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Entwicklungshilfeminister Gerd Müller
"Wir führen den Planeten an den Rand der Apokalypse"

Der Konsum der Industrieländer erfordere Ressourcen von zwei bis drei Planeten, sagte Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) im Interview der Woche im Dlf. Er sprach sich für eine nachhaltige Politik aus. Es dürfen keine neuen Kolonialismus, die Ausbeutung der Ressourcen von Mensch und Natur etwa in Afrika geben.

Gerd Müller im Gespräch mit Frank Capellan | 16.07.2017
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Berlin.
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (dpa / Rainer Jensen)
    Frank Capellan: Gerd Müller, Ihr Haus war maßgeblich am Prozess der G20-Präsidentschaft beteiligt. Jetzt redet alle Welt nicht über die Inhalte des Gipfels, sondern über die Krawalle. War es ein Fehler, diesen Gipfel nach Hamburg zu holen?
    Gerd Müller: Nein. Solche Treffen müssen stattfinden und haben auch ihre Wirkung - allein die Vorbereitungstreffen, die die Öffentlichkeit überhaupt nicht mitbekommt. Zum Beispiel das Treffen der Finanzminister, Entwicklungsminister mit zehn afrikanischen Staats- und Regierungschefs. Ein Umweltgipfel, also viele Formate, die vorausgegangen sind und die auch zu wesentlichen Ergebnissen geführt haben. Alles wurde jetzt in der öffentlichen Berichterstattung überlagert durch die Gewaltexzesse, die wir alle verurteilen.
    "Die Ergebnisse von Hamburg sind gut und weiterführend"
    Capellan: Nun gibt es den Vorschlag der Sozialdemokraten vom Außenminister, von Sigmar Gabriel, doch künftig solche Gipfel bei den Vereinten Nationen in New York abzuhalten. Wäre das eine Möglichkeit, eine Alternative?
    Müller: Die Einbeziehung der UN, des UN-Generalsekretärs ja, aber keine Alternative zum G20-Format. Es ist wichtig und notwendig, dass sich die 20 Regierungs- und Staatschefs regelmäßig treffen. Und die Ergebnisse von Hamburg sind auch gut und weiterführend.
    Capellan: Wer trägt denn die Verantwortung dafür, dass der Gipfel letztlich in Hamburg stattgefunden hat? Ist das eine einvernehmliche Planung der Großen Koalition gewesen?
    Müller: Das war ein einvernehmlicher Vorschlag der Bundesregierung mit Hamburg. Ich möchte vielleicht zum Format sagen, worüber man nicht nur nachdenken sollte, sondern man könnte das auch beschränken: Wenn die Saudis mit 500 Begleitpersonen kommen und der Thron des Königs mit eingeflogen werden soll, wenn die Chinesen mit 1.000 Begleitern kommen, hat das einfach die Dimensionen gesprengt. Da kann ich mir schon vorstellen, dass man die Delegationsgröße beschränkt. Es reichen 200 im Begleittross, auch für den US-Präsidenten.
    Müller: Afrika ist mit eingebunden
    Capellan: Auf der anderen Seite gibt es ja auch Kritiker, die sagen, es waren nicht einmal genügend Staaten vertreten. Wenn man über Afrika redet, dann müsse man auch mit Afrika reden. Wenn die engste Runde zusammensitzt, dann sind die Afrikaner allein mit Südafrika vertreten. Müsste man das ändern?
    Müller: Man muss ja die Entstehung sehen. Das G20-Format war zunächst einmal das Format der Finanzminister zur Regulierung der aus dem Ruder laufenden internationalen Finanzmärkte. Es wurde dann erweitert und zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs, aber auch der Finanzminister, der Außenminister und anderer Fachministerkonferenzen. Das war der Vorläufer. Und die G20 hat so ihren Sinn. Das sind die Industrie- und Schwellenländer. Afrika sitzt mit am Tisch durch den Vorsitzenden der Afrikanischen Union. Und Südafrika und Afrika als Thema, als Herausforderung, war erstmals zentral durch die Bundeskanzlerin gesetzt. Natürlich war das jetzt keine Afrika-Konferenz. Aber dazu findet im November bereits der nächste Gipfel der Europäischen Union mit den Afrikanern statt.
