Donnerstag, 28. März 2024

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Entscheidung zur Tarifeinheit
"SPD verkommt zu Ersatz-FDP"

Das neue Gesetz zur Tarifeinheit bedeutet nach Ansicht des SPD-Politikers Rudolf Dreßler eine Einschränkung des Streikrechts. Der frühere Sozialexperte seiner Partei sagte im DLF, das Gesetz habe in Karlsruhe keine Chance. Vor allem aber richte es für die SPD enormen Schaden an.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Christine Heuer | 23.05.2015
    Rudolf Dreßler (SPD) in der ARD-Talkshow ANNE WILL am 30.07.2014 in Berlin
    Der SPD-Politiker Rudolf Dreßler kritisiert im Interview mit dem Deutschlandfunk das Gesetz zur Tarifeinheit. (imago / Müller-Stauffenberg)
    Dreßler übte im Deutschlandfunk-Interview harsche Kritik an seiner Partei: Die SPD "verkommt in dieser Koalition zu einer Ersatz-FDP". Sie lasse Arbeitnehmer im Stich, die sich für eine kleinere Gewerkschaft entschieden hätten. Damit schade sich die Partei selbst. Nach Auffassung Dreßlers darf Politik nicht per Gesetz die Verhältnismäßigkeit von Streiks definieren. Genau das sei nun aber geschehen.
    Der stellvertretende SPD-Partei-Vorsitzende Ralf Stegner verteidigte das neue Gesetz. Es gehe der SPD "überhaupt nicht darum, das Streikrecht einzuschränken", sagte er im Deutschlandfunk. Ziel sei es vielmehr, Streit der Gewerkschaften untereinander zu vermieden. "Das hat Arbeitnehmern noch nie genutzt."
    Das Tarifeinheitsgesetz soll am 1. Juli in Kraft treten. Mehrere kleine Gewerkschaften wie der Marburger Bund und die Pilotenvereinigung Cockpit wollen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht anfechten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Der Bericht von Theo Geers, und am Telefon ist, wie versprochen, Rudolf Dreßler, der Sozialdemokrat war viele Jahre der ausgewiesene Sozialexperte seiner Partei. Guten Tag, Herr Dreßler!
    Rudolf Dreßler: Guten Tag!
    Heuer: Ich setze voraus, dass Sie strikt gegen das Tarifeinheitsgesetz sind und möchte Ihnen Gelegenheit geben, das noch einmal zu begründen. Was stört Sie vor allem?
    Dreßler: Sie gehen recht in der Annahme, dass ich dagegen bin, weil nach meiner Wahrnehmung und dem Studium dessen, was mir vorliegt, ein Eingriff in die Tarifautonomie und damit eine Grundgesetzverletzung passiert ist, und das basiert darauf, dass in der Begründung dieses Gesetzes steht: Wenn in einem Betrieb der Tarifvertrag einer Mehrheitsgewerkschaft gilt und eine Minderheitsgewerkschaft dennoch zum Streik aufruft, ist dieser nicht rechtmäßig, weil unverhältnismäßig. Und das bedeutet, dass in der Begründung eines Gesetzes die Unverhältnismäßigkeit des Streiks von der Politik definiert wird. Das hat nach meiner Auffassung in Karlsruhe keinen Bestand.
    Heuer: Das ist so die juristische Seite. Nun hat aber die Lokführergewerkschaft ja tatsächlich die Bürger monatelang in eine Art Geiselhaft genommen. Ist es da nicht angemessen, dass man solchen Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben versucht?
    Dreßler: Also wenn ich Anreize schaffe, so etwas zu verhindern, dann ist das etwas anderes, als wenn ich es durch ein Gesetz erzwinge. Und hier hat die jetzige Koalition, immerhin einen 80-Prozent-Block im Parlament, also eine Riesenmehrheit, etwas gemacht, was einen Zwang darstellt und nicht einen Anreiz darstellt, sich zukünftig anders in solchen Tarifverhandlungen zu verhalten. Und dieses wird nun, ob man will oder nicht, von Karlsruhe geprüft werden. Man muss wissen: Nach unserem Verständnis in der ganzen Zweiten Republik Deutschlands ist das Streikrecht ein Menschenrecht, das allen zusteht. Und wenn man dieses Streikrecht anderer beschränkt, dann wird man sich nicht wundern können, wenn eines Tages das Streikrecht bei einem selbst beschränkt wird. Und deshalb ist die Auffassung des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Stegner, mit Verlaub, naiv. Diejenigen, die das Streikrecht immer schon einengen wollten, fühlen sich jetzt bestätigt, weiterzugehen. Übrigens war das genauso in der politischen Auseinandersetzung um die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung, da hat auch die SPD geschrien: Niemals mit uns! Und heute hat sie es in allen Sozialversicherungszweigen bereits praktiziert.
