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Entschädigungs-Urteil für Atomkonzerne
Trittin: "Krachende Niederlage" für Ausstiegsgegner

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Entschädigungen für Energiekonzerne grundsätzlich begrüßt. Die Entscheidung sei eine "krachende Niederlage" für diejenigen, die versucht hätten, den Atomausstieg für verfassungswidrig zu erklären, sagte der Grünen-Politiker im DLF.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Sandra Schulz | 07.12.2016
    Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen)
    Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Man habe mit der Entscheidung einen großen Schritt nach vorn getan, da die Energiekonzerne mit ihrem Versuch, Milliarden-Entschädigungen einzuklagen, gescheitert seien. Dass die Kraftwerksbetreiber laut Urteil dennoch Anspruch auf eine "angemessene" Entschädigung hätten, liege am "handwerklichen Pfusch" der großen Koalition, sagte Trittin. Kritik an der früheren rot-grünen Bundesregierung wies er zurück. Man habe 2002 ein "verfassungsfestes Gesetz" eingeführt, das die schwarz-gelbe Koalition anschließend wieder "kaputtgestümpert" habe.
    Die Verfassungsrichter hatten gestern entschieden, dass den Energiekonzernen wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein angemessener Ausgleich für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte zusteht.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon ist Jürgen Trittin, grüner Bundestagsabgeordneter und Umweltminister von 2002, also der Mann, der den ersten Atomausstieg mit verhandelt hat. Guten Morgen, Herr Trittin.
    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Der Bundesregierung ist jetzt ja vor allem auf die Füße gefallen, dass Rot-Grün den Konzernen 2002 zugesichert hat, diese bestimmten Reststrommengen abzunehmen. Warum waren Sie denn da so großzügig?
    Trittin: Wir waren nicht großzügig, sondern wir haben ein verfassungsfestes und, wenn Sie das Urteil der Karlsruher Richter lesen, geradezu hymnisch gelobtes Modell gefunden, das sicherstellt, dass tatsächlich abgeschaltet wird und dass dabei die Rechte der Betreiber gewahrt werden. Dass man dieses Modell verlassen hat, hat nun dazu geführt - und das war halt der Pfusch der Merkel-Regierung -, dass möglicherweise zwei Unternehmen wegen zwei Kraftwerken von 16 ein Entschädigungsanspruch besteht. Aber das heißt auf der anderen Seite, das war gestern …
    "Schwarz-Gelb hat unser Gesetz kaputtgestümpert"
    Schulz: Aber, Herr Trittin! Bei dem Punkt würde ich gerne noch bleiben, weil darauf ja meine Frage auch zielte. Es heißt umgekehrt aber auch, dass Sie Zusagen gemacht haben 2002 und Schwarz-Gelb da schlichtweg 2010 strenger war. Können wir das festhalten?
    Trittin: Nein! Schwarz-Gelb war schlechter. Schwarz-Gelb hat ein Modell geschaffen, was im Einzelfall tatsächlich Probleme dann auslöst, wenn es zu solchen Entschädigungen kommt. Das war handwerklicher Pfusch. Halten wir fest: Wäre es nicht zu einer Verlängerung der Laufzeiten gekommen, die man dann in schlechter Weise wieder korrigiert hat, dann gäbe es heute überhaupt gar kein Problem. Insofern: Wir haben ein verfassungsfestes Gesetz gemacht und Schwarz-Gelb hat es kaputtgestümpert.
    Schulz: Was war daran Pfusch? Das Atomkraftwerk Krümmel, das zu dem Zeitpunkt als absolutes Pannenkraftwerk galt, das sofort abzuschalten, was war daran gepfuscht?
    Trittin: Sie hätten das tun können und sie hätten das sozusagen in dem Modell der Reststrommengen tun können und hätten das überlassen können. Das hat das Gericht gestern so gesagt. Die Frage ist schlicht und ergreifend geklärt. Die spannende Frage ist doch eigentlich, was folgt daraus.
    Schulz: Die wollte ich Ihnen gerade stellen, Herr Trittin.
