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Ephraim Kishon
Auf Spurensuche in Tel Aviv

Vor zehn Jahren starb der weltberühmte Humorist Ephraim Kishon. Der ungarisch-stämmige Autor und Satiriker lebte lange Zeit in Tel Aviv. Im ehemaligen Wohnhaus betreibt sein ältester Sohn nun ein Museum zu Ehren des Vaters. Ein Gang durch die Gemächer bringt mancherlei Erkenntnis über Kishons Texte.

Von Peter Kaiser | 25.01.2015
    Satiriker Ephraim Kishon, hier eine Aufnahme im Jahr 2004
    Satiriker Ephraim Kishon, hier eine Aufnahme im Jahr 2004 (imago / Stefan Schwenke)
    Die Hauptverkehrsader Allenby-Straße in Tel Aviv war 1969 für Ephraim Kishon, Israels bedeutendem Satiriker, die Vorlage für die Satire "Der Blaumilchkanal". Damals wie heute donnern Tausende PKW, Motorräder und Lastwagen Tag für Tag über die Straße.
    "Und können Sie sich vorstellen was passiert, wenn jemand beginnt, hier mit einem Hammer ein Loch zu machen?"
    "Kasimir Blaumilch galt als hoffnungsloser Fall. Seine geistige Umnachtung hatte vor ungefähr Jahresfrist eingesetzt ... .seit damals versuchte der völlig zerrüttete Mann immer wieder, unterirdische Gänge zum Meer zu graben..."
    (Aus: "Der Blaumilchkanal" von Ephraim Kishon)
    "Vom Inhaltlichen geht es darum, dass ein Mann eine Baustellenbegrenzung aufstellt und anfängt, die Straße aufzubohren, was natürlich zu einigem Chaos führt. "
    Brigitte Fleissner ist die Leiterin des Münchner Verlages Langen-Müller, wo die deutschen Werkausgaben Kishons verlegt sind. Die Geschichte endet so, dass die Allenby-Straße, die Kasimir Blaumilch aufgebohrt hat, zum Kanal wird, und der Bürgermeister die planmäßige Vollendung des gewaltigen Projektes in bewegenden Worten dankte und anschließend bekannt gab, dass Tel Aviv fortan den Beinamen "Das Venedig des Mittleren Ostens" führen würde.
    "Das war für ihn fast ein religiöser Bücherschrein"
    Im ruhigeren Norden Tel Avivs, Afeka, ist in der Straße "Ha Mitnadev" Nr. 48 das Wohnhaus Ephraim Kishons. Im unteren Bereich wohnt und praktiziert der Tierarzt Rafael Kishon, der älteste Sohn. In den oberen Zimmern lebte und arbeitete Ephraim Kishon bis zu seinem Tod im Jahr 2005. Die unverändert gebliebenen Zimmer sind heute das "Kishon-Museum" und der Hort vieler Schätze aus dem Leben des großen Humoristen.
    Rafael Kishon: "Auf jeden Fall, Sie sehen hier diese Bücher, das war sein großer Stolz. Das war für ihn fast ein religiöser Bücherschrein."
    Das Bücherregal in Kishons ehemaligem Arbeitszimmer ist so hoch und breit wie die Wand, an der es sich befindet. Vier mal fünf Meter, acht Reihen voll mit Werkausgaben in 37 Sprachen. Allein in Deutschland sind 70 Bücher des Israelis bis heute erschienen, insgesamt beläuft sich die Weltauflage auf 43 Millionen. Die Filme "Schlaf gut, Wachtmeister" und Sallach" waren für den Oscar nominiert, drei Mal bekam er den Golden Globe. Dazu kommen noch die außerordentlich erfolgreichen Theaterstücke.
    "Mein Vater war der zweitbekannteste israelische Jude, in Deutschland, Österreich und Schweiz. Der erste israelische Jude, der mehr bekannt war, heißt Jesus. Er war auch ein Israeli und Jude, hat eine sehr große Karriere in der Welt gemacht, auch ein großer Bestseller, das neue Testament, wurde geschrieben nach seinen Inspirationen, und er war etwas mehr bekannt, muss man zugeben, ganz bescheiden. "
    Nach und nach zieht der 57-jährige Rafael die Bücher seines Vaters aus den Regalen, blättert darin, zeigt sie, und…
    "… und hier, das ist auf Deutsch, da steht der quer gestreifte Kaugummi, aber wenn Sie öffnen, da sehen Sie dann Brailleschrift. Und das hat meinen Vater immer fasziniert, dass jemand diese Seiten streichelt mit diesen Punkte, und plötzlich sagt er: "Haha, wie lustig das ist, diese Stelle."
    Das wohl bekannteste Buch Kishons in Deutschland sind die
    "Familiengeschichten" aus dem Jahr 1979. Doch auch andere
    Bände verkauften sich sehr gut. Ab 1952 schrieb Kishon 30 Jahre lang in seiner Kolumne in der "Ma`Ariv", der größten Tageszeitung Tel Avivs, über Alltägliches. Aus diesen Texten entstanden viele der Sammelbände. Dabei standen stets die Nöte, Sorgen und Ängste des ganz normalen Alltags im Mittelpunkt, der hier in Israel stellvertretend für alle anderen auf der ganzen Welt stand.
    Ephraim Kishon: "Man kann nicht mit seinem Volk, das einen Lebenskampf leistet, fortwährend über Sterben oder Leben sprechen, (...) so kann man nicht leben, da muss man auch mal etwas über die Installateure sagen. "
    Die Worte seines Vaters aus dem Jahr 2001 belegt Rafi sofort.
    "Kommen Sie...An dieser Ecke stand diese Waschmaschine."
