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Entführte Militärbeobachter
"Kiew hätte ihre Sicherheit gewährleisten müssen"

Nahe der Stadt Slawjansk im Osten des Landes hat die Ukraine vermutlich mit einer Militäroperation begonnen. In der Stadt werden auch die westlichen Militärbeobachter seit gut einer Woche festgehalten. Für diese könnte sich die Gefahr jetzt erhöhen, sagte Oberst a.D. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk.

02.05.2014
    Prorussische Demonstranten greifen die Polizei an einem Verwaltungsgebäude im ostukrainischen Donezk an.
    Prorussische Demonstranten greifen die Polizei an einem Verwaltungsgebäude im ostukrainischen Donezk an. (dpa / picture-alliance / Vitaliy Belousov)
    Noch stünden allerdings zu wenig konkrete Informationen über die Militäroperation zur Verfügung, um die Situation der entführten westlichen Militärbeobachter zu beurteilen, sagte Oberst a.D. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk. Er gab darüber hinaus zu bedenken, ob es klug gewesen sei, die Beobachter in die Ostukraine reisen zu lassen. "Die Rechtslage ist unstrittig. Die Ostukraine ist ukrainisches Staatsgebiet", sagte der Oberst. Allerdings sei die ukrainische Regierung auch vor einer Woche schon nicht mehr in der Lage gewesen, für den Schutz der Beobachter zu sorgen.
    Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Sitz in Berlin berät sowohl den Bundestag als auch die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit genau einer Woche sind die Militärbeobachter der OSZE in der Hand prorussischer Aktivisten in der Ostukraine. Mitte der Woche hatte Russlands Präsident Putin ja gesagt, er hoffe, dass die sieben Männer, darunter vier Deutsche, demnächst frei kommen. Nichts von dem allerdings ist passiert. Die Geiselnehmer rund um den Milizenführer Ponomarjow, selbst ernannter Bürgermeister von Slawiansk, fordern einen Austausch mit festgenommenen prorussischen Aktivisten. Die Angehörigen der Militärbeobachter müssen also weiter bangen, zumal jetzt die Nachrichtenagenturen auch noch melden, derzeit läuft offenbar eine Militäroperation der ukrainischen Armee.
    Die ukrainische Regierung verliert also die Kontrolle über den Osten der Ukraine. Derzeit läuft aber, so melden es die Nachrichtenagenturen, eine Militäroperation gegen die Stadt Slawiansk, also gegen die Stadt, in der die OSZE-Militärbeobachter seit einer Woche jetzt festgehalten werden.
    Am Telefon begrüße ich dazu jetzt Oberst a.D. Wolfgang Richter. Er war bis zum Jahr 2009 Leiter des militärischen Teils der ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE in Wien. Er hat selber auch an mehreren OSZE-Beobachtermissionen teilgenommen wie in Südossetien, in Georgien im Jahr 2008. Jetzt ist er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen, Herr Richter.
    Wolfgang Richter: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Gegen Slawiansk läuft also eine Militäroperation. Wie stark sind die OSZE-Militärbeobachter in Gefahr aus Ihrer Sicht?
    Richter: Nun, ich glaube, dass sie zunächst einmal dadurch gefährdet werden, dass die Militäroperation selber natürlich Auswirkungen hat, das heißt durch das Kampfgeschehen. Ich kann sie aber nicht beurteilen von hier aus, weil ich den Umfang, das Ausmaß der Militäroperation noch nicht kenne. Das hat sich erst heute Nacht ergeben. In jedem Fall besteht auch die Gefahr darin, dass die Rebellen diese OSZE-Beobachter ja als Geiseln sehen, die sie wahrscheinlich aus ihrer Sicht eher austauschen wollten gegen eigene Gefangene bei der ukrainischen Regierungsseite. Also die Gefahr besteht zweifellos.
