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Entschlacktes Männerbild

Altmeister Dieter Dorn, langjähriger Chef der Münchner Kammerspiele und zuletzt am Residenztheater, hat sich nach 50 Jahren Theaterarbeit "Das Käthchen" als seine Abschiedsvorstellung ausgesucht. Die Umsetzung ist perfekt gelungen.

Von Rosemarie Bölts | 14.02.2011
    Es ist so, als ob Dieter Dorn es mit seiner letzten Inszenierung als Intendant am Münchner Staatsschauspiel noch einmal allen zeigen will. Seinen Kritikern, die nörgeln, dass der 75-Jährige nicht längst dem jüngeren Nachfolger Martin Kusej den Platz geräumt hat. Seinem Publikum, das etwas Altbackenes und ein gewisses Erlahmen seiner Regiekünste in den letzten Jahren registriert hat. Und natürlich sich selbst, dass er immer noch seine unbedingte "Texttreue" in atemberaubende Sprachmächtigkeit bei seinen Schauspielern umsetzen kann.

    Zum opulenten Finale einer Regie-Intendanten-Ära mit fast allen, die am Bayerischen Staatstheater Rang und Namen haben, also - ausgerechnet - Kleists "Käthchen von Heilbronn". Das ominöse "Ritterschauspiel", das eher zu Gefühlskitsch und Kostümverleih im Eventtakt einlädt und deshalb als äußerst"schwierig" gilt, wird in dieser Aufführung durch Dorns Inszenierungsstil Wort für Wort, Satz für Satz in Schwingung gebracht, wahrhaftig, schnörkellos, eindringlich:

    "Ihr hohen, heiligen und geheimnisvollen Herren. Ich erlitt in 53 Jahren, da ich lebe, so viel Unrecht, dass meiner Seele Gefühl nun gegen seinen Stachel wie gepanzert ist. Und während ich Waffen schmiede für andere, die die Mücken stechen, werd ich selbst zum Skorpion: Fort mit Dir! Und lass ihn fahren. Friedrich Graf Wetter vom Strahl hat mir mein Kind verführt!"

    Natürlich ist es nicht so, wie es der väterlich verzweifelte Waffenschmied vor dem Femegericht darstellt, das den angeklagten Ritter denn auch nach spannungsvollen Monologen und Kreuzverhören von jeder Schuld freispricht. Es geht vielmehr um die wie ein Magnet wirkende, unbedingte, reine Liebe des Katharinen-"Käthchens", deren "Bestimmung" von dem jungen Schauspielwunder Lucy Wirth kongenial verkörpert wird, zu dem einander im Traum versprochenen Grafen vom Strahl, der genauso kongenial in Felix Rech als wegen seines Standes überlegener, als Mann jedoch seinen Gefühlen unterlegener Schlacks in Jeans daherkommt.

    Sein Herz bleibt anfangs symbolisch im metallenen Brustpanzer verschlossen, weshalb er erst einmal auf das intrigante Luder "Kunigunde" hereinfällt, die wie immer wunderbar exaltierte und in dieser letzten Rolle als falsche Fuffzigerin wunderbar exaltiert komisch agierende Sunnyi Melles. Derweil lässt ihr gehörnter Verlobter während ihres Beutezuges beleidigt ihre Burg in Flammen aufgehen, was wiederum die schönsten Turbulenzen auf der Bühne ergibt, bis sich alles wieder fügt:

    "Wenn's ist, wie du mir sagst - Nun, was fehlt?
    Was, sprich, was soll draus werden.
    Draus werden?
    Ja, hast du schon bedacht?
    Mh. Zu Ostern, übers Jahr wirst du mich heuern!
    Oho, heuern! In der Tat, das wusst ich nicht."

    Dass Dorn nebenbei die Geschlechterstereotypen auflöst, den Männern das Ehrgepussel erlässt oder wenigstens entzaubert und den Frauen nicht die aufgesetzte Bürde der Emanzipation oder das vermeintlich Sentimentale im Text aufdrängt, bedingt die perfekte Umsetzung von unwirklichen Wahrheiten, die Kleists "Käthchen" meint.

    Zum Altmeister Dorn gehört sein jahrzehntelanger künstlerischer Wegbegleiter, der Bühnenbildner Jürgen Rose. Noch ein Altmeister. Er setzt in die Grenzenlosigkeit der Dorn'schen Vorstellung von Theater konzentrierte Inseln des Spielverlaufs. Wie immer, einfach perfekt.

    Das entschlackte Männerbild hin oder her, ein bisschen Nicht-ablassen-Können von seiner Berufsehre dann doch: Dorn richtet am Anfang stumm, nur mit sparsamen Gesten das Schauspiel ein. Und am Ende spielt er, sich selber überhöhend, den Kaiser. Das ist nicht jedermanns Sache, passt aber wiederum zu Dorn und sei dem Altmeister nachgesehen.

    Fünf Stunden dauert die ungekürzte Aufführung. Und keinen Takt zu lang. Es ist Unterhaltung im besten Sinne, die tief berührt, durch theatrales Spektakel und Spiellaune überrascht und sehr genaues Hinhören lehrt. Und das alles soll nun ein Ende haben? Standing ovations des verwöhnten Münchner Publikums, nicht enden wollende "Bravo"-Rufe, bis der gerührte Dorn abwinkt und endgültig von der Bühne geht: Gut ist's. Genug.