Schloss Weesenstein in Sachsen

Der Kunstbunker im Krieg

Weesenstein – ein burgähnliches Schloss mit Brücke und spitzem Glockenturm
Schloss Weesenstein im Osterzgebirge war eines der Hauptdepots für Kunstschätze während des Zweiten Weltkriegs. © Alexandra Gerlach/Deutschlandradio
Von Alexandra Gerlach · 23.03.2018
"Bombensicher" wollten die Nazis ihre wertvollen, teils geraubten Kunstschätze verwahren. Eines der geheimen Hauptdepots war das sächsische Schloss Weesenstein. Welche Schätze hier aufbewahrt wurden und was mit ihnen nach 1945 passierte, zeigt eine Ausstellung.
"Zwischen vier Meter dicken Mauern lag nicht, nur der Wein", sagt Birgit Finger. Mit einem dicken Schlüsselbund in der Hand führt die Kuratorin an diesem Morgen die Gäste durch das verwinkelte und ziemlich kühle Schloss Weesenstein.
Das ehemals königliche Haus erhebt sich majestätisch auf einem Felsvorsprung hoch über der rauschenden Müglitz im Osterzgebirge. Die versteckte Lage und die Baubeschaffenheit des burgähnlichen Schlosses machten Weesenstein im Zweiten Weltkrieg zu einem perfekten Versteck für die Dresdner Kunstschätze, wie Mitkurator Alexander Hänel erzählt:
"Schloss Weesenstein lag ideal, abgeschieden im romantischen Müglitztal. Nicht zu weit weg von Dresden. Große Räume, die Vorzüge einer Felsenburg mit bis zu vier Meter dicken Mauern."

"Guernica war ja sozusagen der Probefall"

Anfang der 40er Jahre fuhren Experten durch das Land und suchten nach passenden Räumlichkeiten für die Auslagerung wertvoller Kunstschätze aus den Städten. Der deutsche Überfall auf die baskische Stadt Guernica 1937 durch die Legion Condor und das Ausmaß der Zerstörung nach dem Bombardement hatte den Blick der Kunstverantwortlichen in Dresden auf die eigene Gefährdungslage verändert, sagt Kurator Hänel:
"Guernica war ja sozusagen der Probefall, man wusste, was man damit anrichten konnte und so hat man sich tatsächlich auch Gedanken gemacht, was passiert, wenn der Krieg ausbricht. Schon während der Sudetenkrise, als 1938 bei den staatlichen Kunstsammlungen in Dresden Probeauslagerungen durchgeführt wurden, hat man Kisten angefertigt und diese Sachen sozusagen in sichere Räume gebracht."
Letztlich waren es über 100 Orte, wo Kunstobjekte aus Dresden, aus Leipzig und aus Privatsammlungen ausgelagert und versteckt wurden. Mit dabei auch Gemälde und die gesamte Registratur-Kartei für den so genannten "Führerauftrag Linz" – Kunstwerke und NAZI-Raubkunst für ein von Adolf Hitler geplantes Kunstmuseum in Linz, das nie gebaut wurde. Neben der hoch über der Elbe gelegenen Festung Königstein und der Meissner Albrechtsburg wurde Schloss Weesenstein zu einem der drei Hauptdepots in Sachsen.
Alexander Hänel: "Ab '42 ging das richtig los. Man hat schon vereinzelt vorher ausgelagert, zum Beispiel die sixtinische Madonna kam schon in den ersten Kriegsmonaten auf die Albrechtsburg nach Meißen, wurde sozusagen aus der Stadt herausgebracht. Die meisten anderen Kunstwerke kamen jedoch zunächst in der Stadt in eigenen Depoträumen oder Kellern in Dresden unter. Als dann aber die Bombardements auf die deutschen Städte zunahmen und auch absehbar war, dass Dresden nicht unerreichbar ist für die britischen Bomber, hat man ab 1942 die Auslagerungsbemühungen verstärkt."

Das gesamte Schloss Weesenstein war voll von Kunstschätzen gewesen, vom Keller bis zum Dach, mit wertvollen Gemälden und Objekten aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon, der Porzellan-Sammlung, dem Kupferstichkabinett. Nicht zuletzt der Sächsischen Landesbibliothek mit ihren sehr wertvollen Beständen, wie dem Maya-Codex und dem Sachsenspiegel.
Hier überstanden Spitzengemälde wie Rembrandts "Saskia mit der roten Blume", Poussins "Reich der Flora" oder Tizians "Zinsgroschen" dank des konstanten, günstigen Raumklimas unbeschadet die Kriegszeit.
Dach Dachboden Schloss Weesensteins ist heute bis auf vereinzelte Vitrinen und ein altes Ziffernblatt der Turmuhr recht leer.
Günstiges Raumklima: in diesem Dachboden überstanden die Kunstschätze unbeschadet den Krieg© Alexandra Gerlach/Deutschlandradio

