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Enteignete Kunst in Ostdeutschland
"Die wichtigsten Schätze sind offenbar gesichert"

Viele Museen in Ostdeutschland haben ein Problem: Zahlreiche Ausstellungsstücke stammen aus Adelshäusern und wurden im Kommunismus enteignet. In wenigen Tagen läuft eine Frist zur Rückgabe der Kulturgüter aus. Rund 45.000 Objekte sind noch umstritten, wie Kulturjournalist Carsten Probst im DLF erläutert.

Carsten Probst im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 27.11.2014
    Im Schloss Burgk sind zahlreiche Möbel und andere Kulturgüter, über deren weitere Verwendung es Unklarheit gibt.
    Das Schlossmuseum Burgk im Saale-Orla-Kreis fürchtet um die Hälfte seiner Sammlung. (picture alliance / dpa)
    Burkhard Müller-Ullrich: Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands eine Bodenreform gegeben, bei der Großgrundbesitzer und Adelsfamilien enteignet worden waren. Im deutschen Einigungsvertrag von 1990 sollten diese Enteignungen unangetastet bleiben, was natürlich bei den Erben der Betroffenen große Erbitterung hervorrief. Deshalb wurde 1994 diese Unwiderruflichkeit auf Immobilien beschränkt. Für Kunstbesitz galt etwas anderes: Der sollte bloß zwanzig Jahre lang am jeweiligen Ort – also in Museen beziehungsweise den zu Museen verwandelten Adelssitzen – verbleiben und vor Herausgabe geschützt sein. Jetzt, und zwar in genau drei Tagen, läuft diese Frist ab.
    Über den Kulturschatz der Wettiner stand schon diesen Sommer viel in der Presse: Da ging es um 10.000 Objekte und eine Ausgleichszahlung von 4,8 Millionen Euro. Carsten Probst, was ist mit den vielen anderen? Hat sich die Hoffnung der Bundesregierung, in den letzten 20 Jahren möge das alles geregelt werden, erfüllt?
    Carsten Probst: Ja. Wenn man mit den Museen und den Landesregierungen der betroffenen Länder spricht und deren Angaben folgen will, dann hat es durchaus in den letzten Jahren einige ganz umfassende Klärungen und Bereinigungen der Sammlungslage gegeben. In Brandenburg zum Beispiel bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten spricht man von nur noch ganz wenigen Anträgen, die überhaupt noch eingingen, auf Rückgabe oder Untersuchung von solchen Fällen, genauso in Mecklenburg-Vorpommern. Aber die Hotspots liegen eigentlich ohnehin eher in den südlicheren Ländern, also Sachsen zum Beispiel. Sie erwähnten es: Die Wettiner sind da jüngst entschädigt worden. Aber es gibt trotzdem noch weitere Einzelfälle: In Thüringen zum Beispiel, wo ja auch die dortigen Adelshäuser ganz umfassende Rückgaben, beispielsweise das Weimarer Herzoghaus, gegeben haben mit Dingen, die zum Weltkulturerbe gehören, beispielsweise das Goethe- und Schiller-Archiv oder die Fürstengruft. Dort gibt es aber immer noch rund 260 Anträge, die offen sind. Sachsen-Anhalt wiederum berichtet von ungefähr 200 Anträgen. Das sind aber nur die Anträge; jeder einzelne Antrag, da geht es dann um Hunderte Einzelobjekte, und man spricht beispielsweise in Sachsen-Anhalt von ungefähr 18.000 solcher Einzelobjekte und schätzt dann für ganz Ostdeutschland ungefähr noch 45.000 Einzelobjekte. Aber da ist jede Kuchengabel natürlich mit dabei.
    "Schlossmuseum Burgk fürchtet um Hälfte seiner Sammlung"
    Müller-Ullrich: Genau, weil ein solcher Antrag alles vom Abendmahl-Kelch bis zu Uhren und Barometern und natürlich auch alten Büchern und Bildern umfasst. Jetzt sprachen Sie bereits vom Geld. Es geht ja sozusagen um doppelte Zahlungen: Einerseits kostet es Geld, überhaupt zunächst mal zu recherchieren. Die Provenienz-Recherche ist aufwendig. Können die kleinen Museen das leisten? Und dann geht es um das Entschädigen im eigentlichen Sinne.
    Probst: So ist es. Die Bundesregierung unterstützt über die Kulturstiftung der Länder natürlich solche Recherchen und die Rede ist bisher von vier Millionen Euro, die da geflossen sind. Aber der eigentliche Betrag liegt wohl doch um einiges höher, weil ja auch bewusst diese Ankäufe teilweise zu tätigen sind. Wir haben jetzt in Thüringen beispielsweise noch einen exemplarischen Fall dieses Schlossmuseums Burgk, der auch durch die Presse gegangen ist, in den letzten Monaten immer wieder. Das Schlossmuseum Burgk im Saale-Orla-Kreis fürchtet um die Hälfte seiner gesamten Sammlung, weil dort eine Erbengemeinschaft alter Adelshäuser das zurückfordern soll. Da geht es um Bücher, um Inkunabeln, um Briefe von Wallenstein beispielsweise, aber auch um Kunstgewerbe. Aber dort ist man in zähen, fortdauernden Verhandlungen und auch da wird es darauf hinauslaufen, einen Teil zu restituieren, zurückzugeben und einen Teil aufzukaufen, und die Summen dafür werden gerade verhandelt.