    Militärbeobachter sollten Transparenz schaffen
    Heckmann: Das heißt, diese Militäroperation, die könnte die Gefahr für die OSZE-Beobachter sogar noch erhöhen?
    Richter: Das will ich jetzt nicht ausschließen, aber ich kenne zu wenige Details über die Art und Weise, in der die Ukrainer vorgehen.
    Heckmann: Kommen wir mal zu diesen OSZE-Missionen, die derzeit in der Ukraine in Gang sind. Einmal gibt es ja die zivile Mission, der Moskau ja zugestimmt hat. Dann gibt es aber auch die militärische Beobachtermission, um die es jetzt geht und die die Regierung in Kiew beantragt hat. Welchen Zweck verfolgt diese Mission?
    Richter: In der Tat haben Sie schon darauf hingewiesen, dass man unterscheiden muss zwischen der zivilen Mission, die im Konsens zwischen allen 57 Mitgliedsstaaten der OSZE vereinbart worden war am 21. März. Hier scheint es ja auch umfangreiche Kontakte bereits zu geben zwischen der Mission und auch den Rebellenkräften in der Ostukraine. Die dient natürlich der Lagefeststellung und der Deeskalation. Man sollte vielleicht noch ergänzen, dass die anderen OSZE-Einrichtungen autonom tätig werden. Dazu gehört das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, die zurzeit in einem Wahlbeobachtungsmodus sich dort aufhalten und bis zur Wahl am 25. Mai auf bis zu tausend Mitgliedern aufwachsen können. Dazu gehört aber auch der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten und die Beauftragte für die Medienfreiheit und natürlich das OSZE-Büro in Kiew selbst, das unter dem Stichwort nationaler Dialog versucht, einen Dialog und eine Deeskalation zu bewirken.
    Davon unabhängig gibt es die Verhandlungen von dem amtierenden Vorsitzenden der OSZE, dem Schweizer Außenminister Burkhalter und seinen Sonderbeauftragten Guldimann, und wenn ich jetzt mal diese ganze zivile Seite weglasse, dann haben wir dann eine militärische Vertrauensbildung, die nach den Grundsätzen des Wiener Dokuments verläuft, und hier geht es nicht um eine jeweils im Konsens vereinbarte Mission, sondern das Dokument als solches ist ein Konsensdokument im Rahmen der OSZE und es verpflichtet eigentlich alle Staaten, militärische Transparenz zu wahren. Das bezieht sich auf die Planung, auf die militärischen Bestände und die militärischen Aktivitäten. Und der zweite Teil ist, dass man diese Informationen, die da pflichtgemäß abgegeben werden, auch überprüft durch Inspektionen und Überprüfungsbesuche vor Ort. In diesem Rahmen findet diese Militärbeobachtung statt.
    "An der Rechtslage gibt es überhaupt keinen Zweifel"
    Heckmann: Dieser Transparenz soll diese Mission dienen. Wladimir Putin, der russische Präsident, aber auch Kritiker in Deutschland, die sagen jetzt aber, es sei falsch gewesen, dass diese OSZE-Militärbeobachter in den Osten der Ukraine gereist sind. Aber immerhin, man muss doch sagen: das ist ja immerhin ukrainisches Staatsgebiet.
    Richter: Das ist eindeutig ukrainisches Staatsgebiet. An der Rechtslage gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es handelt sich um eine zwischen der Ukraine und in diesem Fall Deutschland, aber auch anderen Staaten vereinbarte Mission, die bereits seit dem 5. März mit wechselnder Zusammensetzung stattfindet, und jeweils ein anderer Staat ist dann in der Führungsrolle. Zurzeit ist Deutschland in der Führungsrolle. In der Tat geht es hier darum, wie man dort im Dokument sagt, ungewöhnliche militärische Aktivitäten festzustellen. Diese Missionen sind also mehrfach verlängert worden. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Inspektoren diplomatische Immunität genießen nach dem Wiener Abkommen über diplomatische Beziehungen. An der Rechtslage gibt es überhaupt keine Zweifel.
