Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Molekularbiologie
Auf den DNA-Spuren der Pest

Sie war die erste große, überlieferte Pest-Epidemie: die Justinianische Pest zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert. Sie forderte Millionen Todesopfer im Mittelmeerraum und trug möglicherweise zum Untergang des oströmischen Reiches bei. Forscher beschreiben nun erstmals das komplette Erbgut des damaligen Erregers der Epidemie.

Michaela Harbeck im Gespräch mit Lennart Pyritz | 31.08.2016
    Eine Schnabelmaske.
    Schnabelmasken zum Schutz vor der Pest (picture alliance /Jens Wolf)
    Im Fachmagazin "Molecular Biology and Evolution" legen die Forscher ihre Ergebnisse dar. An der Studie beteiligt war Michaela Harbeck von der Staatssammlung für Anthropologie und Paläo-Anatomie München.
    Lennart Pyritz: Welche Ausmaße hatte die Justinianische Pest damals?
    Michaela Harbeck: Wir haben eigentlich nur wenige alte Schriftsteller, die uns über die Pest berichten, aber die sprechen schon von ganz großen Ausmaßen. Man schätzt heute, dass so ein Drittel der europäischen Bevölkerung zu der Zeit umgekommen ist. Da gibt es dann ganz dramatische Berichte aus Konstantinopel, wie sich die Leichen stapeln und so weiter. Also das gesamte, damals bekannte byzantinische Reich oder römische Reich ist betroffen gewesen. Das war die damals bekannte Welt. Die umschließt natürlich dann nicht, also es gibt keine Berichte zum Beispiel in der Region, in der wir gearbeitet haben. Da haben wir gar keine Quellen, und wir wissen eben nicht, wie weit die Pest über diese römisch bekannte Welt hinausgereicht hat.
    Lennart Pyritz: Sie haben aus einem vor 50 Jahren in Bayern gefundenen Skelett die gesamte DNA des damals grassierenden Pestbakteriums jetzt isolieren können. Wie alt sind diese Knochen, und wie kam es überhaupt dazu, dass Sie sich dieses ja schon länger bekannte Skelett vorgenommen haben?
    Harbeck: Die Knochen sind so, man müsste mal schätzen, ungefähr 1.500 Jahre alt, also so um 550 wahrscheinlich haben sie gelebt, die beiden Individuen, die wir uns da angeschaut haben, und es ist so, wir hatten in einer vorherigen Studie schon einmal die Pesterreger in Bayern gefunden, nur war da die DNA-Qualität nicht so gut. Wir haben dann weitergesucht, ob wir noch mal diesen Erreger finden können in unserem Material. Wir sammeln ja das gesamte Material aus Bayern, das gesamte Skelettmaterial, und hatten dann eben Glück bei diesem Fundplatz aus Altenerding.
    Erreger-DNA überdauerten in menschlichen Zähnen
    Pyritz: Sie haben jetzt die DNA-Qualität schon angesprochen. Wie haben Sie das Bakterien-Erbgut aus dem Skelett oder aus den beiden Skeletten isoliert? Wo hat das in diesen Knochen so lange überdauert?
    Harbeck: In den Knochen überdauert das leider weniger gut. Wir nehmen dafür, was die Pest-DNA angeht, lieber die Zähne. Die sind schön hart außen, der Zahnschmelz ist schön hart. Da kommt wenig rein oder ran, und deswegen erhält sich die DNA da meistens besser. Und das Bakterium – also ein Zahn ist auch ganz gut durchblutet –, das Bakterium lebt im Blut, und deswegen kann man mit ein bisschen Glück eben diese Bakterien-DNA aus diesen Zähnen noch rausholen mit einer Reihe von chemischen Schritten, so dass man die DNA isoliert vorliegen hat.
    Pyritz: Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen lässt die DNA des Pestbakteriums zu etwa im Hinblick auf die geografische Ausbreitung der damaligen Epidemie?