    Capellan: Über diese Ergebnisse wollen wir gleich noch sprechen, über den Part, der ja gerade auch Ihr Ministerium insbesondere beschäftigt hat. Lassen Sie uns kurz noch zu sprechen kommen auf das, was von Ihrem Parteifreund, vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann zu hören ist, der sagt, der Linksextremismus in Deutschland werde unterschätzt. Sehen Sie das auch so?
    "Es darf keine rechtsfreien Räume geben"
    Müller: Wir dürfen bei Gewalt weder links noch rechts blind sein. Und es darf auch nicht sein, dass man Sachbeschädigung sozusagen hinnimmt. Es darf keine rechtsfreien Räume geben. In Hamburg haben wir die Rote Flora, wie sie genannt ist. Das ist aus der Hausbesetzter-Szene und das ist ein rechtsfreier Raum.
    Capellan: Müsste man schließen?
    Müller: Aus meiner Sicht hätte man vor zehn oder 20 Jahren hier eingreifen müssen. Man kann keine rechtsfreien Räume in großen Städten entstehen lassen. Und das ist die Aufgabe. Sicherheit geht vor für die Menschen. Deshalb haben wir auch jetzt den Vorschlag gemacht, als Konsequenz dieser dramatischen Vorfälle auch die Sicherheitskräfte zu verstärken, mindestens 15.000 Polizisten deutschlandweit neu einzustellen. Denn es kann auch nicht sein, dass der Staat kapituliert und sagt: 'Wir können solche Veranstaltungen in unserer Gesellschaft nicht mehr durchsetzen.' Das wäre die Kapitulation vor Gewalt.
    "Die Kritik des Außenministers ist nicht nachzuvollziehen"
    Capellan: Lassen Sie uns zu sprechen kommen auf die Ergebnisse. Da hat Sigmar Gabriel, der Vizekanzler und Außenminister, ja nicht nur die Kanzlerin scharf kritisiert wegen des Austragungsortes, wegen Hamburg, sondern er hat auch gesagt, mit Blick auf die großen Themen, wie Flucht, Hunger und Armut, sei dieser Gipfel ein totaler Fehlschlag gewesen. Hat er Recht?
    Müller: Also, die Kritik des Außenministers ist nicht nachzuvollziehen, denn das Außenministerium hat formal diesen Gipfel organisiert. Auch inhaltlich ist der Gipfel ein Erfolg. Er wurde glänzend geführt von Seiten der Bundeskanzlerin. Und es wurden auch wichtige Entscheidungen getroffen. In der Frage, was mir sehr wichtig ist, der Bekämpfung des internationalen Steuerbetruges, gerade gegenüber Entwicklungsländern, wo Finanzminister Schäuble einen wichtigen Durchbruch erzielt hat mit seiner Initiative, die zwischenzeitlich 100 Länder der Welt unterzeichnet haben, nämlich illegale Gewinnverlagerung im Handel mit Entwicklungsländern in Zukunft zu unterbinden und auch zu bestrafen.
    Capellan: Es gab auch die Zusage der Amerikaner Geld lockerzumachen, endlich Geld lockerzumachen für die Hungergebiete in Ostafrika. 600 Millionen Dollar sind da jetzt von Donald Trump zugesagt worden. Ist das in Ihren Augen eher ein Witz? Sie haben viel mehr gefordert. Oder ist es ein erster Schritt?
    Müller: Ich hatte ein Gespräch mit David Beasley, das ist der neue Chef des Welternährungsprogramms. Und die 650 Millionen sind ein deutliches und wichtiges Signal…
    Capellan: …der im Übrigen aber ein Parteifreund, ein Republikaner, ist und dem amerikanischen Präsidenten sehr nahe steht…
    Müller: Ja.
