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Entdeckung bei afrikanischen Ameisen
Sanitätsdienst unter Insekten

Ameisen sind für soziales Verhalten bekannt. Sie leben in Kolonien und befolgen eine strenge Arbeitsteilung. Doch in Afrika wurde nun ein nicht nur bei Ameisen, sondern bei Insekten insgesamt noch nie beobachtetes Verhalten entdeckt: Die sogenannten Matabele-Ameisen versorgen ihre verletzten Artgenossen nach dem gemeinsamen Kampf gegen Termiten.

Von Volker Mrasek | 06.09.2016
    Eine Ameise transportiert am in Kaufbeuren (Bayern) ein Insekt.
    Eine Ameise transportiert am in Kaufbeuren (Bayern) ein Insekt. (picture alliance / dpa / Foto: Karl-Josef Hildenbrand)
    Eigentlich wollte Erik Frank dabei helfen, eine verwaiste Forschungsstation in der afrikanischen Savanne wieder aufzubauen. In der Elfenbeinküste, im Westen des Kontinents. Doch dann zog ihn etwas anderes in seinen Bann: Ameisen auf dem Kriegspfad gegen Termiten.
    "Das sind recht große Ameisen, bis zu 1,8 Zentimeter. Und die machen Schlachtzüge. Praktisch so zwei bis drei Meter lange Schlangen von bis zu 500 Ameisen, die dann zu diesen Termiten hingehen, mit denen kämpfen und dann wieder in derselben Formation zum Nest zurückkommen. Das ist sehr auffällig."
    Frank ist Doktorand an der Universität Würzburg und inzwischen regelmäßig in Afrika. Der Biologe spricht von einer Art, die als Matabele-Ameise bekannt ist, südlich der Sahara vorkommt und sich ausschließlich von Termiten ernährt.
    "Der Matabele-Stamm, das ist ein Stamm im Südwesten Afrikas, der sehr kriegerisch unterwegs war, auch gegen Kolonialmächte sehr kriegerisch angetreten ist. Und weil diese Ameisen Krieg gegen die Termiten führen, kam der Name dann dadurch zustande."
    Stiche wie von Wespen
    Wie angriffslustig die Sechsbeiner sind, hat Erik Frank schon Dutzende Male selbst erlebt, seit er vor drei Jahren begann, sich intensiver mit der Art zu beschäftigen.
    "Die haben auch einen Stachel. Der tut ungefähr so weh wie ein Wespenstich. Also, wenn man die anatmet zum Beispiel - die reagieren auf CO2 -, gehen die sofort auf einen los. Wenn wir ausatmen, geben wir ja höhere Konzentrationen CO2 ab. Dadurch können die praktisch wahrnehmen: Wo ist jetzt ein Säugetier in der Nähe? Den greifen wir jetzt an, damit er nicht auf uns drauftritt oder damit er nicht unser Nest angreift. Also, so 30-, 40mal wurde ich schon gestochen. Ich würde gerne sagen, man gewöhnt sich dran, aber das tut man nicht wirklich."
    Die häufigen Schmerzen scheinen aber für etwas gut gewesen zu sein: "Gerade bei Ameisen denkt man immer: Das Individuum ist nichts wert."
    Erik Frank aber konnte beobachten: Im Fall der Matabele-Ameisen stimmt das gar nicht! Vier bis fünf von ihnen verletzen sich nach seinen Erfahrungen bei jedem Raubzug. Die meisten verlieren Beine im Kampfgetümmel.
    "Nach der Schlacht, wenn sie die Termiten einsammeln, dann sehen die auch diese verletzten Ameisen. Diese Verletzten rufen um Hilfe, mit einem Pheromon in der Mandibeldrüse, also in den Beißwerkzeugen, einem chemischen Lockstoff. Werden dann entdeckt von ihren Kameradinnen, werden untersucht, und werden dann aufgehoben und zurück zum Nest getragen. Man kann es sich so wie einen Ameisen-Sanitätsdienst vorstellen."
    Mehr noch: Im Nest wartet chirurgische Hilfe auf die Verwundeten. Manchmal verbeißen sich Termiten in den Körpern der Ameisen, in einer finalen Kampfaktion vor ihrem Tod.
    "Zuerst hängt die Termite dran, und nach ungefähr 24 Stunden schaffen es die im Nest, die irgendwie zu entfernen. In manchen Fällen schaffen sie es nicht. Dann entfernen sie nur den Körper der Termite und lassen den Kopf praktisch dran."
    Sanitäter an der Front und Operateure im Nest - laut Erik Frank ist das eine ganz neue Beobachtung bei Ameisen oder überhaupt bei Insekten:
    "Man kennt Rettungsverhalten auch von Affenarten, Schimpansen, Elefanten, Delphinen. Aber jetzt im Insektenreich ist das einzigartig bisher. Also einzigartig im Sinne, dass Verletzten geholfen wird."
    Mit vier statt sechs Beinen zurück in den Kampf
    Die geretteten Ameisen gehen später alle wieder mit auf Raubzüge gegen Termiten - auch ohne alle Beine:
    "In der Sicherheit des Nestes können sie sich daran gewöhnen, mit vier oder fünf Beinen zu laufen anstatt mit sechs."
    Das dürfte letzten Endes auch der Grund für das Sanitätswesen der Matabele-Ameisen sein. Ihre Kolonien bestehen nur aus ein- bis zweitausend Tieren. Da können sie sich den Verlust vieler Soldaten bei ihren ständigen Überfällen auf die Futterstellen von Termiten nicht leisten. Immerhin gehen die Ameisen mehrmals am Tag auf die Jagd.
    "Es sind ja ungefähr 500 Ameisen im Raubzug. Und davon verletzt sich ungefähr ein Prozent pro Raubzug, also fünf bis sechs Ameisen. Wenn jetzt ungefähr vier Raubzüge am Tag gemacht werden, führt das dazu, dass sich circa 20 Ameisen am Tag verletzen."
    Diese Zahl ist offenbar höher als die Geburtenrate in den Kolonien:
    "Es ist nur eine Schätzung, aber wir nehmen an, dass es circa 13 Individuen pro Tag sind, die geboren werden. Und wenn sich jetzt schon 20 am Tag verletzen, also wenn die Verletzten jetzt verloren wären - ob die Kolonie das kompensieren kann, das ist diskutabel. Also, das kann man bestreiten."
    Das Leben einzelner Kämpfer zu retten sichert demnach das Überleben der ganzen Kolonie. Eine weitere von vielen Überraschungen, die die Evolution im Tier- und Pflanzenreich hervorgebracht hat.