Freitag, 19. April 2024

Archiv


Entscheidungen in einem Fall von Liebe

Zwischen Deutschen und Amerikanern herrscht eine special relationsship , zwischen Männern und Frauen ebenfalls. Taucht dann noch ein jüdisches Element auf, sind Irrungen und Wirrungen unausweichlich. So bei Hester Rosenfeld, New Yorker Historikerin mit Interesse am europäischen Mittelalter. Ihre eigene, amerikanische Geschichte erscheint ihr nach mehreren Studienprojekten zu eindimensional - nur die Jahrtausende umfassende Vergangenheit des alten Europas vermag sie noch zu locken. Auf Anraten eines Kollegen wendet sie sich an einen Münchner Mediävisten, der ihr bei der Auswahl des Themas behilflich sein könne. In Bayern angekommen, trifft sie der Blitz - nicht der Erkenntnis, sondern der Liebe. Dieser blonde Womanizer namens Heinrich Falk, der nur Assistentinnen um sich schart, viermal verheiratet war mit drei Frauen - woraus sich nach Adam Riese ergibt, dass er eine Frau zweimal ehelichte -, dieser höchst attraktive Mittfünfziger sucht nämlich gerade eine Geliebte. Die letzte kam ihm zwischen Euphorie und Gewöhnung abhanden, was sein seelisch-erotisches Gleichgewicht empfindlich störte.

Florian Felix Weyh | 12.06.2003
    Neben Ehefrau und Kindern - alles Töchter! - muss der virile Professor ein zusätzliches weibliches Element um sich haben, damit sein brillanter akademischer Verstand auf Hochtouren läuft. Hester Rosenfeld kann gar nicht anders, als diesem herrlichen deutschen Recken zu verfallen. So verändert sie ihr wissenschaftliches Setting: Heinrich Falk wird nicht nur ihr Liebhaber, sondern zugleich ihr Forschungsobjekt, Kulturanthropologie statt Geschichtswissenschaft. "Er ist zweifellos der eitelste Mann, dem ich je begegnet bin", lässt die Autorin ihre Heldin sagen. "Nicht eitel im arroganten Sinn des Wortes. (...) Es ist vielmehr so, dass alles, was mit ihm zu tun hat, ihn einfach über die Maßen beglückt. Ihm wird geradezu schwindelig, wenn er im Mittelpunkt steht." Und weil Liebe den anderen glücklich sehen will, hat die emanzipierte New Yorker Jüdin auch kein Problem damit, das Leben dieses - wie sie es findet - typischen Deutschen zu erforschen und zu dokumentieren. Sie liest hinterlassene Aufzeichnungen der vergötterten Mutter, studiert intime Briefwechsel, führt Interviews mit den Verflossenen. Dies alles mit der gelassenen Distanz der Geliebten, die weiß, dass sie stets besser und bevorzugter behandelt wird als die aktuelle Ehefrau, und dass die einzige Gefahr im Automatismus lauert, mit dem Heinrich Falk bislang jede seiner Ehefrauen aus dem Affären-Pool bezog. Da sei ihre Lebens- und Geliebtenerfahrung vor!

    Im deutsch-jüdischen Themen - respektive Minenfeld herrscht meist eine Bauweise aus Stahlbeton vor: Wuchtig und schwer stehen die Texte auf dem ehernen Fundament der Zeitgeschichte. Binnie Kirshenbaum errichtet dagegen einen Roman in Ständerholzbauweise: Ein luftiges Gerüst, das genügend Leerstellen für ironisches und historisches Material bietet, vielleicht nicht bis in alle Ewigkeiten hält, dafür aber die Rezeptionsbereitschaft des Publikums nicht überstrapaziert. Man spaziert in eine leicht überdrehte Liebesgeschichte über einen Pascha und seine Bewunderin hinein, um dann doch beim Unausweichlichen anzukommen: Obwohl Hester Rosenfeld sich nie als Opfer des Holocaust begriff - ihre Eltern stammen aus Deutschland -, beginnt sie unwillkürlich, in der Biographie des Geliebten nach Verdachtsmomenten zu suchen. Unverstrickte Deutsche, so das Paradigma, kann es in der Generation seiner Eltern nicht gegeben haben. Auch wenn sie nichts findet, genügt die Perspektive ihrer Notizen schon, den großen Krach heraufzubeschwören. Als Heinrich Falk eines Nachts die Aufzeichnungen über sich selbst liest, fühlt er sich missverstanden, fehlinterpretiert, grotesk überzeichnet. Statt das auf den Doppelstatus der Protokollantin als Geliebte und Beobachterin zu schieben - ein Spagat, der nicht glücken kann -, geht das Wortgefecht innerhalb weniger Sätze in einen stereotypen, deutsch-jüdischen Schlagabtausch über: er der Geschichtsleugner, sie die geltungssüchtige Jüdin. Danach ist nichts mehr wie zuvor, und man kann sich das Finale des Buches ausmalen. Dass beim Leser dennoch keine Enttäuschung übrigbleibt, liegt an der warmen Herzlichkeit, mit der Binnie Kirshenbaum ihren Figuren Gerechtigkeit widerfahren lässt: Sie sind, wie sie sind, unperfekt und mit Macken behaftet - Intellektuelle eben bei ihrer Arbeit am Beziehungschaos.