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Engel auf Erden

Elsa Brandström handelte in ihrem Leben stets völlig selbstlos. Die schwedische Philanthropin wurde am 26. März 1888 in St. Petersburg geboren, ab 1914 engagierte sie sich für die unzähligen Kriegsgefangenen in Sibirien und dann später in den USA. Sie gilt heutzutage als weltliche Heilige und "Engel von Sibirien".

Von Ulrike Rückert | 26.03.2008
    "Berlin, 22. Februar 1926. Zum Tee bei der Gräfin Siersdorff im Adlon. Elsa Brändström, die während des Krieges und nachher unseren Kriegsgefangenen in Russland und Sibirien eine Vorsehung gewesen ist. Äußerlich ein auffallend hübsches, vornehmes, schlankes blondes Mädchen, eine nordische Jeanne d’Arc."

    Als Harry Graf Kessler der Schwedin Elsa Brändström begegnete, war sie als "Engel von Sibirien" weltbekannt und wurde mit Ehrungen überhäuft.

    "Ich glaube, dass ich der einzige Neutrale bin, der dem Geschick der Kriegsgefangenen in Russland und Sibirien vom Anfang bis zum Ende der Gefangenschaft gefolgt ist. Vom Winter 1914 bis zum Sommer 1920 arbeitete ich nämlich unter den Kriegsgefangenen, teils privat, teils als Delegierte des Schwedischen Roten Kreuzes und mit Vollmacht der schwedischen und dänischen Gesandtschaft als Schutzmächte."

    "Nicht, dass sie Tausenden das Leben gerettet hat, sondern dass sie ihnen den Glauben an die Menschheit gerettet hat, ist das tief Bewegende an ihr."

    Geboren war die Diplomatentochter am 26. März 1888 in St. Petersburg. Behütet wuchs sie in Schweden auf und kam mit 20 Jahren wieder nach Russland, als ihr Vater Gesandter am Zarenhof war. Ihre Welt waren Bälle und Teegesellschaften, doch als 1914 der Krieg ausbrach, wurde sie, wie viele andere, Krankenschwester. Sie versorgte auch Gefangene, die auf dem Weg nach Sibirien durch die Stadt kamen.

    "In Petersburg wurden große Mengen Kleider gesammelt, um die Gefangenen damit auszurüsten, bevor sie weiter östlich verschickt wurden. Als diese Quellen versiegten, übernahmen Frau von Heidenstam und ich diese Arbeit, zu der wir aus Deutschland große Summen erhielten."

    In den Kriegsjahren reiste sie monatelang in Güterzügen durch Sibirien und brachte Decken, warme Kleider und Medikamente in die Lager. Sie richtete Lazarette ein und schuftete in Seuchenbaracken. Zweimal war sie selbst todkrank. Und sie geriet in die Wirren der russischen Revolutionen und des Bürgerkriegs in Sibirien.

    "Im Juli 1918 wurde ich ebenso wie zwei schwedische und zwei dänische Delegierte gebeten, uns durch die Front mit großen Geldbeträgen nach Sibirien zu schlagen. Mancher spannende Augenblick wurde durchlebt, als wir mit Genehmigung des Volkskommissars Trotzki den letzten roten Posten hinter uns ließen und auf der weißen Seite zuerst freundlich aufgenommen, dann verhaftet, als Spione angeklagt, mit Erschießung innerhalb 24 Stunden bedroht, aber freigesprochen wurden und schließlich glücklich in Omsk anlangten."

    Auch nach dem Krieg setzte sie die humanitäre Arbeit fort. In Deutschland gründete sie ein Sanatorium für ehemalige Kriegsgefangene und ein Kinderheim. Das nötige Geld sammelte sie bei Vortragsreisen: sechs Monate lang fuhr sie kreuz und quer durch die USA, mit zwei oder drei Auftritten am Tag. 1929 heiratete sie den Philosophieprofessor Robert Ulich, der bedroht war, als Hitler an die Macht kam.

    "Ich habe sehr aktiv an der deutschen Politik teilgenommen und wäre wahrscheinlich deshalb auch ins Gefängnis gesteckt worden, wenn man nicht Elsa Brändström im Auge gehabt hätte."

    Doch ein Aushängeschild für die Nazipropaganda wollte sie nicht sein. 1934 ging das Paar nach Amerika, wo Robert Ulich eine Professur in Harvard erhielt.

    "Es konnte nicht ausbleiben, dass meine Frau schnell in die Fürsorgearbeit für die ständig anschwellende Zahl der meist jüdischen Immigranten hineingezogen wurde. Vom Frühstück bis zum späten Abend kamen Besucher. Die obere Etage unseres Hauses war immer von Immigranten bewohnt."

    Unermüdlich warb Elsa Brändström um Hilfe, hielt Vorträge, führte Gespräche, gab Interviews. So beschaffte sie Einreisebürgschaften, Jobs, Wohnungen und Stipendien. Der Bankier Eric Warburg, selbst Emigrant, kannte ihre Arbeit:

    "Dieses Werk war ihr Triumph. Ein Werk ohne Sensationen, ohne Romantik, ohne Prestige. Es war unpopulär, voller Schwierigkeiten und obendrein mit Vorurteilen und Feindseligkeiten belastet. Die Flüchtlinge waren Ungebetene, Missverstandene, Bedürftige. Elsa Brandström-Ulich stand ihnen zur Seite und baute zwischen ihnen und dem neuen Lande eine starke Brücke."

    Als Hitler Norwegen besetzte, sammelte sie Geld für den Widerstand. Doch gleich nach dem Krieg baute sie auch wieder Brücken nach Deutschland. Noch bevor die ersten CARE-Pakete über den Atlantik kamen, schickte Elsa Brändström Kleider und Medikamente für Kinder. Andere Pläne musste sie aufgeben: Sie hatte Krebs und starb am 4. März 1948, kurz vor ihrem 60. Geburtstag. Viele Menschen empfanden wie Harry Graf Kessler:

    "Ich hatte den Eindruck: Ein einfacher, aber ein ganz großer, hinreißender Mensch, eine weltliche Heilige, vor der man knien möchte."