    "Ihr Amerikaner seid eine humanitäre Großmacht"
    Capellan: Also, Donald Trump ist ja auch viel dafür kritisiert worden, dass er den Rotstift angesetzt hat, gerade bei den Entwicklungsgeldern.
    Müller: Und ich habe David Beasley gesagt: 'Ihr Amerikaner, ihr müsst ein Zeichen setzten. Ihr seid eine humanitäre Großmacht.' Und dieses Zeichen wurde gesetzt. Und wir brauchen die Amerikaner auch zur Lösung der dramatischen humanitären Herausforderung, gerade in den Kriegs- und Krisenregionen. Ob das in und um Syrien ist, ob das zur Bekämpfung der Cholera-Epidemie im Jemen ist oder die dramatische Dürrekatastrophe. Also, das ist ganz wichtig, dass die Amerikaner an Bord bleiben.
    Capellan: Wird denn diese Verantwortung übernommen durch eine Initiative von Ivanka Trump, der Tochter des Präsidenten, einen Fonds aufzusetzen, mit dem Frauen in Entwicklungsländern gefördert werden sollen? Auch das ist beschlossen worden. Da sind jetzt gut 300 Millionen Dollar zusammengekommen. Ist das eine Initiative, auf die Sie gewartet haben?
    Müller: Wir Europäer müssen uns natürlich daran gewöhnen, dass die Tochter des Präsidenten möglicherweise die wichtigste Beraterin ihres Vaters ist. Aber das kennen wir ja aus den eigenen Familien auch. Die Töchter haben einen speziellen Zugang zum Vater. Und, wenn die Ivanka Trump diesen Zugang hat und in puncto Humanität, Hilfe der Amerikaner dies bewegt, dann unterstützen wir sie gerne. Wir setzen, gerade in Afrika, auf Frauen, die Stärkung der Frauen und das Unternehmertum von Frauen. Häufig haben ja Frauen in Afrika noch gar keinen Zugang zu Landrechten, zu Bankkonten. Und das ist ein ganz wichtiges Signal.
    Müller: Afrika darf energietechnisch nicht auf Kohle setzen
    Capellan: Das Entwicklungsministerium nimmt vor allen Dingen auch junge Leute ins Visier mit Blick auf Afrika. Man rechnet mit einer Verdoppelung der Bevölkerung auf 2,6 Milliarden etwa bis zum Jahr 2050. Und die Hälfte davon ist jünger als 25 Jahre. Wie kann man jungen Menschen in Afrika helfen, ihnen eine Perspektive geben?
    Müller: Die große Herausforderung ist in der Tat dieses Bevölkerungswachstum oder -explosion. Und daraus ergeben sich die dramatischen Herausforderungen, nämlich diese Menschen zu ernähren und weitere Themen. Wie schaffen wir den Sprung, Anschluss an Strom, an Energie? 90 Prozent der Haushalte in Afrika leben im Dunklen, mit der Kerze. Und da kann sich wenig entwickeln. Deshalb ist das der zweite Schwerpunkt, aber nicht auf der Basis von Kohle. Wenn Kohle die Basis für die Entwicklung Afrikas, aber auch Indiens wäre, dann wird es auch in Berlin und in Deutschland dunkel. Dann können wir uns das Zwei-Grad-Ziel abschminken, mit allen Folgen und Katastrophen.
    Capellan: Und die Amerikaner lassen uns jetzt alleine. Sie sind zuversichtlich, dass man trotzdem am Klimaschutzabkommen wird festhalten können? Erdogan, der türkische Präsident, hat jetzt gedroht, er werde auch aussteigen. Die Gefahr ist groß, dass andere folgen werden. Oder?
