Freitag, 19. April 2024

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"Entköppelung der Schweiz"
"Aktion war künstlerisch etwas unterkomplex"

Das Züricher Theater am Neumarkt hat zur Deportation von Roger Köppel, Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei, aufgerufen, eine Website mit dem Titel "Schweiz - entköppeln" gestartet. Stephan Märki, Präsident des Schweizerischen Bühnenverbandes, findet, dass das Ganze nun viel zu heiß gegessen werde - und der künstlerische Wert der Aktion auch nicht sonderlich hoch sei.

Stephan Märki im Gespräch mit Katja Lückert | 22.03.2016
    Die Schweizer Flagge weht nahe dem Jungfraujoch in den Berner Alpen
    In der Schweiz ist eine Diskussion um eine Kunstaktion entstanden. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Katja Lückert: Das Zürcher Theater am Neumarkt hat einen Aufruf zur "Deportation" von Roger Köppel, dem Chefredakteurs der Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" und Abgeordneten der Schweizerischen Volkspartei SVP gestartet. Das Theater hat zur Verstärkung das sogenannte "Zentrums für politische Schönheit" eingeladen - Aktivisten, die bereits mit einer Ebay-Versteigerung von Angela Merkel und ähnlichen Aktionen in Erscheinung getreten sind. Nun wurde der Politiker Roger Köppel öffentlich verflucht, es gab Voodoo-Sitzungen und eine Webseite unter dem Titel: Schweiz – entköppeln.
    - An den Präsidenten des Schweizerischen Bühnenverbands Stephan Märki die Frage: Fällt das alles für Sie noch unter die Freiheit der Kunst?
    Stephan Märki: Es wird ja auch diese rote Linie der Kunst diskutiert und die ist ja nicht eindeutig definiert. Da gibt es eine Interessenabwägung zwischen der Freiheit der Kunst auf der einen Seite und dem Persönlichkeitsrecht, in diesem Falle dem von Roger Köppel. Er selbst bleibt ja interessanterweise am gelassensten. Und er ist ja ein Medienprofi und provoziert selber auch gerne. Und ich denke, die ganze Aktion ist die Aufregung nicht wert. Wenn man mit Schlamm beworfen wird, dann lässt man den am besten trocknen, bis er von selber runterfällt. Die ganze Aufgeregtheit entspricht, glaube ich, nicht unbedingt dem Kunstwert dieser Aktion. Trotzdem finde ich die Diskussion, ob jetzt dem Theater die Subvention gestrichen werden soll oder nicht, eine müßige. Wenn Theater kein Risiko mehr eingehen dürften, erst dann wäre für mich eigentlich die Subvention infrage gestellt.
    Lückert: Inzwischen hat sich ja der Kantonsrat Zürich in die Sache eingemischt. Hier hören der Spaß und die Kunst auf, hieß es, die Aktion bewege sich im strafrechtlichen Bereich. Vielleicht hören wir mal 20 Sekunden aus dem Züricher Kantonsrat:
    O-Ton Kantonsrat: "Es ist in Zürich leider zur Gewohnheit geworden, dass gewisse, mit Steuergeldern finanzierte Kulturinstitutionen regelmäßig die verfassungsmäßige Kunstfreiheit missbrauchen und diese mit Narrenfreiheit für linkslastige, niederträchtige Aktionen verwechseln."
    Lückert: Das sind ja harte Vorwürfe, Herr Märki.
    Märki: Nicht generell Freiheit der Kunst infrage stellen
    Märki: Ja. Aber wenn man im Fußball ein Faul begeht, dann wird man ja auch nicht das Fußballspielen verbieten. Die Reaktion der Politik ist natürlich auch eine reflexartige auf das Medienecho. Und meiner Meinung nach wird das Ganze viel zu heiß gegessen. Ich meine, wir hatten auf der Bühne des Berner Theaters in verschiedenen Diskursforen auch schon Roger Köppel und Philipp Ruch und gestern Abend zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit, der sich wunderbar und sehr leidenschaftlich mit Max Moor und dem Schweizer Linken Cédric Wermuth über Europa und die Linken stritt. Ich selber bin schon auch der Meinung: Wenn die Leute miteinander streiten als übereinander reden oder polemisieren, dass der Erkenntnisgewinn da eher gegeben ist, auch wenn es medial weniger spektakulär ist. Aber deswegen jetzt irgendwie generell die Freiheit der Kunst infrage zu stellen, finde ich maßlos übertrieben.
    Lückert: Der Kantonsrat segnete Roger Köppel gestern gewissermaßen als Gegenaktion und viele Schweizer beteten in den letzten Tagen für ihn. Ist das also eine Aktion mit wenig Mehrheiten. Oder ist es ein Zeichen dafür, dass die Schweiz politisch gespalten ist, besonders im bürgerlichen Milieu?
    Märki: Nein, das finde ich nicht. Die Schweiz ist halt sehr konsensorientiert und auch auf Ausgleich ausgerichtet. Und da kann man natürlich alles, was versucht, über die Maßen zu provozieren, ein bisschen als unschweizerisch sehen. Aber ich finde, das Ganze fällt schon noch unter die Kunstfreiheit, wenn es das Persönlichkeitsrecht nicht tangiert. Und da ist die Frage, wo fängt das an, wo hört das auf. Für mich würde es aufhören, wenn die Aktion wirklich bis zum privaten Wohnort von Roger Köppel gezogen wäre oder worden wäre, aber das war ja nicht der Fall.
    Lückert: Der vor sechs Jahren verstorbenen Christoph Schlingensief kannte sich ja besonders gut aus im Feld der Vermischung von Politik und Kunst. Er wurde allerdings auf der Documenta 10 in Kassel von der Polizei festgenommen, als er ein Schild der Aufschrift "Tötet Helmut Kohl" verwendete. Haben sich die Zeiten geändert, oder sind die Zeiten einfach anders in der Schweiz?
    Märki: Nein. Ich glaube, Schlingensief hatte dann schon noch mal auch eine andere Botschaft und einen anderen künstlerischen Stellenwert. Ich glaube, die ganze Aktion war nicht besonders durchdacht. Und vor allem war sie auch künstlerisch, wie ich schon sagte, etwas unterkomplex, und deswegen ist das für mich eher so ein Stellvertreterkrieg, der da medial ausgefochten wird.
    Lückert: Etwas unterkomplex - das war der Präsident des Schweizerischen Bühnenvereins, Stephan Märki. Inzwischen haben sich verschiedene Schweizer Künstler in einem offenen Brief gegen mögliche Subventionskürzungen für das Theater am Neumarkt gewandt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.