Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Entgelttransparenzgesetz
Was der Kollege wirklich verdient

Seit Anfang Januar haben Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch darauf zu erfahren, was Kollegen auf vergleichbaren Posten verdienen. Das Ziel: gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Gewerkschaften sehen erhebliche Mängel und Risiken für Arbeitnehmer, die das Gehaltsgefüge beim Chef erfragen wollen.

Von Manfred Götzke | 16.05.2018
    Zwei Miniatur-Figuren, eine männlich, eine weiblich, stehen auf einer schiefen Ebene einer Wasserwaage. Die männliche Figur steht etwas weiter unten.
    2017 lag die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei 21 Prozent (imago / Ralph Peters)
    Gut vier Monate ist das Entgelttransparenz-Gesetz jetzt in Kraft. Dass in der kurzen Zeit Hunderttausende Arbeitnehmerinnen ihre Chefs fragen, was die Kollegen verdienen - damit hat Elke Hannack nicht gerechnet, schließlich ist die Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes nicht naiv. Dass es DGB-weit allerdings nur elf Personen sind - auch wieder nicht.
    "Wir wissen, dass elf Leute überhaupt einen Auskunftsanspruch wahrgenommen haben, es sind ausschließlich Männer. Was wir uns vorgestellt haben, dass Tausende von Frauen hingehen und sagen, ich will wissen, was mein Entgelt im Vergleich zur Kollegin ist, ist überhaupt nicht eingetreten."
    "Bei Unternehmen bis 500 Mitarbeitern gar keine Anfragen"
    Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen, der kürzlich eine Umfrage zur Umsetzung des Gesetzes gemacht hat. Alexander Zumkeller, Präsident des Verbandes:
    "Wir haben bei Unternehmen bis 500 Mitarbeitern gar keine Anfragen, aber auch wenn Sie die großen Unternehmen anschauen, das ist eine Nachfrage mal - und das war es dann."
    Auf der anderen Seite stehe ein großer Aufwand, das Gesetz umzusetzen, so Zumkeller - die von ihm befragten Unternehmen bräuchten dafür sechs Tage oder mehr.
    Das Bundesfamilienministerium, maßgeblich am Gesetz beteiligt, kann bislang noch keine Zahlen zum Auskunftsanspruch vorlegen und verweist darauf, dass das Gesetz nun - Zitat - "erst einmal wirken" müsse.
    Gewerkschaften sehen ein Risiko bei individuellen Nachfragen
    Gewerkschafterin Hannack moniert dagegen grobe systematische Fehler. Der entscheidende bestehe darin: Arbeitnehmerinnen müssen - wenn ihr Unternehmen weniger als 500 Mitarbeiter hat - in der Regel selbst ihre Vorgesetzten um eine Auskunft bitten. Und damit gehen sie ein Risiko ein.
    "Es ist absolut nicht ausgeschlossen, dass der Chef dann sagt, die will wissen, wie die Gehälter der Männer aussehen und denen zahl ich doch extra ein bisschen mehr, weil sie die Ernährer der Familie sind, oder was weiß ich - und die wird bei der nächsten Beförderung nicht berücksichtigt."
    Hannack würde Arbeitnehmerinnen deshalb auch nicht in jedem Fall dazu raten, ihre Arbeitgeber überhaupt um Auskunft zu bitten, vor allem, wenn sie nicht in der Gewerkschaft sind. Die Union habe dem Druck der Wirtschaft so sehr nachgegeben, dass das Transparenzgesetz nun völlig verwässert sei. Aus einer guten und wichtigen Idee sei ein zahnloser Tiger geworden.
    "Alles ist nur auf Freiwilligkeit ausgelegt und wir sehen jetzt schon, dass das nicht funktioniert."
    Erst Betriebsgrößen ab 15 erfassen meist betroffene Frauen
    Das zeigt sich schon an der Struktur des Gesetzes: Hat ein Unternehmen weniger als 200 Mitarbeiter, ist es nicht auskunftspflichtig. Hat es mehr als 200 Mitarbeiter, gilt die Auskunftspflicht. Erst Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben, müssen selbst Berichte zur Lohnstruktur erstellen und offen legen. Zumindest theoretisch, denn tun sie das nicht, können sie nicht sanktioniert werden.
    "Wobei die Großunternehmen sind nicht das Problem, da haben wir häufig unsere Betriebsräte, da ist Tarifbindung da, da ist die Entgeltdifferenz auch nicht 21 Prozent, sondern oft null Prozent. Deshalb muss das Gesetz gelten für alle Betriebsgrößen mindestens ab 15 Beschäftigten, da sind die meisten Frauen, die auch Probleme haben mit gleicher Bezahlung."
    Keinerlei Aufschluss über tatsächliches Ranking und die Gründe
    Arbeitsrechtler Alexander Zumkeller hält das Gesetz ebenfalls nicht für hilfreich, um Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern zu beseitigen.
    "Das Entgelttransparenzgesetz gibt einen Anspruch auf Mitteilung des Medians der Vergütung einer Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts. Das ist eine Zahl, mit der man schlicht gar nichts anfangen kann. Selbst bei Gleichbehandlung sind immer 50 Prozent der Beschäftigten unter dem Median, und 50 Prozent drüber. Ich habe überhaupt keine Idee, wenn ich als Mitarbeiter diese Zahl bekomme, wo liege ich im Vergütungssystem wirklich und vor allem der viel wichtigere Grund, warum liege ich da!"
    Gender-Gap besonders im Öffentlichen Dienst
    Innerhalb einer Branche gebe es auch relativ wenig Lohnungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern. Das Gender-Gap bestehe vor allem, wenn man bestimmte Branchen vergleicht. Die vermeintlichen Männer und die vermeintlichen Frauen-Berufe
    "Das sind dann leider - und da muss sich die öffentliche Hand auch an die eigene Nase fassen - Bereiche im Öffentlichen Dienst. Kindergärten, Krankenhäuser, Grundschulen - da werden wir sicherlich, bei vergleichbarer Tätigkeit zur Industrie erhebliche Gendergaps finden."
    Verbindliche Prüfverfahren, Sanktionsmöglichkeiten fehlen
    Im Juni 2019 soll das Gesetz noch mal auf den Prüfstand – bis dahin will die Bundesregierung evaluieren, ob und wie es wirkt. Geht es nach Elke Hannack muss die Regierung definitiv: Nachbessern.
    "Da müssen dann verbindliche Prüfverfahren rein, dann müssen da Sanktionsmöglichkeiten rein. Denn Arbeitgeber sagen unseren Betriebsräten heute offen ins Gesicht, ich setze das Gesetz nicht um, ich setze diese Ansprüche nicht um."