    Müller: Das Verhalten der Amerikaner hat auch eine Gegenreaktion ausgelöst. Und die Gegenreaktion ist, dass die anderen 19 sich mit voller Klarheit und mit neuer Intensität hinter das Pariser Klimaabkommen gestellt haben. Das ist wichtig - und insbesondere die Chinesen. Und der französische Präsident hat angekündigt, im November einen Gipfel zur Umsetzung des Pariser Klimavertrages abzuhalten. Also, auf der anderen Seite wird Tempo aufgenommen. Und in den USA, muss ich sagen, ist erfreulich, dass viele Bundesstaaten dem Präsidenten an dieser Stelle nicht folgen.
    "Die Chinesen nehmen heute noch alle zwei Wochen ein Kohlekraftwerk in Betrieb"
    Capellan: Sie suchen die Kooperation mit den Chinesen. Sie haben eine Entwicklungspartnerschaft unterschrieben, auch speziell mit Blick auf Afrika. Was steckt dahinter?
    Müller: Wer die Folgen des Klimawandels so förmlich spüren will, der muss nach Peking oder in chinesische Großstädte gehen. Dort fährt man heute 300 Tage im Jahr mit Licht durch die Straßen, weil man keine 50 Meter weit sehen kann. Das ist die Folge des unglaublichen Kohleeinsatzes. Die Chinesen nehmen heute noch alle zwei Wochen ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Und, wenn wir China nicht ins Boot bekommen, weg von Kohle, von Öl, hin zu Erneuerbaren Energien, dann haben all unsere Bestrebungen in Europa, dieses Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, kaum Wirkung.
    Capellan: Aber welchen Sinn macht eine Entwicklungskooperation mit China in afrikanischen Staaten? Wir wissen alle, wie aggressiv die Chinesen Bodenschätze ausbeuten, wie aggressiv sie auch vorgehen, um Märkte zu erschließen und eigenes Personal vor allen Dingen beschäftigen. Davon haben die afrikanischen Staaten reichlich wenig.
    Müller: So, und davon müssen wir sie abbringen. Wir müssen nicht nur in China neue Technologie, Innovation, sondern mit den Chinesen Innovationen nachhaltig umsetzen. Es muss zu einer Kehrtwende der Politik Chinas in Afrika kommen. Beteiligung der Afrikaner, Ausbildung und nachhaltige Innovationen - nicht neuer Kolonialismus, Ausbeutung der Ressourcen von Mensch und Natur.
    Müller: Menschenrechte haben früher eine größere Rolle gespielt
    Capellan: Wie groß ist die Gefahr, dass Menschenrechtsfragen dabei auf der Strecke bleiben? Man macht auf der einen Seite Geschäfte, man sucht die Kooperation mit China und lässt dann Menschenrechtsfragen außen vor.
    Müller: Die Gefahr ist groß. Und das Thema Menschenrechte - meine Erfahrung - hat vor zehn Jahren in der öffentlichen, aber auch in der politischen Diskussion eine größere Rolle gespielt und einen höheren Stellenwert eingenommen. Wir müssen wieder dazu zurückkehren. Aber da sind wir alle gefordert, auch die deutsche Wirtschaft. Wir haben einen Nationsplan Wirtschaft und Menschenrechte vor wenigen Monaten verhandelt, weil auch die deutsche Wirtschaft massiv durch ihre Verbände geblockt hat, Mindeststandards, grundlegende menschenrechtliche Standards zur Bedingung auch unserer Produktion in den Entwicklungsländern zu machen.
    Capellan: Wie wollen Sie solche Standards wirklich durchsetzen? Beispielsweise im Rahmen der Reformpartnerschaften, im Rahmen des Marshallplans mit Afrika, über den ja beim G20-Gipfel auch geredet worden ist? Deutschland hat Partnerschaften mit Ghana, Tunesien und der Elfenbeinküste unterschrieben. Wie kann man das umsetzen?
