Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Entschädigung für unsagbare Verbrechen

Als die Bundesregierung im Frühjahr 1952 mit Vertretern Israels Verhandlungen über Wiedergutmachungsleistungen für die Opfer des Holocaust aufnahm, gab es in beiden Ländern starke Vorbehalte gegen diese Gespräche. Viele Juden lehnten jeglichen Kontakt mit dem Land der Mörder ab, in Deutschland war kaum jemand gewillt, Verantwortung für das von Deutschen verübte Unrecht zu übernehmen. Doch die Regierungschefs der beiden Länder, Konrad Adenauer und David Ben Gurion, die je eigene Ziele verfolgten, ließen sich davon nicht beirren - und so wurde ein halbes Jahr nach Verhandlungsbeginn, am 10. September 1952, im Rathaus von Luxemburg das Luxemburger Abkommen unterzeichnet.

Von Matthias Bertsch | 10.09.2012
    "Warum haben wir dieses Abkommen geschlossen? Wir haben es nicht geschlossen, weil wir dazu gezwungen worden sind oder weil wir im juristischen Sinne dazu verpflichtet waren. Die Leistung, die wir darbringen, ist vielmehr eine durchaus freiwillige Leistung des deutschen Volkes. Die Motive dafür sind im letzten Grunde eine moralische Verpflichtung und das Gebot der nationalen Ehre."

    Als der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, die deutsche Öffentlichkeit über das Luxemburger Abkommen informierte, waren Kontakte zwischen Deutschland und Israel noch ein Tabuthema. Doch die wirtschaftliche Lage des jungen jüdischen Staates war desolat und der Wunsch der Bundesrepublik nach Anerkennung durch die westliche Staatengemeinschaft groß, und so hatten beide Seiten unter Vermittlung des Jüdischen Weltkongresses im Frühjahr 1952 mit Verhandlungen über eine Form der Entschädigung begonnen: Die israelische Seite sprach von "Zahlungen", die deutsche von "Wiedergutmachung". Das Abkommen, das ein halbes Jahr später unterzeichnet wurde, sah Lieferungen im Wert von 3,5 Milliarden Mark vor: Ein Großteil des Geldes sollte Israel bei der Eingliederung jüdischer Flüchtlinge unterstützen, knapp 500 Millionen gingen an die Jewish Claims Conference, die jüdische Familien vertrat, die im Holocaust vollständig ausgerottet worden waren. Doch die Summe war nicht das Entscheidende, betont der Historiker Michael Wolffsohn, der die deutsch-israelischen Beziehungen erforscht:

    "Das Entscheidende ist, dass das Schweigen zwischen Deutschen und Israelis und Diasporajuden gebrochen wurde, und noch wichtiger, dass die Regierung Adenauer, unterstützt von der SPD-Opposition das entscheidende Signal gegeben hat: Wir bereuen, wir erkennen die Schuld Deutschlands an. Das war Teil der herausragenden Erklärung von Adenauer am 27. September 1951, also vor Vertragsabschluss."

    Die Mehrheit der Deutschen habe sich an den Verbrechen an den Juden nicht beteiligt, hatte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor dem Parlament betont:

    "Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind."

    Die Wiedergutmachung war in der Bundesrepublik äußerst umstritten. Während sich im Parlament eine knappe Mehrheit für das Abkommen aussprach, sah die Stimmung in der Bevölkerung anders aus, erzählt Michael Wolffsohn:

    "In der Bundesrepublik Deutschland haben unmittelbar nach Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens, also im September 1952, gemäß der Allensbach-Umfrage 44 Prozent der Bundesdeutschen dieses Abkommen abgelehnt. Man habe, Zitat, 'zu viel' gezahlt, nur elf Prozent der bundesdeutschen Bürger haben dieses Abkommen befürwortet."

    In Israel demonstrierten Holocaust-Überlebende in KZ-Kleidung gegen Verhandlungen mit dem Land der Mörder, die Opposition um Menachem Begin sprach von "Blutgeld". Michael Wolffsohn:

    "In der Knesset gab es im Januar 1952, als über die Aufnahme von Verhandlungen diskutiert wurde, tumultartige Szenen, und die Begin-Anhänger, übrigens dann auch die Linken, marschierten vor die Knesset, es flogen Steine und es bestand tatsächlich damals bei den Akteuren der Regierung die Angst vor einem Bürgerkrieg."

    Dennoch standen die Verhandlungen für Premierminister David Ben Gurion nie zur Disposition, und so wurde das Abkommen am 10. September 1952 an einem neutralen Ort unterzeichnet: im Rathaus von Luxemburg. Auf deutscher Seite unterschrieb Bundeskanzler Konrad Adenauer, auf israelischer Außenminister Moshe Scharett, der sich erinnert:

    "Es war dies ein historischer Akt, der dem freien Nachkriegsdeutschland Ehre einbrachte und der sich für Israel zu einer Quelle wichtigster konstruktiver Hilfe ausgewirkt hat."

    So unpopulär der Vertrag auch war, ohne das Luxemburger Abkommen wäre es acht Jahre später wohl nicht zur Begegnung von Adenauer und Ben Gurion in New York gekommen - und auch nicht zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel im März 1965.