Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Englische Nationalmannschaft
Es geht nicht nur abwärts

Früher war alles besser - so könnte man die Haltung vieler englischer Fußballfans zu ihrer Nationalmannschaft beschreiben. Doch eigentlich war das "früher", das die Fans meinen, schon gar nicht mehr so gut. Und außerdem hat es seither doch einige Lichtblicke gegeben.

Von Friedbert Meurer | 17.06.2018
    Beschreibung: Fußball-WM 1966 - Finale - England - Deutschland 4:2 n.V. - Szene direkt nach dem Wembley-Tor: Wolfgang Weber (DEU, vorne) köpft den Ball über das Tor, rechts hinter ihm Roger Hunt und Geoff Hurst (beide ENG)
    Szene direkt nach dem Wembley-Tor 1966: Wolfgang Weber (v.) köpft den Ball über das Tor, rechts hinter ihm Roger Hunt und Geoff Hurst (picture alliance / Karl Schnoerrer)
    Wimpeltausch vor dem siegreichen WM-Finale 1966, danach ging es nur noch bergab. Das ist die gängige populäre Sichtweise. Sie ist in England selbst entstanden, betont der englische Sporthistoriker John Williams von der Universität Leicester, und zwar 1953, als das Mutterland des Fußballs zuhause in Wembley 3:6 gegen Ungarn verlor.
    "1953 war eigentlich ein besonders machtvolles Jahr. Eine britische Expedition erreichte den Gipfel des Mount Everest. Eine junge Königin wird gekrönt und steht für eine neue Ära. Es war ein Jahr des großen Optimismus für den britischen Sport."
    Der "Daily Mirror" schrieb danach, die Tage seien vorbei, dass man die siegreichen Trommeln Englands höre. Die große Nostalgie setzte ein, dabei hatte England schon in den 30er Jahren den Anschluss an den modernen Fußball verloren – nur merkte das keiner, England nahm ja an keinen Weltmeisterschaften teil.
    Held Gascoigne
    Eine eindeutige Parallele in der Entwicklung von englischer Gesellschaft und Fußball sieht der Sporthistoriker John Williams dagegen in den 80er Jahren, als englische Hooligans für Angst und Schrecken sorgten. "Es gab den Niedergang der örtlichen Industrie und Traditionen. Schwarze und asiatische Migranten kamen. Das verunsicherte und provozierte vor allem junge, weiße Männer aus der Arbeiterklasse."
    Mit der Regierungszeit Margaret Thatchers erholten sich England und der englische Fußball. 1992 wurde die Premier League gegründet und der englische Fußball feierte einen neuen Helden.
    Paul Gascoigne zählte 1990 zu den besten Spielern der WM in Italien. England erreichte immerhin das Halbfinale, wie auch 1996 bei der EM im eigenen Land.
    Wer die Theorie verficht, Sport und Politik gingen Hand in Hand, findet auch im Jahr 1996 Stoff dafür mit einem anderen jungen Helden - Tony Blair. Er sagte: "Vergesst die Vergangenheit, wir gehören alle zum gleichen Team. So wird Großbritannien gewinnen!"
    Insgeheim träumen die Fans
    Gegenüber dem Glamour der Premier League kann die Nationalelf seit Jahren nicht mithalten. Dem Oranje-Team werden Misserfolge verziehen, den Three Lions nicht. Erst recht nicht die peinliche Niederlage gegen Island vor zwei Jahren, übrigens nur ganze vier Tage nach dem Brexit-Referendum vom Juni 2016.
    Letzten Endes strickte auch der Schriftseller Nick Hornby 1992 an der Legende mit, wie toll doch angeblich früher alles im englischen Fußball war. Hornby litt unter einem Fieber immer zwei Stunden vor Anpfiff.
    Jetzt 2018 ist von Vorteil, dass niemand nichts mehr von England erwartet. Oder doch? Die Buchmacher listen England auf Platz 7 der Favoriten. Insgeheim hegt mancher also doch den Traum, nach 50 Jahren des Schmerzes den Worldcup wieder in die Heimat des Fußballs zu holen.