    Müller-Ullrich: Die Zeit drängt ja. Wir sagten es schon: drei Tage. Was passiert, wenn die Frist abläuft?
    Probst: Ja. Man hat versucht, da einigermaßen vorzusorgen. Da ist ein gutes Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. Da wurde im März eine Vereinbarung getroffen, beispielsweise mit den Erben der mecklenburgischen Herzöge. Sehr viele Stücke konnten dort schon einmal gesichert werden für die Museen in Schwerin beispielsweise. Aber für das, was eben nicht erworben werden konnte, hat man sich so eine Art unentgeltliche Leihgabe gesichert für die nächsten zehn Jahre und dann ein unbeschränktes Vorkaufsrecht für die Zeit danach. So ähnlich ist es auch bei anderen Verhandlungen gelaufen. Und die Kulturstiftung der Länder versucht, das Ganze in irgendeiner Weise finanziell auch zu unterstützen.
    Aber Sie müssen auch sehen: Es kommt noch eine andere Seite hinzu. Manches in den Depots wird überhaupt nicht aufgefunden, was Gegenstand dieser Anträge ist, und anderes möchte man eigentlich auch ganz gerne loswerden, oftmals sogenannte drittklassige Stücke, die in den Museen aufbewahrt werden. Das sollen nicht wenige sein. Aber es gibt kein Gesetz, was die Museen damit anfangen können, ob sie die veräußern dürfen, auf den Markt bringen dürfen; das müsste geregelt werden.
    "Interesse, historische Ensembles nicht zu zersprengen"
    Müller-Ullrich: Wenn jetzt Besitzer von solchen Kulturgütern, Adelsfamilien, Adelshäuser, von denen wir ja gerade reden, Druck machen und sagen, wenn das jetzt hier nicht funktioniert, dann versilbern wir eben unsere Schätze - können sie ja -, sind sie nicht auch geradezu ermuntert mittlerweile, weil man hört ja sogar von Versilberung etlicher Schätze aus Staatsbesitz?
    Probst: Genau! Die Verführung ist sicherlich sehr groß. Natürlich muss man sehen, dass der Kunstmarkt jetzt nicht immer so floriert hat während dieser ganzen jahrzehntelangen Verhandlungen, wie er es gerade jetzt tut. Viele Rückgaben sind auch in der Zeit schon vorher erfolgt. Für Einzelstücke gilt das ganz bestimmt. Auf der anderen Seite muss man sehen: Viele dieser alten Adelsliegenschaften mit ihren Kunstgewerben, mit ihren ganzen Kunstgütern, Kulturgütern sind Gesamt-Ensembles und es gibt schon ein Interesse - das hat man in vielen Verhandlungen verfolgen können -, ein Interesse der Erben, diese historischen Ensembles mit den historischen Sammlungen nicht zu zersprengen, sie also nicht in alle Welt zu verteilen, wie es ja bei Auktionen, bei Kunstauktionen dann der Fall wäre, sondern sie möglichst am Ort zu lassen und die Geschichte des jeweiligen Adelshauses damit auch zu dokumentieren und lebendig zu halten. Viele dieser alten Liegenschaften sind nach der Wende in Museen übergegangen, zu Museen geworden, zu Dokumentationsstellen, und da gibt es schon ein gewisses Interesse. Letztlich geht es aber dabei ums Geld und bei den Verhandlungen der Wettiner, die Sie erwähnten, mit Sachsen hat man ja gemerkt, da gab es ein unendliches Feilschen. Die Wettiner hätten sehr gern Maximalforderungen gestellt, aber das ist dann im Laufe der Jahrzehnte nicht durchgekommen. Da diente auch diese jetzt ablaufende Frist, die Verhandlungen zu beschleunigen - ganz offensichtlich.
    Müller-Ullrich: Merkt man, abschließend gefragt, denn diesen Zeitdruck jetzt? Ist da eine unglaubliche Emsigkeit und ist, wenn ich Sie recht verstanden habe, im Grunde jetzt nicht ein Fallbeil in drei Tagen zu erwarten?
    Probst: Nein, anscheinend nicht. Was ich jetzt an Reaktionen gehört habe, gibt man sich da relativ entspannt. Über Einzelfälle berichtet man ungern sehr offen, die jetzt noch laufen, aus Schutz der jeweiligen Verhandlungsparteien, wie es heißt, aber man gibt sich quasi so in den Museen, dass man die allermeiste Arbeit eigentlich schon getan hätte, die wichtigsten Schätze schon gesichert hätte. Und wie gesagt: Man hält sich in Bezug auf laufende Verhandlungen noch bedeckt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.