    Harbeck: Wir wussten, bevor wir den Pesterreger hier in Bayern gefunden haben gar nicht, dass Süddeutschland überhaupt von der Pest betroffen war. Wir haben zu der Zeit keine historischen Quellen, die uns darüber berichten können. Wir wussten eben nicht, dass die Menschen jetzt überhaupt irgendwie mit der Krankheit in Berührung waren. Und das finden wir dann schon einen ziemlich guten Erkenntnisgewinn, dass wir jetzt wissen, dass die Pest sich auch hierhin ausgebreitet hat. Man kann sozusagen aus der Sequenz der DNA noch mehr Sachen herauslesen. Zum Beispiel hat man immer angenommen, dass die Pest eigentlich in Ägypten oder in Afrika entstanden ist, weil sie eben in Ägypten aufgetaucht ist, und durch die Vergleiche von DNA-Sequenzen von dem jetzigen Erreger und den Erregern, die heute noch existieren, sieht man eben, dass die Pest wahrscheinlich eher aus Asien eingeschleppt wurde, also aus China eingeschleppt wurde. Man kann noch eine Reihe weiterer Sachen sehen, wie dass zum Beispiel dieser Pesterreger, den wir jetzt hier in Bayern gefunden haben, eine sogenannte Sackgasse, also ein Dead End ist, und sich nicht bis ins Mittelalter erhalten hat beispielsweise. Das heißt, diese Pesterreger müssen immer wieder eingeschleppt worden sein für jede Epidemie und haben sich nicht hier festgesetzt. Was man auch sieht, ist, wie wichtig das ist, Skelettmaterial aufzubewahren, für die Forschung zur Verfügung zu stellen, immer wieder, wenn neue Methoden entwickelt werden, auf dieses Material zurückzugreifen. Weil wenn man das nicht macht, dann können wir solche Erkenntnisse wie zur Pest gar nicht gewinnen.
    Mutationen gefunden - Folgen noch unklar
    Pyritz: Kann man an dem Erbgut auch eventuell ablesen, ob die Pesterreger damals bestimmte Eigenschaften hatten, die heutige Pesterreger nicht mehr haben, Mutationen beispielsweise?
    Harbeck: Ja, das ist eine Stärke von der Studie jetzt, die wir gemacht haben. Wir hatten ja schon mal eine Studie über die Pest gemacht. Die konnten wir jetzt sozusagen verbessern die Ergebnisse durch die gute DNA-Qualität. Und jetzt haben wir einige Abweichungen, Mutationen gefunden, auch strukturelle Abweichungen, die man bei dem heutigen Erreger so nicht mehr finden würde. Ein bisschen das Problem ist, dass man nicht so richtig einordnen kann, was das jetzt heißt. Also man weiß natürlich nicht, was passiert da jetzt genau, wenn eine Mutation stattfindet. Und das müssen jetzt weitere Studien zeigen, was das für Auswirkungen haben könnte auf den Krankheitsverlauf oder auf die Virulenz und so weiter.
    Pyritz: Was meinen Sie mit weiteren Studien, bauen Sie da auf weitere Funde oder müssen noch genauere Analysen der derzeit lebenden Yersinia-pestis-Bakterien her?
    Harbeck: Ja, der derzeit lebenden Bakterien. Wir werden sicher weitere Studien mit alter DNA machen, einfach um den Erreger, der damals geherrscht hat, noch besser zu charakterisieren, seine Ausbreitung, auch mal schauen, ob wir wirklich nur diesen einen Erregerstamm, den wir bisher gefunden haben, haben. Oder vielleicht, wie man das aus heutigen Pandemien oder Epidemien kennt, da sind meistens mehrere Stämme beteiligt - also das werden wir uns sicher noch anschauen. Aber es müssten eigentlich Studien an heutigen Erregern durchgeführt werden, um zu gucken, was passiert denn da, wenn ich da das Gen manipuliere und das Gen, und das macht natürlich auch niemand so gerne.
    Kamen die Erreger später zurück oder waren sie nie verschwunden?
    Pyritz: Es gibt ja noch ein altes Rätsel: Die Justinianische Pest verschwand im achten Jahrhundert, und im 14. Jahrhundert kam dann Pest in Form des Schwarzen Todes zurück. Gibt Ihr Fund irgendwelche Hinweise darauf, wieso die Bakterien für einige hundert Jahre von der Bildfläche verschwunden sind, um dann erneut eine Epidemie in Europa auszulösen?
    Harbeck: Also sie sind ja nicht ganz verschwunden, sie waren ja in Asien. Sie haben sich sozusagen zurückgezogen, also aus dem Gebiet. Das denkt man heute, das nimmt man heute an. Unsere bisherigen Funde geben gar keine Hinweise darauf, warum das Bakterium nicht mehr da war. Wenn es denn nicht mehr da war. Wir suchen natürlich trotzdem, ob wir es nicht doch noch mal finden in diesem fraglichen Zeitraum. Mal schauen.
    Pyritz: Was dann eventuell historisch nicht in der Form überliefert worden wäre.
    Harbeck: Genau. Oder vielleicht als Reservoir bestanden hat. Also nur bei der Tierpopulation und nicht beim Menschen jetzt unbedingt jedes Mal eine Pandemie ausgelöst hat. Das kann ja auch sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.