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Entdramatisierung eines Massenmörders

Während seines Prozesses hatte der nun verurteilte Anders Breivik oft versucht, den Gerichtssaal als Bühne zu benutzen. Nun will der Schweizer Dramatiker Milo Rau in seinem Stück "Breiviks Erklärung" eine am 17. April von Journalisten im Osloer Amtsgericht mitstenografierte Rede des Massenmörders im Nationaltheater Weimar auf die Bühne bringen.

Milo Rau im Gespräch mit Katja Lückert | 24.08.2012
    Katja Lückert: Das Attentat in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya im vergangenen Sommer wurde eigentlich gleich wenige Monate nach dem tatsächliche Ereignis zum Theaterereignis. "Breivik trifft Wilders" wurde bereits im März uraufgeführt – eine nicht unumstrittene Auseinandersetzung mit dem ultrarechtem Gedankengut. Eher dokumentarisch angelegt ist ein Stück des Kopenhagener Regisseurs Christian Lollike, der an einer Inszenierung von Breiviks über 1500-seitigem Manifest arbeitet. Sein Stück durfte in Norwegen nicht aufgeführt werden.

    Der Schweizer Milo Rau hat sich jetzt mit seinem neuen Stück, das am Nationaltheater im Oktober in Weimar uraufgeführt werden soll, ebenfalls mit dem Stoff beschäftigt. Seine von Journalisten im Osloer Amtsgericht mitstenografierte Rede vom 17. April diesen Jahres soll nun auf die Bühne kommen. Herr Rau, was macht denn diesen Text theatertauglich?

    Milo Rau: Ja das sind verschiedene Dinge. Einerseits das, was sehr interessant an diesem Text ist, ist, dass es anders als vielleicht das, was Christian Lollike gemacht hat, nicht eine Dramatisierung, ein "Best Of" ist, das ich vornehme, sondern es ist gewissermaßen das "Best Of", diese eine Stunde, die Breivik selber aus seinem riesigen Gedankengebäude ausgewählt hat, um eben an diesem zweiten Prozesstag in Kürze seine Motivation, seine politische Welt, die Gründe für sein Attentat darzulegen. Und das ist eigentlich das Interessante daran, dass man hier direkt hineinsieht in die Denkweise von Anders Behring Breivik.

    Lückert: Ist es denn eine Ästhetisierung eines furchtbaren Attentats?

    Rau: Ich denke, es ist fast eher die Entdramatisierung oder die Enttheatralisierung dessen, was Breivik in den Medien eigentlich ist. Da ist dieser Mann, der auch bei dem heutigen Urteilsspruch noch die Hand reckt und irre lächelt und so weiter. Ich werde das ja mit einer Schauspielerin inszenieren und ich werde tatsächlich nur diesen Text vortragen, den ich ganz genau auch nachgeprüft habe, dass es tatsächlich das ist, was von ihm gesagt wurde.

    Und das eigentlich Erschreckende an diesem Text, das Interessante für mich ist die extreme Banalität und auch die extreme Rationalität dessen, was er sagt. Es ist ja Fakt, dass mit einigen Abänderungen und wenn es beispielsweise nicht Breivik gesagt hätte das von vielleicht 80 Prozent, 70 Prozent der Leute unterschrieben werden könnte, was hier gesagt wird. Das Eindringen eigentlich des Kurses von Breivik in den Common Sense, das ist das, was mich interessiert.

    Lückert: Sie meinen 70 Prozent aller Leute oder 70 Prozent der eher rechts gesinnten Leute?

    Rau: Ja in der Schweiz – ich bin ja Schweizer – gibt es einige berühmte Beispiele, die Breivik in seiner Rede auch speziell lobt, beispielsweise die Minarett-Initiative, das Verbot des Baues von Minaretten. Das wurde mit einer Mehrheit angenommen in der Schweiz, und diese Rede geht eigentlich über die Forderung beispielsweise dieser Initiative gar nicht hinaus. Natürlich geht er als Mensch darüber hinaus, als Attentäter, aber das, was hier gesagt wird, ist der allgemein anerkannte rechtsnationale Diskurs, mit dem man gerade in der Schweiz problemlos Abstimmungen gewinnen kann.

    Lückert: Aber was wissen wir denn mehr, wenn wir wissen, dass Breiviks Argumentationen sich aus einer Mischung rechten Gedankenguts speist?

    Rau: Ja nicht nur rechten, sondern auch linken. Er vergleicht sich sehr gerne beispielsweise mit den Indianern Nordamerikas und mit den Indios, und der Freiheitskampf der Indianer und gerade in Südamerika der indigenen Minderheiten wird ja immer sehr gerne unterstützt, jetzt diesmal von eher linker Seite. Und er macht einen sehr klugen Mix, indem er sagt, wir Norweger, wir Europäer sind in der Minderheit, unser Kampf gleicht dem der Indianer. Also er macht da einen Mix aus linkem und rechtem Gedankengut, natürlich etwas, was in der neuen Rechten keine neue rhetorische Strategie ist.

    Das Erschrecken aber vor diesem Text, die elektrisierende Wirkung dieses Textes, die er auf mich hatte, ist, dass hier in sehr kurzer, knapper, rationaler Form ein Gedankengebäude dargelegt wird von einem 77-fachen Mörder, das wie schon gesagt in den Common Sense eingedrungen ist, das so leicht verändert beispielsweise in der Schweizer "Weltwoche" stehen könnte.

    Lückert: Dokumentarisches Theater oder auch Reenactment-Theater kann man gut finden oder nicht. In jedem Fall geht es auch hier um die Verfremdung. Den Breivik-Text liest bei Ihnen eine Türkin. Warum?

    Rau: Ja, es ist eine deutsch-türkische Schauspielerin. Ich wollte eigentlich keine Authentizität schaffen hier. Ich habe andere Projekte gemacht, wo ich Wert darauf gelegt habe, dass es vielleicht auch eine äußere Ähnlichkeit zur dargestellten Situation gibt. Was ich hier nicht mache ist, einen weißen Mann zu casten, der in einer Art Gerichtssaal einen Text liest, sondern ich will im Grunde den Text auf die Bühne stellen und deshalb habe ich auch nach einer maximal großen Brechung in der Inszenierung gesucht, eben eine Frau, nicht eine Norwegerin, sondern erkennbar eben jemand, der vielleicht einen anderen Ursprung hat. Das war eigentlich meine Idee, dass dann der Text auf eine andere Weise zum Tragen kommt, als wenn man hier auf Authentizität setzt.

    Lückert: Der Dramatiker Milo Rau über sein neues Stück "Breiviks Erklärung", das im Herbst am Nationaltheater Weimar aufgeführt werden soll.

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