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Entgelttransparenzgesetz
"Es gibt keine wirksamen Sanktionen im Gesetz"

Ab Januar gilt für Unternehmen eine neue Auskunftspflicht: Sie müssen gegenüber ihren Mitarbeitern die Höhe von Gehältern transparent machen. Das Ziel, mehr Lohngerechtigkeit zu schaffen, werde durch das Gesetz nicht erreicht, sagte DGB-Vize-Vorsitzende Elke Hannack im Dlf. Denn das Gesetz spare die Wirtschaftsbereiche aus, in den denen die Lohn-Diskriminierung am höchsten sei.

Elke Hannack im Gespräch mit Birgid Becker | 28.12.2017
    Eine Frau und ein Mann gehen einen Flur in einem Bürogebäude entlang
    Der Bundestag hat ein Gesetz verabschiedet, das für mehr Transparenz bei den Löhnen von Frauen und Männern sorgen soll. (Imago)
    Birgid Becker: Übers Geld redet man nicht. Das ist eine Benimmregel, an der im Alltag wohl der Zahn der Zeit genagt hat. Aber im Berufsleben gilt diese Regel durchaus noch. Wo aber nicht über Geld gesprochen wird, da ist auch das Risiko höher, dass ungerechtfertigte Gehaltsunterschiede unentdeckt bleiben. Und das könnte vor allem zu Lasten von Frauen gehen, die ohnedies rund 21 Prozent weniger verdienen als Männer – immer noch sieben Prozent sind es, wenn man Teilzeit und andere Sonderfaktoren herausrechnet.
    Um dagegen zu steuern, gibt es ab dem sechsten Januar eine Auskunftspflicht über Gehälter, die Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen haben. Hilft dieses Entgelttransparenzgesetz gegen Lohn-Ungerechtigkeit? Elke Hannack, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, sieht darin nur einen ersten Schritt.
    Elke Hannack: Das Entgelttransparenzgesetz wird nicht dazu beitragen, dass wir zu mehr Lohngerechtigkeit in den Betrieben kommen. Es wird allerhöchstens als erster Schritt dazu beitragen, dass wir mehr Transparenz in Bezug auf die Gehaltsstruktur in den Betrieben und Verwaltungen bekommen. Das ist ein erster wichtiger Schritt, reicht bei Weitem nicht aus, um tatsächlich Entgeltdiskriminierungen und die Lohnlücke von aus unserer Sicht sieben Prozent, die bereinigte Lohnlücke zu schließen.
    Armutszeugnis für unsere Gesellschaft
    Becker: Arbeiten wir die Ursachen für diese Lohnlücke durch. Stört Sie vor allem, dass das erst gilt für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten, oder was vor allem stört Sie?
    Hannack: Zu allererst stört mich, dass man jetzt Frauen sozusagen einen Auskunftsanspruch gesetzlich verbrieft zusagt, das heißt, Frauen dürfen fragen, wie ihr Gehalt sozusagen zustandekommt und zusammengesetzt ist. Das finde ich, ist ein absolutes Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, vor allem aber für die Politik und für die Wirtschaft.
    Becker: Wie sollte es aussehen? Welche Art von rechtlichem Zugang sollten denn Frauen oder auch Männer, die sich ungerechtfertigt behandelt fühlen, haben?
    Hannack: Der Auskunftsanspruch ist ja jetzt im Grunde zum zentralen Element dieses Entgelttransparenzgesetzes geworden. Das war er ja nicht von Anfang an. Es sollte ein Lohngerechtigkeitsgesetz werden, und das hat eine Voraussetzung: Man hätte verbindlich die Betriebe und Verwaltungen zwingen müssen, Prüfverfahren einzuführen. Prüfverfahren, die geeignet sind, Entgeltdiskriminierungen festzustellen und diese dann auch mit den nötigen Mitteln zu beseitigen.
    Das wäre die Grundvoraussetzung gewesen, um mehr Entgelttransparenz zu schaffen, um mehr Lohngerechtigkeit zu schaffen und um Entgeltdiskriminierung überhaupt erkennen zu können. Die einzelne Frau, die bei ihrem Arbeitgeber eine Auskunft verlangt über die Zusammensetzung ihres Gehaltes und darüber, wie denn das von fünf ihrer männlichen Kollegen, die vergleichbar sind, aussieht.
