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Entschlossen, es doch zu tun

Der Film schildert die realen letzten Wochen im Leben von sieben Trappistenmönchen, die in Algerien, am Fuß des Atlas-Gebirges 1996 entführt und ermordet wurden. Während um das Kloster herum schon gemordet wird, bleiben die Glaubensmänner dennoch an ihrem Andachtsort.

Von Rüdiger Suchsland | 16.12.2010
    Meditative Bilder, ein katholischer Gottesdienst, Momente von Frieden und Einkehr: Ein Abendmahl, zelebriert von einer kleinen Gruppe von Trappistenmönchen. Sie sind unter sich, neun mittelalte bis alte Männer. Während man als Zuschauer im Kino dem Ritual zusieht, spürt man die Ruhe einer Auszeit im alltäglichen Tun.

    Man weiß zu diesem Zeitpunkt schon, aber man muss es nicht wissen, dass der Film im kargen Hochland von Algerien spielt, Mitte der 1990er-Jahre. Die neun Mönche sind die Besatzung eines kleinen Klosters, das sich seit Jahrhunderten an diesem Ort befindet, das auch nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft ganz selbstverständlich dageblieben ist.

    Denn man ist mit diesem Ort verwachsen, mit seiner Erde und mit seinen Bewohnern. "Wir brauchen Euch" sagen die armen Bauern der Gegend, die in dem Kloster ärztlich versorgt werden, die hier technische Hilfe erhalten. Die Mönche selbst pflegen ihren Klostergarten und treiben mit den Einheimischen Handel.

    Aber so friedlich wie das alles klingt, ist es nicht. Die andere Seite der Wirklichkeit, war der Bürgerkrieg, der in jenen Jahren in Algerien tobte: Eine islamistische Widerstandsgruppe kämpfte gegen die laizistische Regierung in Algier. Umkämpft waren vor allem Dörfer wie dieses, und wer sich nicht überzeugen ließ, wurde eingeschüchtert, bedroht, und manchmal umgebracht.

    Die Mönche wollen nicht Partei ergreifen, aber zunehmend werden auch sie bedroht und schließlich zu einer Entscheidung gezwungen. Xavier Beauvois Film "Von Menschen und Göttern" erzählt ihre Geschichte.

    Der Film zeigt den Alltag der Mönche, ihr ganz normales Zusammenleben, die Dynamik in der kleinen Gruppe, die einer Großfamilie ähnelt, das Miteinander und die Spannungen, Abneigungen und Sympathien, Gespräche und vielsagendes Schweigen. Er zeigt auch, wie die Bedrohung schleichend in diesen Alltag eindringt, wie sie das Leben infiziert.

    Um die drei Millionen Menschen haben diesen Film in Frankreich gesehen. Das ist eine unglaubliche, erstaunliche Zahl. Man kann sie nicht allein damit erklären, dass dies ein hervorragender Film ist. Man kann sie auch nicht allein damit erklären, dass in Frankreich die Filmkultur viel besser entwickelt, dass das Kinopublikum dort aufgeschlossener und neugieriger, auch wagemutiger ist.

    Und auch mit einer angeblichen "neuen Religiosität" ist noch nicht viel gesagt. Denn "Von Menschen und Göttern" ist zwar ein Film über das Leben von Mönchen und über Spiritualität, dem so alle Schauwerte fehlen, mit dem das Spektakelkino der Gegenwart normalerweise gern aufwartet; aber es ist ein spiritueller Film, der zugänglich auch für jene ist, die sich religiös unmusikalisch fühlen, und an keinen Gott und keine Religion glauben.

    Dieser Film "zeige die Radikalität des Christentums" hat die "ZEIT" erstaunlich zeitgeist-hörig geschrieben. Das mag schon stimmen. Aber, so muss man wohl ergänzen, dieser Film zeigt Radikalität überhaupt. Er handelt davon, warum sie manchmal nötig ist, worin ihre Faszination und ihre Gefahren liegen.

    Dies ist daher auch nicht der Film zur aktuellen Islamdebatte. Es geht hier nicht um den Gegensatz zwischen christlichem Abendland und zurückgebliebenem Orient, hier steht nicht aufgeklärte Toleranz gegen verbohrten Fanatismus.

    Denn auch die friedlichen Bauern sind Moslems, und auch die Mönche sind keineswegs tolerant, und sie sind auch nicht wirklich modern in unserem Sinne. Vielmehr sind sie überaus sperrig und unbequem, und in einem gewissen Sinn immer schon nicht von dieser, von unserer Welt. Zugleich aber - und das ist die entscheidende Erfahrung dieses großen Films - sind sie überaus menschlich.

    Es ist die Humanität, die diese neun Menschen in jedem Augenblick, auch in ihren Schwächen, oder dem, was uns unverständlich ist, an den Tag legen, die uns für sie einnimmt,

    "Von Menschen und Göttern" ist daher in jeder Hinsicht, in seinem Stil, seiner Erzählweise und in dem was erzählt wird, vor allem eine intensive Kinoerfahrung.

    Irgendwann feiern die Mönche das Osterfest. Ein letztes Abendmahl. Sie essen gut, trinken Wein und hören die Musik aus Tschaikowskys "Schwanensee".

    Minutenlang hört man nur diese Musik, sieht man ihnen dabei zu. Es ist das reine Glück, und es ist ein endgültiger Abschied. Denn die Mönche wissen, dass sie in den Tod gehen werden

    "Von Menschen und Göttern" ist eine Passionsgeschichte, ein Opfergang. Eine Geschichte über Zweifeln und Zaudern, über das Gespür für das moralisch Richtige, und über die Angst vor den Konsequenzen, die es birgt. Und ein Film über die Entschlossenheit, es dann aber doch zu tun, über die Freiheit, die man spürt, wenn man sich schließlich entschieden hat.