    Investitionen nur gegen Menschenrechte, Gleichberechtigung der Frau und Kampf der Korruption
    Müller: Wir haben jetzt mit den Afrikanern ein neues Instrument entwickelt, in dem wir sagen, wir schließen einen Vertrag mit euch. Auf der einen Seite Garantie der Einhaltung der Menschenrechte, Gleichberechtigung der Frau und Kampf der Korruption. Wenn ihr dies garantiert, bekommt ihr die Hand gereicht für Investitionen in euren Ländern. Und die Einhaltung der Standards überlassen wir nicht den Afrikanern selber, sondern wir schaffen eine internationale Organisation, ein Monitoring. Also, wer Standards einhält, die für uns selbstverständlich sind, bekommt auch unsere Hand und unsere Unterstützung als Reformpartner.
    Capellan: Aber die Unternehmen, die Sie gewinnen wollen, zu investieren in Afrika, endlich zu investieren, denn wir reden ja seit vielen, vielen Jahren darüber, dass Afrika dargestellt wird als Kontinent der Chancen und doch hat sich reichlich wenig getan, diese Unternehmen wollen vor allen Dingen Gewinne, Rendite erzielen mit ihren Geschäften in Afrika. Was macht Sie zuversichtlich, dass die sich wirklich um Sozialstandards kümmern werden?
    Müller: Wir haben heute neue Möglichkeiten über die digitale Welt, der Offenlegung, des Tuns dieser großen Konzerne. Und dies muss kontrolliert werden. Dort, wo unsere Produkte im Ausland, insbesondere in Drittstaaten, in Entwicklungsländern produziert werden, können wir nicht akzeptieren, dass Kinder-, dass Sklavenarbeit und Hungerlöhne zu Lasten der Umwelt umgesetzt werden.
    "Als Christ ist für mich selbstverständlich, dass wir in der Verantwortung stehen"
    Capellan: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk heute mit Entwicklungsminister Gerd Müller. Herr Müller, diese Konzentration auf Afrika, dass man Afrika in den Fokus nimmt, auch beim G20-Gipfel das getan hat im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft, das geht vor allen Dingen darauf zurück, dass man verhindern will, dass noch mehr Menschen übers Mittelmeer nach Europa kommen. Fluchtursachenbekämpfung. Ohne das Flüchtlingsproblem wäre das Interesse wahrscheinlich weiter nicht besonders groß für Afrika, oder?
    Müller: Leider. Das ist sicher der Auslöser. Aber für mich ist das eine Frage der Humanität. Wenn wir die Menschen dort verhungern lassen, obwohl wir die Technik, die Innovation haben als Europäer, dann ist das Mord. Ich bin Christ. Als Christ ist das für mich selbstverständlich, dass wir in der Verantwortung stehen. Aber wir alle stehen in der Verantwortung. Der zweite Punkt - natürlich, die Menschen haben und suchen ihre Lebenschance. Und in der heutigen digitalen Welt - ich habe das bei vielen Reisen erfahren -, selbst in Flüchtlingscamps im Südsudan sehen sie in der kleinen Kneipe daneben auf dem Bildschirm deutsches, amerikanisches Fernsehen. Ich habe ein Fußballspiel gesehen, Bayern München/Hertha BSC, ja, im Flüchtlingscamp. Und dazwischen kommt Werbung und die Signale natürlich an die Jugend dort, die ohne Hoffnung lebt: 'Es gibt eine andere Welt, eine bessere Welt.' Und helfen wir nicht dort, Chancen, Zukunft, Ausbildung zu schaffen, dann kommen die Menschen zu uns.
    Syrer sollen zurückkehren können
    Capellan: Fluchtursachen zu bekämpfen, das setzt momentan allerdings auch voraus, andere Gebiete ins Auge zu nehmen, Syrien, die Entwicklung im Irak, diese Gebiete dort endlich zu befrieden. Mossul ist befreit worden in der vergangenen Woche vom sogenannten Islamischen Staat. Gibt es nun Möglichkeiten von deutscher Seite, daran mitzuwirken, dass die Region wieder stabil wird?