    Das ist ja nur sozusagen ein Schritt, das muss die Frau aber erst mal wissen. Die muss wissen, habe ich denn fünf Männer, die überhaupt eine vergleichbare Tätigkeit ausführen? Sie muss wissen, was ist denn überhaupt eine vergleichbare Tätigkeit. Die muss wissen, ist ihr Arbeitgeber tarifgebunden? Ist er tarifanwendend oder ist er tariffrei? Viele Beschäftigte wissen das überhaupt nicht. Das heißt, die Voraussetzungen, die man gesetzt hat, damit Frauen wirklich auch den Auskunftsanspruch wahrnehmen können, die sind sehr hoch gesteckt.
    Ein Manko im Gesetz
    Becker: Gucken wir uns das mal praktisch an. In Unternehmen, wo es einen Betriebsrat gibt, da scheint das ja noch einigermaßen gangbar zu sein, denn da würde sich eine Frau erst mal an den Betriebsrat wenden.
    Hannack: Das ist richtig. Da, wo wir Betriebsräte haben, in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten, und ab da gilt überhaupt erst der Auskunftsanspruch, wenden sich die Frauen in der Regel an den Betriebsrat. Der Betriebsrat ist sozusagen Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers, übernimmt an der Stelle aber auch die Verantwortung, die eigentlich der Arbeitgeber übernehmen müsste für das Auskunftsverfahren. Und der Betriebsrat kann dann über die Einsicht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten erst mal feststellen, wie ist die Eingruppierung beispielsweise der Frau, die fragt, und wie ist die Eingruppierung von fünf Kollegen, die eine gleich oder gleichwertige Tätigkeit machen. Damit kommt ein Betriebsrat in der Regel aber nicht viel weiter.
    Er müsste eigentlich monatlich vom Arbeitgeber aktuelle, aufbereitete Personallisten zur Verfügung gestellt bekommen, und das passiert in kaum irgendeinem Betrieb in Deutschland. Auch hier besteht ein Manko im Gesetz: Der Betriebsrat wird nur sehr schwerlich hier wirklich den Auskunftsanspruch erfüllen können. Aber Sie haben vollkommen recht, da, wo wir Betriebsräte haben, da, wo wir auch tarifgebundene Betriebe haben, wissen wir, dass die Entgeltlücke sehr viel kleiner ist, teilweise bei null, weil natürlich Tarifverträge, wenn sie gelten, keine Unterschiede machen zwischen der Eingruppierung von Männern und Frauen.
    Becker: Wie groß ist denn überhaupt der Bereich, wo wirklich Lohn und Gehalt ganz individuell ausgehandelt werden?
    Hannack: Das ist genau der Bereich, der vom Gesetz nicht erfasst ist. Das sind nämlich die Betriebe unter 200 Beschäftigten, von ein, zwei, drei – Kleinstbetriebe – bis fünf Beschäftigten, und dann die mittelständischen Betriebe bis 200 Beschäftigten. Da ist die Entgeltdiskriminierung am höchsten, aber genau dieser Bereich wird vom Gesetz ausgelassen und nicht erfasst. Das heißt, eine Frau, die in einem Betrieb mit 199 Beschäftigten arbeitet, hat keinen Auskunftsanspruch nach diesem Gesetz. Und eine Frau, die in ganz kleinen Betrieben arbeitet mit fünf, sechs, sieben Beschäftigten, hat ihn schon erst recht nicht. Das heißt, zwei Drittel aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland, die arbeiten nämlich in den kleinen und Kleinstbetrieben, sind von diesem Gesetz ausgenommen.
    Alles, was auf Freiwilligkeit beruht, wird in der Regel von Unternehmen nicht umgesetzt
    Becker: Sie hatten vorher auch moniert oder gefordert, dass es eigentlich verbindliche Prüfverfahren hätte geben müssen in den Unternehmen, um Lohnungerechtigkeiten zu entdecken. Was es stattdessen gibt, sind ja Berichtspflichten für größere Unternehmen, Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Und es gibt auch eine Aufforderung, ein betriebliches Prüfverfahren zu diesen Fragen zu installieren. Gibt es da nicht wenigstens eine Chance, dass das Unternehmen anhält, sich damit zu beschäftigen?