    Trittin: Daraus folgt doch erst mal eins: Die Unternehmen sind mit 19 Milliarden Klageansprüchen gestern nach Karlsruhe gegangen und sie sind wahrscheinlich eher mit weniger als 18 Milliarden, wenn überhaupt zurückgekommen. Insofern haben wir gestern einen großen Schritt nach vorne getan. Das haben auch übrigens die Umweltverbände gestern in ihrer Kommentierung genau so gesehen. Und damit sind wir in der Frage, wie gehen wir eigentlich mit dem ausstehenden Rechtsstreit um, einen Schritt weitergekommen. Die entsorgungsbezogenen Klagen, die die Unternehmen angestrengt haben - das sind ja wahre Prozesshansel; es sind fast 20 Klagen in diesem Zusammenhang -, die werden sie zurückziehen im Zusammenhang mit der Finanzierungsfrage für den Atommüll.
    Wir haben zum Zweiten eine Batterie von Klagen, die sie losgelassen haben im Zusammenhang mit der vorübergehenden Stilllegung während Fukushima in verschiedenen Bundesländern. Diese Klagen werden sie im Zuge des Gesetzgebungsprozesses auch zurücknehmen müssen. Und jetzt sind sie mit der Klage in Karlsruhe gescheitert und sie werden mit diesem Verlust in Karlsruhe auch mit der Klage scheitern, die Vattenfall angestrengt hat vor dem internationalen Schiedsgericht in dem schönen Washington.
    "Man muss schon von einer sehr krachenden Niederlage sprechen"
    Schulz: Herr Trittin, jetzt müssen wir aber bei der Zahl erst mal bleiben, die Sie gerade genannt haben. Sie haben gesagt, sie sind jetzt mit weniger als 18 Milliarden Euro rausgegangen, weil ja viele Steuerzahler jetzt in der Tat interessiert, wie teuer das werden wird. Das ist die Größenordnung, die Sie nach wie vor für plausibel halten? Weniger als 18 Milliarden Euro ist ja eine große Spanne.
    Trittin: Nein! Sie haben 18 Milliarden gestern verloren. Das ist die Situation als Mindestes und ich bin ziemlich sicher, dass es auch darunter noch liegen wird. Im Übrigen sind es nicht die; das sind die Eigentümer von zwei Kraftwerken an dieser Stelle. Insofern muss man schon von einer sehr krachenden Niederlage sprechen von denjenigen, die versucht haben, dort den Atomausstieg für verfassungswidrig zu erklären.
    Schulz: Ihre Einschätzung ist, dass vielleicht jetzt noch eine Milliarde herauskommen könnte für die Atomkonzerne?
    Trittin: Das hat doch der Gesetzgeber in der Hand. Der Gesetzgeber muss bis 2018 eine Regelung finden. Diese Regelung kann auf verschiedene Weise geschehen. Sie kann auch durch einen konzernübergreifenden Ausgleich passieren. All dieses wird der Gesetzgeber zu regeln haben und übrigens nicht die Unternehmen, und insofern glaube ich, dass in der Tat die Unternehmen verpflichtet sich gefühlt haben, wegen ihrer Aktionäre zu klagen, aber sie sind in der Hauptsache, den Atomausstieg für verfassungswidrig zu erklären, gescheitert.
    Schulz: Wird das Paket denn dann noch mal aufgeschnürt rund um die Endlagerfrage, wenn jetzt die Milliarde, die ich subtrahiert habe aus 19 Milliarden und 18 Milliarden, die Sie nennen, übrig bleibt? Wird das noch mal aufgeschnürt?
    Trittin: Warum sollte das? Im Gegenteil! Wir haben uns gerade als Kommission dagegen verwahrt, dass die Mittel, die für die Endlagerung zurückgestellt worden sind - dies sind 60 Milliarden, die allein für den Rückbau von den Unternehmen zu bezahlen sind; die Unternehmen sollen jetzt fast 24 Milliarden vorab, die sie auch schon zurückgestellt haben, vorab bezahlen an den Staat -, dass dieses Geld verrechnet wird mit Rechtshändeln, die Schwarz-Gelb zu verantworten hat. Dass mit am Ende das andere bezahlen, das ist nicht einzusehen. Deswegen hat die Kommission sehr deutlich gesagt, die Mittel für die Entsorgung stehen nicht nur Verfügung zur Begleichung von Rechtshändeln mit den Unternehmen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.