Freitag, 29. März 2024

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Enrique Angelelli
Mord an einem unbequemen Bischof

Vor 40 Jahren kam der argentinische Bischof Enrique Angelelli bei einem Verkehrsunfall ums Leben, so lautete die offizielle Version der Militärdiktatur. Erst später bestätigte ein Gericht, was viele ahnten: Der unbequeme Geistliche, der sich für Arme einsetzte, wurde ermordet. Die katholische Kirche hat lange gebraucht, um ihn zu würdigen.

Von Victoria Eglau | 04.08.2016
    Das Schild an der Stelle, wo Angelelli vermutlich verunglückte (mit seinem Leitspruch).
    "Mit einem Ohr beim Volk und dem anderen beim Evangelium": Angelellis Leitspruch an der Todes-Stelle. (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    August 1968: Enrique Angelelli wird Bischof der rückständigen und armen Provinz La Rioja. Wenige Jahre zuvor, von 1962 bis 65, hatte Angelelli als Priester am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen. Voll und ganz identifizierte er sich mit der in Rom beschlossenen Erneuerung der katholischen Kirche. Der Argentinier gehörte zu den vierzig Konzilsvätern, die 1965 den sogenannten Katakomben-Pakt unterzeichneten – eine Selbstverpflichtung zu einem einfachen Lebensstil und zum Dienst an den Armen.
    "Nie vergaß Angelelli die einfachen Leute, diejenigen, die am wenigsten besaßen und sich auf der Schattenseite des Lebens befanden. Stets ging er mit Respekt und Anteilnahme auf die Menschen zu und machte ihnen Mut. Seine größte Sorge galt der Arbeiterklasse", sagt Enrique Martinez, Generalvikar des Bistums La Rioja. Er kannte Angelelli gut. 1973 kam er als Seminarist in die Provinz, angezogen vom Wirken des progressiven Bischofs. Angelellis Einsatz für die Armen war geradezu revolutionär in der argentinischen Kirche jener Jahre, die den Mächtigen näher stand als den Menschen aus der Unterschicht. In La Rioja mit seinen erzkonservativen Eliten von Großgrundbesitzern und Unternehmern ermunterte der Bischof Campesinos, Arbeiter, Bergleute und Hausangestellte zur Gründung von Kooperativen und Gewerkschaften. Angelellis Interesse an den Menschen ging so weit, dass er ihre Sorgen und Nöte mit einem Kassettenrecorder aufzeichnete. In seinen Radio-Predigten machte er soziale Missstände publik. Der damalige Kurien-Sekretär Juan Alilo Ortiz erinnert sich: "Einmal kam Angelleli in ein Dorf, in dem gerade ein junger Arbeiter beerdigt wurde. Er war an dem Holzstaub in seiner Lunge gestorben. Auf dem Friedhof war kein Platz für ihn vorgesehen. Der Bischof sprach darüber im Radio, er forderte die Unternehmer auf, ihre Arbeiter besser zu schützen, sie anständig zu bezahlen und nicht auszubeuten. Dass Angelelli solche Dinge öffentlich sagte, störte."
    Argentiniens Bischofskonferenz nahm die offizielle Version kritiklos hin
    In La Rioja wuchs der Widerstand gegen den unbequemen Bischof, konservative Kreise beschimpften ihn als Kommunisten. Seine Gegner organisierten sich im Ort Anillaco. Als Enrique Angelelli Anillaco im Juni 1973 besuchte, kam es dort zu gewalttätigen Ausschreitungen. Der Bischof musste die Messfeier abbrechen und wurde mit Steinen beworfen – ein Vorgeschmack auf die Gewalt, die sich nach dem Militärputsch von 1976 gegen Angelelli und andere Geistliche entladen sollte. Im Juli jenes Jahres wurden im Dorf Chamical zwei Priester umgebracht. Juan Alilo Ortiz, der damalige Kurien-Sekretär:
    "Angelelli sah die Ermordung der beiden Priester als Warnung: "Wenn du nicht den Mund hältst, wirst du genauso enden". Aber der Bischof fuhr nach Chamical – nicht nur, um die Priester beizusetzen, sondern auch, um herauszufinden, wie sie gestorben waren. Kurz darauf wurde ein katholischer Laie ermordet – noch eine Drohung. Doch Angelelli gab keine Ruhe – und was dann geschah, war das Ergebnis."
    Was dann geschah: Der Bischof starb auf einer einsamen Landstraße während der Rückfahrt von Chamical in die Provinzhauptstadt am 4. August 1976. Die offizielle Version der Militärdiktatur von einem Verkehrsunfall nahm Argentiniens Bischofskonferenz kritiklos hin. Sie schwieg. Luís Pradella, ein Pfarrer aus La Rioja, geht hart mit der damaligen Kirchenspitze ins Gericht: "Angelelli störte nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche. Die Kirchenspitze war sich mit den Militärs einig, dass er verschwinden sollte. Für mich trägt die damalige Bischofskonferenz mehr Verantwortung als die Militärs, denn sie handelte im Namen Gottes. Die Kirche hat Angelelli, mit Ausnahme von ein paar Bischöfen, total alleingelassen."
    Späte Würdigung
    In La Rioja hatten viele Gläubige von Anfang an Zweifel daran, dass der Bischof verunglückt sei. Kurz nach Diktatur-Ende, 1986, stellte ein Richter fest, der Unfall sei provoziert und Angelelli ermordet worden. Aber erst 2014 verurteilte die Justiz wegen des Verbrechens zwei ehemalige Militärs. Argentiniens Kirchenleitung würdigte das Diktatur-Opfer aus ihren Reihen spät: dreißig Jahre nach dessen Tod. Doch für die meisten Katholiken von La Rioja stand immer fest: Angelelli starb als Märtyrer "Für mich ist er ein Märtyrer des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als guter Christ war er zum Martyrium bereit, um die Reformen des Konzils umzusetzen - hier in der Kirche von La Rioja", sagt Ramona Romero, ehrenamtliche Hüterin der kleinen Gedenk-Kapelle, die an der Stelle errichtet wurde, an der Enrique Angelelli starb. Auf einem Schild an der Landstraße steht der Leitspruch des Bischofs: "Mit einem Ohr beim Volk und dem anderem beim Evangelium". Für den heutigen Bischof von La Rioja, Marcelo Colombo, der seinen Vorgänger zum Märtyrer ernennen lassen möchte, ist dieser Satz Inspiration.
    Der berühmte Satz Angelellis hat eine Art und Weise pastoraler Arbeit geprägt. Papst Franziskus hat ihn sogar in seinem Apostolischen Schreiben "Freude des Evangeliums" aufgegriffen. Ein Kapitel trägt den Titel "Ein Ohr beim Volk". Das Bistum ist dabei, den Antrag auf eine Seligsprechung Angelellis als Märtyrer vorzubereiten. 2006 sagte der damalige Vorsitzende der argentinischen Bischofskonferenz, Angelelli und die anderen ermordeten Geistlichen von La Rioja hätten ihr Blut für die Kirche vergossen. Der Mann, der diese Würdigung aussprach, ist heute Papst.
    (*) Redaktionelle Anmerkung: Der Titel des Beitrags wurde im Nachhinein geändert.