Konservierung darf aber nicht so komplex sein, dass sie im Ernstfall nicht auch schnell wieder aufgehoben werden kann.
    Einst, in den 70er Jahren, war Frimmersdorf das größte Braunkohlekraftwerk der Welt. 16 Kraftwerksblöcke waren damals in Betrieb, wurden nach und nach vom Netz genommen. Zuletzt versorgte Frimmersdorf immer noch rund 1,2 Millionen Haushalte mit Fernwärme. Neben den beiden Blöcken dort sollen in den kommenden Jahren weitere Blöcke in benachbarten Kraftwerken im Rheinland sowie in Ostdeutschland vom Netz gehen, um insgesamt rund 12 Millionen Tonnen CO2 bis 2020 einzusparen. Für Christoph Weber, Professor für Energiewirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, hilft das zwar, die deutschen Klimaziele zu erreichen -
    "Das Emissionsbudget europaweit für CO2-Emissionen wird nicht verändert. Und wenn deutsche Braunkohlekraftwerke weniger von diesem Budget in Anspruch nehmen, dann heißt das, dass diese Emissionszertifikate für andere Kraftwerks- oder Anlagenbetreiber in Europa zur Verfügung stehen."
    - für eine längerfristige Reduzierung der Treibhausgase müsste aus Webers Sicht der europäische Zertifikatehandel überarbeitet werden. Denn der Preis für eine Tonne CO2-Emissionsrechte dümpelt seit Jahren auf EU-Ebene bei 5 Euro herum – weil die EU-Kommission diese Verschmutzungsrechte teils kostenlos und in zu hoher Zahl ausgegeben hat. Unter diesen Bedingungen lassen sich auch alte Kraftwerke gut betreiben.
    133 Euro Entschädigung pro Tonne CO2-Minderung
    Die Folge: Überkapazitäten am Strommarkt. Deshalb ist die von der Bundesregierung beschlossene Stilllegung großer Kohlekraftwerke für Energieexperte Weber ein logischer Schritt. Das zur Disposition stehende Kraftwerk in Frimmersdorf, die benachbarten Blöcke in Neurath und Niederaußem, aber auch in Jänschwalde in Brandenburg zählen für Umweltorganisationen außerdem seit langem zu den klimaschädlichsten in ganz Europa.
    Für die schrittweise Stilllegung erhalten die Betreiber deutscher Braunkohlekraftwerke insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro. Das macht umgerechnet 133 Euro pro Tonne CO2-Minderung. Guido Steffen, Sprecher des Kraftwerksbetreibers RWE, sieht darin aber lediglich einen Ausgleich für den unternehmerischen Aufwand:
    "Das ist jetzt kein Good Will, um uns dazu zu bewegen, die Anlagen vom Netz zu nehmen, sondern es ist in der Tat eine Vergütung dafür, für die Leistungen, die nötig sind, um den gewünschten Betriebszustand über vier Jahre lang zu gewährleisten."
    Trotzdem eine vergleichsweise hohe Summe, sieht das Ökoinstitut doch die Möglichkeit, für ein Zehntel der Kosten mehr Emissionen einzusparen, wenn bei der Reihenfolge der Einspeisung ins Stromnetz die saubersten, und nicht - wie heute - die günstigeren Kohlekraftwerke bevorzugt würden.
    "Verfügbarkeit von Braunkohlekraftwerken hilft nichts"
    Und Christoph Weber von der Universität Duisburg-Essen sieht noch einen Nachteil dieser Sicherheitsbereitschaft jahrzehntealter Kraftwerke:
    "Häufig wissen die Netzbetreiber erst wenige Tage, manchmal sogar erst wenige Stunden vorher, dass es eng werden könnte. Und in einem solchen Fall hilft die Verfügbarkeit von Braunkohlekraftwerken in der Sicherheitsbereitschaft nichts."
    Weil diese im Vergleich zum Beispiel zu Gaskraftwerken schwerfällig und langsam hochfahren. Unabhängig davon wollen die Beschäftigten vor Ort in Frimmersdorf wie Walter Scheffler trotzdem alles für eine sichere Stromversorgung auch in Zukunft tun:
    "Das seh' ich nicht nur mit sportlichem Engagement, sondern da fühl' ich mich für verantwortlich, dass das vernünftig läuft. Und dass wir die Dinge, die wir uns vorgenommen haben, dann auch einhalten."
    Zunächst aber werden die beiden 300-Megawatt-Blöcke morgen Abend heruntergefahren. Dann ist nach über 60 Jahren im einst größten Braunkohlekraftwerk der Welt zumindest vorerst der letzte Ofen aus.