    Hannack: Das wäre schön. Wir wissen aber, dass eine Aufforderung im Grunde nichts bewirkt bei den Unternehmen. Alles, was auf Freiwilligkeit beruht, wird in der Regel von Unternehmen nicht umgesetzt. Und was die Lageberichtspflicht der Unternehmen anbelangt über 500 Beschäftigte, die nach dem Handelsgesetzbuch ja verpflichtet sind, einen Bericht zu geben, da haben wir von den Betriebsräten schon die ersten Hinweise, dass ihre Unternehmen, ihre Arbeitgeber das verweigern. Und sie können das verweigern, weil die Betriebsräte keinerlei Möglichkeit haben, sozusagen diese Berichtspflicht einzufordern. Es gibt keine wirksamen Sanktionen im Gesetz, wenn ein Arbeitgeber es schlicht nicht macht. Und das ist wirklich ein großes Problem.
    Becker: Kann man vor diesem Hintergrund irgendeiner Frau, ganz egal, ob sie in einem Unternehmen mit Betriebsrat arbeitet oder ohne, überhaupt empfehlen, dass sie diese gesetzlich zugesicherten Auskunftspflichten überhaupt wahrnehmen?
    Hannack: Ich würde Frauen immer erst mal raten, zu schauen: gibt es einen Betriebsrat im Betrieb, der sich wirklich auch intensiv für die Interessen und Belange der Beschäftigten einsetzt. Wenn es einen solchen Betriebsrat gibt, dann würde ich auch raten, okay, dann lass mal über den Betriebsrat dein Auskunftsbegehren klären. Ansonsten ist es natürlich schwierig, weil ein Auskunftsbegehren bringt die betroffenen Frauen immer in eine schwierige Situation. Entweder sie unterstellen ihrem Arbeitgeber, der jetzt mal reinen Gewissens seine Gehaltsstrukturen ausgestaltet hat, indirekt Entgeltdiskriminierung und bringen damit auch sozusagen ungerechtfertigtes Misstrauen zum Ausdruck, oder sie decken tatsächlich am Ende eine Entgeltdiskriminierung auf und können nicht wirksam gegen diese Entgeltdiskriminierung vorgehen, weil an der Stelle lässt das Gesetz die Frauen ja im Regen stehen.
    Spielräume, aber mehr auch nicht
    Becker: Dann sind sie Heldinnen womöglich, aber Heldinnen, die ein hohes berufliches Risiko eingegangen sind.
    Hannack: Ganz genau, denn sie haben sich damit natürlich auch unbeliebt gemacht und bringen vielleicht nicht nur bei ihrem Arbeitgeber, sondern auch bei den fünf Kollegen, die anders besser eingruppiert sind als sie. Und sie müssen individuell vorm Arbeitsgericht ihre Forderungen einklagen. Da hilft das Gesetz nicht. Es hat kein Verbandsklagerecht vorgesehen. Das wäre noch mal ein Schritt gewesen, den wir Gewerkschaften gefordert haben, damit wir Gewerkschaften für die Betroffenen sozusagen die Klageverfahren mal prinzipiell führen können.
    Becker: Unterm Strich also, das Entgelttransparenzgesetz, ja, was sagten Sie, ein erster Schritt. Aber es ist nach all dem, was Sie sagten, vielleicht sogar weniger als ein erster Schritt. Ein erster Stolperer vielleicht?
    Hannack: Ich glaube schon, es ist ein erster Schritt, denn das hat die ganze Diskussion im Vorfeld dieses Gesetzes gezeigt. Es gab unglaublich viel Aufregung, weil es genau an das Tabu geht, "Über Gehälter spricht man nicht.". Doch, wir wollen über Gehälter sprechen, und wir wollen auch, dass Frauen bei gleichwertiger Arbeit die gleichen Gehälter bekommen wie Männer. Und ich glaube, das hat das Gesetz schon geschafft, hier mehr Transparenz zu schaffen und mehr Spielräume zu geben, über Entgelte auch zu sprechen miteinander im Betrieb. Aber mehr auch nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.