    Heuer: Ja, lässt Ihre Partei die Arbeitnehmer im Stich?
    Dreßler: Also in diesem Falle lässt sie nicht die Arbeitnehmer im Stich, sondern sie lässt diejenigen Arbeitnehmer im Stich, die sich freiwillig entschieden haben im Sinne der Koalitionsfreiheit, bei einer anderen Gewerkschaft zu sein. Das muss ich in der Demokratie ertragen können, weil dieses ein demokratisches Prinzip darstellt.
    Heuer: Wie kommt es, dass die SPD aber mehrheitlich mitmacht bei diesen Plänen? Was hat sich denn da in Ihrer Partei verändert, entwickelt auch?
    Dreßler: Also diese Frage verschließt sich mir völlig. Ich kann das überhaupt nicht verstehen, weil man jetzt den Eindruck hat, dass die SPD in dieser Koalition zu einer Ersatz-FDP verkommt, die anderen Mehrheiten zur Mehrheit verhilft, hier der CDU/CSU. Und dieses wird der SPD, nach meiner Auffassung, noch weiter schaden, als sie andere Dinge bereits schädlich zu registrieren hatte.
    Heuer: Nun ist die SPD ja nicht alleine, auch nicht alleine mit der Union. Auch der DGB ist für das Gesetz. Sitzen denn im Dachverband der Gewerkschaften auch Verfassungsbrecher und Feinde der Arbeitnehmerinteressen, Herr Dreßler?
    Dreßler: Also der Dachverband DGB und andere Gewerkschaften, die dieses Gesetz bisher unterstützt haben, stehen in Konfrontation zu anderen Gewerkschaften, darunter auch riesengroße wie Verdi, die dieses Gesetz strikt ablehnen. Und dann wird man sehen müssen, wer recht hat. Man stelle sich nur mal vor, das Bundesverfassungsgericht sagt, wie man es befürchten muss: Dieses Gesetz ist nicht verfassungskonform. Dieses wird der CDU/CSU überhaupt nicht schaden, aber es wird der SPD voll angelastet. Und das ist eine Vorstellung, die macht mich bald verrückt.
    Heuer: Verdi, das ist richtig, ist gegen das Gesetz. Ich komme trotzdem noch mal auf den DGB zurück. Da hat sich doch auch in der Gewerkschaftslandschaft was verändert, das sind doch auch Dinge, die wären früher gar nicht denkbar gewesen.
    Dreßler: Da haben Sie völlig recht: Dieses ist für mich auch unerklärlich, warum dieses so geschehen soll, wie es in der Vergangenheit nie der Fall war, dass sich eine Gewerkschaftsbewegung nicht verständigen kann in diesen grundsätzlichen Fragen, eine einheitliche Haltung einzunehmen. Aber wir werden nun den Lauf der Dinge abwarten müssen, es ist ja jetzt passiert. Und wie oft in Deutschland, jedenfalls im zweiten Deutschland, der Zweiten Republik, wird das Verfassungsgericht entscheiden, wo nun die Schwerpunkte zu liegen haben.
    Heuer: Herr Dreßler, nun gibt es ja schon Nachbesserungsforderungen aus der CDU, zum Beispiel, dass 48 Stunden zwischen der Streikankündigung und dem Streikbeginn liegen sollen, dass Schlichtungsversuche gesetzlich vorgeschrieben werden sollen. Sind Sie da auch dagegen? Das sind dann ja eher so Regeln, die in der Praxis sich bewähren könnten. Haben Sie dafür eine gewisse Sympathie?
    Dreßler: Man muss immer sagen: Woher kommt das, aus welcher Ecke? Es kommt aus der Ecke, wo die Sektflaschen aufgemacht worden sind, als dieses Gesetz gestern beschlossen wurde im Bundestag. Das ist der Arbeitgeberverband, und es sind die Repräsentanten des Arbeitgeberverbandes in der CDU/CSU, die diese Dinge formulieren. Und die bewirken, dass ein paar Minuten nach Beschlussfassung des Gesetzes bereits ein stellvertretender SPD-Vorsitzender sagen muss: Als Mitglied dieser Koalition - niemals, mit uns nie! Und das wiederum erinnert, dass die SPD das schon mehrfach in den letzten 15 Jahren gemacht hat und regelmäßig umgefallen ist. Und deshalb gebe ich auf dieses "Mit uns niemals" gar nichts.
    Heuer: Also auch da wird Ihre Partei umfallen?
    Dreßler: Das ist meine Prognose, dass sie umfällt, es sei denn, Karlsruhe hilft ihr, stellt dieses Gesetz, wenn man so will, außerhalb der Reichweite.
    Heuer: Rudolf Dreßler, der Sozialdemokrat und Sozialexperte seiner Partei. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Dreßler!
    Dreßler: Wiederhören!
    Heuer: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.