    Müller: Ja, es gibt jetzt die Hoffnung und Chance, in und um Syrien diesen dramatischen Krieg zu beenden und die Menschen wieder zurückzuführen in befriedete Regionen. Dies machen wir auch bereits - in und um Damaskus, im Irak, in befreite Gebiete. Und diese Entwicklung muss verstärkt werden. Ich stelle mir die nächsten fünf Jahre vor, dass wir auch aus Deutschland mindestens 200.000 Syrer, die hier als Flüchtlinge angekommen sind, jetzt durch ein spezielles Programm wieder zurückführen. Es bedarf jetzt eines Wiederaufbauprogrammes, nicht nur von Mossul, für die gesamte Region.
    Problemfall Palmöl
    Capellan: Lassen Sie mich zum Schluss unseres Gespräches die Brücke schlagen von einem entwicklungspolitischen Problem hin zu Diskussionen, die wir in Deutschland auch vor der Bundestagswahl erleben: Palmöl. Sie sind in Indonesien gewesen, haben sich diese riesigen Plantagen angeschaut. 40 Prozent des Palmöls kommt von dort und die Europäische Union will den Beimengungszwang beim Biodiesel erhöhen. Sieben Prozent sollen in den Biodiesel kommen. Damit lässt sich einerseits der CO2-Ausstoß reduzieren, aber andererseits führt es dazu, dass wir den Regenwald immer weiter abholzen. Nun kommen die Grünen und sagen: 'Wir brauchen den Umstieg von Verbrennungsmotoren auf Elektroautos bis zum Jahr 2030.' Ihre Partei, die CSU, Ihr Verkehrsminister, Alexander Dobrindt, ist strikt dagegen. Wäre der Welt nicht geholfen, wenn wir da entsprechend doch im Sinne der Grünen Druck machen würden?
    Müller: Bei Palmöl brauchen wir die Zertifizierung. Und Indonesien war im vorletzten Jahr der weltgrößte Emittent von CO2. Vielleicht haben einige noch die Bilder im Kopf, die Brände, die Rauchschwaden Richtung Malaysia, dass brennende Regenwälder, die für Palmöl, auch für den Export nach Europa angezündet werden, damit die Plantagen ausgeweitet werden können. Beimischungszwang erhöhen ist der falsche Weg. Und beim derzeit verhandelten Abkommen mit Indonesien muss klar und strikt festgelegt werden: Export oder Import von Palmöl nur noch zertifiziert. Das muss auch klar die Regel sein für den Soja-Import aus Argentinien und aus Brasilien. Auch dort roden und brennen die Regenwälder für die Futtergrundlage unserer Landwirtschaft. Das kann nicht der Standard sein.
    Capellan: Ich hatte das Beispiel Biodiesel genommen, weil es ja doch zeigt, wie widersprüchlich auch die Politik da in vielerlei Hinsicht ist. Ein anderes Beispiel: Billiges Fliegen belastet die Umwelt enorm, verschärft die Klimaprobleme, unter denen ja gerade - wie wir das geschildert haben - afrikanische Staaten zu leiden haben. Aber Ihre Partei, die CSU, möchte die Luftverkehrsabgabe abschaffen. Wie passt das zusammen?
    Müller: Darüber gibt es noch keinen Konsens. Für mich ist es paradox, wenn man heute für 15 Euro in München ins Flugzeug steigt und nach Barcelona fliegt.
    "Umweltkosten müssen sich in den Transportkosten wiederfinden"
    Capellan: Aber das könnte man doch schnell ändern. Also, warum sind Flüge mehrwertsteuerfrei, umweltfreundliche Bahntickets werden mit 19 Prozent besteuert?