    Rafi läuft ins Untergeschoss, und ... da ist sie...die legendäre Waschmaschine.
    "Eines Tages verlautbarte die beste Ehefrau von allen, dass wir eine neue Waschmaschine brauchten, da die alte, offenbar unter dem Einfluss des mörderischen Klimas, den Dienst aufgekündigt hatte."
    Eine neue Maschine wird angeschafft, doch die Wahl war wohl nicht glücklich, denn "am Mittag des zweiten Tages betrat die beste Ehefrau von allen mein Arbeitszimmer, und sagte:"Ephraim, unsere Waschmaschine wandert."
    Von da an entspinnt Kishon eine groteskurkomische Geschichte um die Waschmaschine, die in der Wohnung umherwandert, und alle und alles ins Chaos stürzt.
    "Das war ein israelisches Modell, heute ist die Nachfolgerin eine deutsche Miele–Waschmaschine. Die ist still, gehorsam, und steht an dem Platz. Aber da können Sie sehen, an dieser Ecke hat sie begonnen in diesem Zimmer ... hier zu gehen in diesem Zimmer....einfach beim Schleudern...hat sie begonnen die Freiheit zu suchen."
    Flucht nach Haifa
    1924 wurde Ephraim Kishon in Budapest als Ferenc Hoffmann geboren. Schon mit 16 Jahren gewann er einen ungarischen Novellenwettbewerb. Wegen der antijüdischen Gesetze durfte er nicht studieren. Er wurde Goldschmied, flüchtete 1944 aus Ungarn, und erreichte nach Flucht und Lagerhaft 1949 mit seiner Frau Eva, Rafis Mutter, das schützende Haifa in Israel.
    Brigitte Fleissner: "Er hat auch gesagt, seine schönste Überwindung eigentlich dieser Zeit ist doch, dass er den größten Erfolg auf der ganzen Welt im Land der Täter hat. Übrigens, das hat mir Lisa Kishon, seine dritte Ehefrau, erzählt, wenn sie durch die Schweiz gefahren sind, oder es war das erste Mal, wo er sie abgeholt hatte, da war sie sehr erstaunt. Plötzlich schob er eine Kassette ins Autoradio, und es war … entweder war es eine Hitlerrede oder eine Rede von einer Nazi-Größe (...) und hat es genossen, dass er sie in seinem feinen Auto fahren konnte, und das so anhören kann. Das gehörte sicher auch mit zur Verarbeitung. "
    So wie die Geschichte mit der Waschmaschine, dem Blaumilchkanal oder der besten Ehefrau von allen ... diese Formulierung ist eine Erfindung des kongenialen deutschen Kishon-Übersetzers Friedrich Torberg.
    Rafael Kishon: "Meine Frau, die kleine ... aber auf Deutsch und andere Sprache, kleine klingt ein bisschen demolierend."
    So fußt auch die berühmte Geschichte "Telefonokinese" aus dem Jahr 1972 auf einem recht großen Korn Wahrheit.
    "Hier, das ist sein Badezimmer, und Sie sehen, was ist da: das rote Telefon, ja. "
    Zitat Kishon: "Ich gehe ins Badezimmer, schließe die Tür, entkleide mich und drehe die Dusche auf. Genau in diesem Augenblick, da ich meinen Rücken einzuseifen beginne, läutet das Telefon."
    Rafael Kishon: "Das ist ein besonderes Telefon, ja. man kann noch sehen, wie man wählt."
    "Und mein geistiges Auge sieht am anderen Ende des Drahtes einen feisten New Yorker Theatermanager mit einer dicken Zigarre im Mund, der mir für das Textbuch zu einem spektakulären Broadwaymusical einen enorm hohen Vorschuss anbieten will. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder man geht nicht hin, dann wird der feiste Broadwaymanager seinen Auftrag samt Vorschuss einem anderen zukommen lassen. Oder man geht hin."
    Rafael Kishon: "Dann läuft er ganz nass, und dann "Hallo, Familie Kubischewsky, nein, das ist ein Fehler, na ja." Aber wenn er nicht antwortet, dann ist es der Producer. Und das können Sie sehen, das war nicht nur eine Geschichte, die er geschrieben hat... "
    Der Ernst des Humoristen
    Auch wenn Ephraim Kishon Humorist war, im Leben war er ernst, mit einem Hang zum Melancholisch-Depressiven, und einem Hass auf Witze. Schrieb er mal nicht, war er Erfinder.
    "Ich glaube, er war der Erste, der den Koffer mit Rädern entwickelt hat. Das ist die Fiffi. Er ist sehr viel gereist, und das war ihm immer schwer zu tragen. Und dann hat er gebastelt. Er hat einfach eine Holzplatte unten, mit Räder, und dann so eine Schnur, und so ging er durch alle Terminale, und das hat unheimlich Lärm gemacht, diese Räder, ruhhhh, ruhhh, ruhhh, ne, und alle haben geguckt, waren fasziniert. Und ich bin sicher, jemand sah es, und dachte, oh, das ist eine gute Idee, wir können das jetzt vermarkten."
    Vieles ist noch zu sehen im Haus Nummer 48 in der Ha Mitnadev in Tel Aviv, man könnte Tage dort verbringen und Rafi zuhören. Doch am Abend plötzlich, vor dem Habimah Theater, kommt es zu einer unerwarteten Begegnung mit Marc Scheps, dem ehemaligen Direktor des Museum Ludwig in Köln, der nun in Tel Aviv lebt. Marc Scheps antwortet auf die Frage, wer Ephraim Kishon für Israel war...
    "Ich glaube, ein Phänomen wie Ephraim Kishon ist einmalig in einem Jahrhundert. Und das kann man nicht einfach wiederholen."