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Enttäuschte Liebe der Wirtschaft

Die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft pochen auf eine entschlossenere Reformpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei dem traditionellen Treffen am Rande der Handwerksmesse in München mahnten die Verbandspräsidenten auch mehr Tempo bei der Energiewende an.

Von Andreas Baum | 16.03.2012
    Die Kanzlerin im Gespräch mit den Vorsitzenden der vier wichtigsten Wirtschaftsverbänden – kein leichter Termin. Denn die Geduld der Verbände mit ihrer früheren Wunschkoalition Schwarz-Gelb scheint am Ende zu sein, jetzt kommen alle Vorwürfe gleichzeitig auf den Tisch. Von Energiewende bis Steuerreform wird beklagt, Angela Merkel habe kaum etwas getan. Klar, dass deshalb alle Beteiligten zumindest nach dem Gespräch bemüht waren, ein gutes Bild abzugeben. Kanzlerin Merkel lobt die Wirtschaft, wo sie kann, für deren Unterstützung der Politik der Bundesregierung.

    "Der BDI hat sehr viele Initiativen ergriffen, um in Griechenland, in Spanien in Portugal, auch gerade von Seiten der Wirtschaft zu helfen, das gleich gilt für DIHK und Handwerk in den Bereichen Ausbildung, in den Bereichen Bereitschaft, auch Hilfestellung zu leisten, wo das auch benötigt wird. Danke für diese Bemühungen."

    Ein Hauptkritikpunkt der Wirtschaft ist die Energiewende: Sie sei populistisch ausgerufen worden, jetzt aber fehlten die Taten. So fordern die Spitzen von Industrie und Handwerk, den Netzausbau auch entsprechend voranzutreiben. Weil der aber Sache der Länder ist, kann die Kanzlerin kaum mehr als zu versichern, dass dort, wo die Bundesregierung handeln kann, es auch tut.
    "Ich habe berichterstattet darüber, dass Erstens die Netzbedarfsplanung bis zum Juni abgeschlossen sein wird. Und dass wir auch die Preisstabilität oder die Preisadäquatheit der Energiepreise sichern müssen, damit Deutschland als Industriestandort und Wirtschaftsstandort weiter wettbewerbsfähig sein kann."

    Zumindest gibt es eine gemeinsame Erklärung zur Energiepolitik, in der gefordert wird, die Kompetenzen besser zu bündeln. Den Vorstellungen, nach US-amerikanischem Vorbild ein Energieministerium zu schaffen, erteilt Angela Merkel allerdings eine Absage. Hans-Peter Keitel, Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie, fasst die Kritik so zusammen: Alle Probleme vom Anfang der Legislaturperiode sind noch da – weil die Bundesregierung hauptsächlich damit beschäftigt ist, die gemeinsame Währung zu retten. Wenn schon Konsolidierung der Finanzen, dann müsse diese aber auch international durchgesetzt werden. Insgesamt zeige die Bundesregierung beim Schuldenabbau zu wenig Ehrgeiz. Vor allem Wachstum auch in anderen Ländern Europas und der Welt ist Keitel zufolge unverzichtbar.

    "Wir wollen mit dazu beitragen, dass der Unterschied des Wachstums in den einzelnen europäischen Ländern weniger wird durch aktive Beiträge nicht nur in Griechenland, sondern im gesamten südeuropäischen Raum. Es ist das lebendige Interesse jedes einzelnen Unternehmens, nicht auf Dauer von hohen Exportquoten abzuhängen, sondern im gemeinsamen Handeln ein gemeinsames Wachstum zu erreichen."

    Was fehlt, sei nach wie vor eine Steuerstrukturreform. Stattdessen gebe es Debatten um Frauenquoten und Reichensteuer, was den Verbänden zufolge nur eine Anbiederung an die öffentliche Meinung sei. Es gibt bei der deutschen Wirtschaft dem Vernehmen nach sogar eine Sehnsucht nach rot-grünen Regierungszeiten. Die hätten zumindest zur Agenda 2010 geführt, die Union dagegen habe sich viel zu sehr sozialdemokratisiert.