    Müller: Ja. Die Grundregel muss sein - und das wird auch die Zukunft sein -, dass die Umweltkosten sich in den Transportkosten wiederfinden. Es ist ja nicht nur so, dass der Lufttransport steuerfrei ist, sondern auch der Transport mit Containerschiffen. Und das ist genauso dramatisch. So ein Containerschiff in Hamburg angelandet, das muss man sich mal vorstellen, aus China kommend, transportiert 130 Millionen Paar Schuhe. Das ist die Dimension eines großen Containerschiffes. Und wie viel Steuer bezahlt dieser Reeder, der meistens irgendwo auf einer Insel seinen Firmensitz hat? Null. Null Steuer auf den Transport. Null Komma null. Und was verfeuert dieses Containerschiff? Den dreckigsten Diesel der Welt, den es gibt. Wenn diese Schiffe in Hamburg in den Hafen einfahren, ich habe es nicht geglaubt, aber mir wurde es vor Ort erzählt von der Hafenpolizei, dann gibt es eine europäische Richtlinie. In Hafennähe zu Hamburg hat das Schiff einen kleinen Tank. Es wird umgestellt, der Verbrennungsmotor des Schiffes, auf sauberen Diesel. Man will ja nicht die Glaswände der Elbphilharmonie mit Öl beschmutzen. Draußen auf offener See wird dann auf schweres, dreckigstes Diesel umgestellt. Das können wir uns nicht mehr leisten.
    Capellan: Das ist alles Kritik, die ich eher aus dem Munde eines Grünen-Politikers erwarten würde. Sie gelten gewissermaßen als Querdenker in der CSU. Warum fühlen Sie sich trotzdem gut aufgehoben in dieser Partei?
    Müller: Wir stehen für den Erhalt der Schöpfung. Und im Zeitalter der Globalisierung gilt es, internationale Regeln für den Waren-, für den Finanzaustausch zu setzen und für den Schutz globaler Güter. Und deshalb brauchen wir globale Regeln.
    "Was ist konservativer als den Erhalt der Schöpfung?
    Capellan: Würden Sie mir denn recht geben, dass Sie mit den Grünen möglicherweise besonders viel - Sie möchten gerne Entwicklungsminister bleiben - besonders viel durchsetzen könnten? Also, gegen eine schwarz-grüne Koalition hätten Sie persönlich wahrscheinlich wenig einzuwenden?
    Müller: Ich habe Unterstützung in allen Parteien. Und es ist großartig, dass diese Themen nicht in der Tagespolitik strittig gestellt werden. Und ich sage mal, Herbert Gruhl war ein CDU-Mann, der einer der Mitbegründer ÖDP, der grünen Bewegung war. Und was ist konservativer als den Erhalt der Schöpfung zu seiner politischen Lebensaufgabe zu machen? Wir leben doch - und das habe ich ja mehrfach auch gesagt, auch in einem Buch vor Kurzem -, wir leben doch in einer Zeit, wo unser Lebensstil - Konsum und Wirtschaft der Industrieländer -, wenn wir den übertragen würden auf die 7,5 Milliarden Menschen, dann bräuchten wir zwei bis drei Planeten an Ressourcen. Also, wir leben über dem Durst, wir in Europa. Und wenn wir so weiterleben, dann führen wir den Planeten an den Rand der Apokalypse.
    Capellan: Und der Streit über "Bayernplan" und Obergrenzen führt da eigentlich in die falsche Richtung, alles Kleinkram? Da sind Sie zuversichtlich, dass man mit der Schwesterpartei CDU auch in Ihrem Sinne weiter Politik machen wird?
    Müller: Auf alle Fälle. Alles Leben ist lokal. Deshalb ist der "Bayernplan" wichtig. Deshalb ist wichtig, dass Bayern, Deutschland Vorzeigeregion ist, was das Thema Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich zwischen Arm und Reich anbetrifft. Und mit dieser Vorzeigeregion haben wir ja auch, sage ich mal, die Instrumente, diese Technologien in Afrika, in Indien zur Anwendung zu bringen. Und es ist mir ganz wichtig, Entwicklungspolitik und -hilfe, wie viele noch sagen, das ist kein Almosen. Das ist Zukunft. Das schafft aber auch Arbeitsplätze.
    Capellan: Gerd Müller, danke für das Gespräch.
    Müller: Herzlichen Dank.