Sixtinische Madonna als Kriegstrophäe

Die Aktion war top geheim. Nur wenige waren eingeweiht. Auch die damals zehnjährige Brigitte Mumme, die mit ihrer Familie als Flüchtling aus Oberschlesien auf Schloss Weesenstein untergebracht war, ahnte bis Kriegsende nicht, welche Schätze in ihrer unmittelbaren Umgebung versteckt waren.
Brigitte Mumme: "Dann als die Russen die Kunst rausholten, das haben wir dann gesehen. Was hier drin war, das wussten wir nicht so, nur die Frauen haben ja dann Zeug rausgeschafft und auch die Männer mussten ja immer das Zeug alles runtertragen.
Auch die zahlreichen Kinder auf dem Schlossgelände wurden in den Abtransport mit eingebunden: "Und da durften wir mit raustragen, kleine Bücher, die wurden hier gestapelt, bis der Transport kam. Das waren LKWs mit Plane, aber nichts offen, die haben alles in Ordnung weggeschafft. Und da kriegten wir Deputat abends, wir Kinder, bisserl Brot und Schokolade."
Und noch etwas hat sich bei Brigitte Mumme eingeprägt. Durch Zufall wurde sie Zeugin einer kurzen, heimlichen Unterhaltung: "Wer das war von den Kunstsachverständigen weiß ich nicht, und da hat der gesagt 'Mensch können wir das Bild nicht verschwinden lassen?' Es ging um die Sixtinische Madonna, da hat er gesagt 'Nein, das ist so einmalig in der Welt, das weiß jeder, das wissen die auch ganz genau! Das können wir nicht.'"
Die Sixtinische Madonna von Raffael galt als Hauptziel der sowjetischen Trophäen-Kommission, die nach Kriegsende Beutekunst aufspüren und nach Moskau schaffen sollte. Die Sowjets seien sehr gut vorbereitet gewesen, berichtet Kuratorin Birgit Finger. Anhand der Dresdner Museumskataloge hatten sie umfangreiche Listen zusammengestellt mit Kunstwerken, die nach Moskau abtransportiert werden sollten.
Birgit Finger: "Und am 10. Mai 1945 kam dann hier ein General nach Weesenstein und seine erste Frage soll gewesen sein: 'Wo ist die Sixtina?' Also das war die Haupttrophäe und das Hauptkunstwerk, nach dem gesucht wurde."

Doch die Sixtina war nicht auf Schloss Weesenstein, sondern wenige Kilometer entfernt in einem sicheren, äußerst geheimen Versteck. Auch heute, mehr als 70 Jahre danach ist der halbrunde, von einem gemauerten Steinrand gesäumte Eingang zum stillgelegten Eisenbahntunnel nicht leicht zu finden. Er liegt gut versteckt im Lohmgrund nahe Pirna.
Der Eingang ist zugemauert, längst sind die Schienen abgebaut. Hier war die Sixtina versteckt, in einem klimatisierten Eisenbahnwaggon. Das Geheimnis wurde nach Kriegsende den sowjetischen Kunstkommissaren preisgegeben, mutmaßlich aus Sorge um den Erhaltungszustand des unersetzlichen Gemäldes, das als eines der bedeutendsten Werke der italienischen Renaissance gilt.
Kuratorin Birgit Finger: "Und dann gibt es eine Figur, das ist der Leonid Rabinowitsch, der dann tatsächlich die Sixtina gefunden hat und nach Dresden transportieren ließ."
Als Beutekunst wurde sie von dort nach Moskau gebracht, erst 1955 sollte sie nach Dresden zurückkehren. Sie war Teil der ersten umfangreichen Rückgaben an die Museen in Dresden.

"Beutekunst haben wir nie gesagt"

1958 folgten viele weitere Kunstobjekte. Mit dabei war Gisela Haase. Die heute 82-jährige promovierte Kunsthistorikerin hatte damals gerade erst ihr Studium abgeschlossen und arbeitete als Assistentin in der Direktion des Grünen Gewölbes. Kurzfristig erhielt sie den Auftrag nach Moskau zu fliegen und die Kunstwerke entgegen zu nehmen.
Gisela Haase: "Sehr viel wussten wir nicht. Wir sind also dorthin geflogen worden nach Moskau sonnabends und Montag ging es los. Ich hatte Listen und die Russen hatten Listen. Dann wurden die Stücke in die Hand genommen, angeguckt."
Einigermaßen sicher war lediglich, dass es sich bei den Kunstobjekten um Teile aus der Rüstkammer und dem Grünen Gewölbe handeln sollte, die auf Schloss Weesenstein ausgelagert gewesen waren. Nur eine klare Direktive hatte die junge Kunsthistorikerin mitbekommen, die Sowjets waren keinesfalls zu verärgern: "Beutekunst? Nee, haben wir nie drüber gesprochen. Beutekunst haben wir nie gesagt, nee. Wir waren sehr zurückhaltend."
Die Kuratoren Birgit Finger und Alexander Hänel führen durch die Ausstellung "Bombensicher"
Die Kuratoren Birgit Finger und Alexander Hänel führen durch die Ausstellung "Bombensicher"© Alexandra Gerlach/Deutschlandradio
Die Auslagerung der Kunstschätze in den 40er Jahren war so geheim, dass es keine Fotos und genaueren Aufzeichnungen davon gibt, erzählt Kuratorin Birgit Finger bedauernd. Selbst die Listen waren verschlüsselt oder bestanden nur aus Zahlen.
Birgit Finger: "Und das war eben wirklich so geheim, dass es bis nach der Wende nachgewirkt hat, sodass das Wissen um diesen Auslagerungsort verloren gegangen war und dann nach der Wende 1989 gab es hier Anfragen von jüdischen Organisationen, die als letzten Auslagerungsort ihrer vermissten Werke Weesenstein angegeben bekommen hatten."
Die neue Ausstellung mit dem Titel "Bombensicher" macht diese spannende Kriegsepisode der deutschen Kunstgeschichte erfahrbar:

Schloss Weesenstein
Am Schlossberg 1
01809 Müglitztal
Täglich ab 10 Uhr geöffnet

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