    Heckmann: War es trotzdem ein Fehler?
    Richter: Wenn es Zweifel gibt, dann ist es die Frage, wie klug es war, mit einer Eskorte in dieses Gebiet zu gehen, die offenbar nicht in der Lage oder nicht willens, willens vielleicht schon, aber nicht in der Lage war, die Inspektoren zu schützen. Aber das ist eine eindeutige Verpflichtung des Wiener Dokuments, dass der Gaststaat, der gastgebende Staat die Inspektoren schützt und deren Sicherheit gewährleistet. Dazu war die Ukraine offenbar nicht in der Lage, und wenn sie das nicht ist, muss sie, wie man dann im Fachjargon sagt, Force Majeure erklären und sagen, tut mir leid, ich kann euch hier nicht begleiten, ich kann euch die Sicherheit nicht gewährleisten, deswegen können wir in dieses Gebiet nicht gehen.
    "Das Risiko war sicherlich da"
    Heckmann: Also ein erhebliches Versäumnis? Pardon, wenn ich da einhake. Ein persönliches Versäumnis der Regierung in Kiew konstatieren Sie da. Diese Militärbeobachter, die waren ohne Uniform unterwegs und der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt, Ponomarjow, der spricht von Spionen. War es also auch ein Fehler, ohne Uniform sich zu bewegen?
    Richter: Ich habe ja selber in früheren Zeiten öfters Inspektionen geführt und auch Besuche in Krisenlagen gemacht. Ich war eigentlich immer der Auffassung, dass man das mit offenem Visier machen muss, dass man in Uniform dort hingeht, dass man aber auch rechtzeitig die Kontakte herstellt, um klar zu machen, ob die Sicherheit gewährleistet ist, ob man etwa im Konsens in solchen Gebieten und mit vollem Wissen der Rebellen agieren kann. Manchmal ist es sogar in deren Interesse, Transparenz herzustellen. Aber hier war es das offenbar nicht. Insofern war das Risiko sicherlich da. Das ändert allerdings nichts an der Rechtslage. Die Inspektoren genießen diplomatische Immunität und es ist natürlich ein Unrechtsakt, sie gefangen zu nehmen, und insofern muss jetzt auch appelliert werden, nicht nur an die Rebellen, sondern an die, die den größten Einfluss auf die Rebellen haben, nämlich an Russland, dass sie alles in ihrer Macht tun, um die gefangenen Diplomaten beziehungsweise Militärbeobachter frei zu lassen.
    Heckmann: Das hat Angela Merkel ja gestern getan. Sie hat in einem Telefonat appelliert an Wladimir Putin, sich für die Freilassung einzusetzen. Aber der stellt eine Bedingung, nämlich die, dass die ukrainischen Truppen sich aus dem Südosten des Landes zurückziehen sollen. Sollte man sich darauf einlassen?
    Richter: Ich glaube, dass aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um Diplomaten handelt, also um Soldaten zwar, aber mit diplomatischer Immunität, die in dem Moment, wo sie im Einsatz sind, dieselben Rechte genießen wie Diplomaten, es hier eigentlich nur eine bedingungslose Freilassung geben kann. Die Absprachen zwischen Russland und Deutschland sind bilateral. Die haben zunächst mal mit dem Verhalten der Ukraine nichts zu tun. Insofern meine ich, dass Russland dies sehen muss und dass Russland auch vor allen Dingen sehen muss, dass sie sich nicht weiter isolieren im internationalen Kontext und dass die Zukunft der Sicherheitskooperation in Europa nicht weiter gefährdet wird.
    Heckmann: Der ehemalige Leiter des militärischen Teils der ständigen Vertretung der OSZE in Wien, Oberst a.D. Wolfgang Richter, jetzt bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Richter, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
    Richter: Bitte schön, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.