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Entstehung von Planeten
Kollisionen im Vakuum

Das Sonnensystem besteht nicht nur aus Planeten, sondern auch aus einer Art Bruchware: kleinere Brocken aus Eis und Gestein. Diese Trümmer werden im Rahmen eines Forschungsverbunds von vier Universitäten erstmals untersucht. Diese lassen unter Vakuum zwei Staubbrocken aufeinanderprallen.

Von Guido Meyer | 10.11.2015
    Jürgen Blum vor der Fallkammer mit der unteren Staubprobe.
    Jürgen Blum vor der Fallkammer mit der unteren Staubprobe. (Deutschlandradio/Blum)
    "Wir gehen jetzt in unseren Fallturmraum."
    Jürgen Blum öffnet die weiße Labortür und geht hinein in den "Fallturmraum". Der befindet sich am Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik der Technischen Universität Braunschweig. Es ist ein kleines Labor, in dessen Mitte eine längliche Kammer untergebracht ist. Sie reicht vom Boden bis fast zur Decke. In diese Fallkammer platziert Jürgen Blum zwei etwa zehn Zentimeter große Brocken aus Stein und Staub.
    "Dieses Teilchen tun wir oben in den Fallturm hinein. Und dort ist eine Falltür. Und dieses Teilchen kann dann fallengelassen werden. Gleichzeitig tun wir ein Teilchen hier unten auf unseren pneumatischen Beschleuniger. Der kann das nach oben schießen. Die prallen zusammen, und wir schauen, was dabei passiert."
    Zwei Staubbrocken bei einer Kollision im Weltraum
    Mit diesem Experiment wollen die Physiker simulieren, wie sich zwei Staubbrocken bei einer Kollision im Weltraum verhalten. Die Frage dabei ist: Ab welcher Größe und ab welcher Aufprallgeschwindigkeit zerstören sie sich gegenseitig, und wann pappen sie zusammen und bilden so größere Objekte?
    "Alles, was wir jetzt noch machen müssen, ist die Luft raus. Denn die Experimente finden im Vakuum statt. Und dazu schalten wir jetzt gleich die Pumpen an."
    Mit diesem Versuch hoffen die Braunschweiger Forscher, die Entstehung sogenannter Trümmerscheiben in Planetensystemen nachzuahmen.
    "Unklar ist, welche Körper die Ursachen sind für diese kleinen Teilchen, die man ja sieht. Durch die Strahlung des Sterns spiralen diese Staubteilchen auf den Stern zu und verdampfen dann irgendwann. Wenn es Zwergplaneten gibt, werden diese Staubteilchen immer wieder nachproduziert, und deswegen können wir sie dauernd sehen."
    Mittlerweile hat die Pumpe in der Fallkammer ein Vakuum erzeugt. Der Physiker Mohtashim Bukhari greift zum Auslöser.
    "Jetzt wir haben genug Druck hier. So jetzt ich zähle: 3 - 2 - 1."
    Die Hochgeschwindigkeitskameras zeigen, was für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar war: Die beiden Dreckklumpen rasen aufeinander zu und fragmentieren beim Aufprall vollständig.
    "Eis klebt viel besser bei viel höheren Geschwindigkeiten. Das heißt, wir erwarten, dass Eis erst bei höheren Geschwindigkeiten kaputtgeht, aber auch bei höheren Geschwindigkeiten aneinanderhaftet."
    Aus ihren Erfahrungen mit dem Beschuss von Staub- und Eisteilchen wollen die Wissenschaftler letztlich auf Vorgänge in den Trümmerscheiben anderer Planetensysteme schließen. Auch dort wurden Asteroidengürtel nachgewiesen. Die Versuche hier, auf dem Boden, sollen verstehen helfen, wie diese Ringe aus Eis und Gestein entstanden sein können.
    "Ja, jetzt sind wir fünf Minuten mit dem Auto gefahren, von dem Ostcampus der TU Braunschweig in den Nordcampus hinein."
    Kanone im Einsatz
    Wo die Fallkammer nicht ausreicht, bringen die Physiker eine Kanone ins Spiel.
    "Die haben wir extra ausgelagert. Falls einmal wirklich etwas passieren sollte, wird niemand zu Schaden kommen. Mit dieser Kanone können wir Staub- und Eisteilchen schießen, und zwar auf Geschwindigkeiten bis über 1.000 Metern pro Sekunde. Und wie das funktioniert, wollen wir uns jetzt anschauen."
    In der Ecke steht das Geschütz: oben die Startvorrichtung, unten der Auffangbehälter für das Projektil, beide verbunden durch ein aufrecht stehendes, etwa zwei Meter langes Rohr aus Edelstahl. Durch diesen Kanonenlauf wird das Projektil senkrecht nach unten geschossen, in diesem Fall: auf einen Stapel Telefonbücher, die unten im Auffangbehälter liegen.
    "Diese kleinen Projektile simulieren wiederum etwa zentimetergroße Teilchen, die in Trümmerscheiben rumfliegen. Wenn diese zentimetergroßen Projekte auf noch größere, planetare Objekte fliegen, produzieren sie wieder jede Menge Staub. Und das ist wieder genau das, was wir in den Trümmerscheiben dann sehen. Das Telefonbuch stellt sozusagen einen kleinen Ausschnitt aus der Oberfläche eines planetaren Körpers dar."
    Aljoscha Dolff aus dem Bereich Experimentalphysik der TU Braunschweig hat bei diesem Experiment den Finger am Abzug.
    "Nun müssen wir den Raum verlassen, aus Sicherheitsgründen, und werden über ein ausreichend langes Kabel den Schuss abfeuern."
    Genau wie in der Fallkammer herrscht auch innerhalb des Kanonenlaufs während des Versuchs ein Vakuum, das die Verhältnisse im Weltraum simulieren soll.
    "3 - 2 - 1. Wir belüften die Anlage wieder, damit wir die Tür überhaupt öffnen können. Es ist nun auch deutlich ein Geruch von Schießpulver zu vernehmen."
    Das Projektil hat sich komplett durch die obersten drei Telefonbücher gebohrt. Der Physiker Eike Beitz blickt auf ein rußschwarzes Einschussloch.
    "Wir haben jetzt den Schuss gehabt mit 276 Meter pro Sekunde. Das ist knapp unter Schallgeschwindigkeit. Was wir jetzt machen werden, ist dass wir die Telefonbücher durch ein echtes Ziel ersetzen, das der Oberfläche von größeren Körpern nachempfunden ist. Und dann können wir anhand der Kraterform, die sich da ausbildet, verstehen, wie viel kleineres Material produziert wird."
    Bis 2018 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Experimente mit 2,2 Millionen Euro. Auch Arbeitsgruppen in Jena, Kiel und Hamburg sind an dem Projekt beteiligt. Das Ziel dieser Versuche ist, aus Trümmern neue Erkenntnisse über den Aufbau von Planetensystemen zu gewinnen.