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"Er hat eben auch keine Neuigkeiten parat"

Michael Maurer von der "Stuttgarter Zeitung" glaubt trotz der versöhnlichen Töne von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus nicht an eine grundsätzlich neue Lage. Mappus werde einem Baustopp nicht zustimmen. Es bleibe also die Frage, ob ein Vermittler Geißler die Konfliktparteien überhaupt an den Runden Tisch bringen könne.

Michael Maurer im Gespräch mit Jürgen Liminski | 07.10.2010
    Stefan Heinlein: Ein Strategiewechsel in Stuttgart, Dialog und Vermittlung statt Konfrontation, so die Kernbotschaft der Regierungserklärung von Ministerpräsident Mappus. Heiner Geißler soll als Vermittler versuchen, die Wogen im Streit um das Bahnprojekt zu glätten. Doch die meisten Gegner bleiben weiterhin skeptisch. – Über die Erfolgsaussichten der anstehenden Vermittlung hat vor dieser Sendung mein Kollege Jürgen Liminski mit Michael Maurer von der "Stuttgarter Zeitung" gesprochen.

    Jürgen Liminski: Wie beurteilt denn Ihre Zeitung die Lage nach der Regierungserklärung von Mappus?

    Michael Maurer: Die Überschrift unseres Leitartikels in der morgigen Ausgabe lautet "Nichts Neues von Mappus", und das trifft es, glaube ich, auch relativ genau wieder. Mappus hat viel geredet, es war sicher auch nicht dumm, was er gemacht hat, strategisch. Er hat sich sehr zurückgenommen, war sehr moderat im Ton, aber er hat eben auch keine Neuigkeiten parat gehabt und keine neuen Vorschläge, sieht man mal davon ab, dass er eben Herrn Geißler als Vermittler eingesetzt hat.

    Liminski: Das könnte die Lage doch beruhigen, denn mit Geißler ist ein Mediator mit, sagen wir mal, Volksnähe gefunden und er dürfte auch den hart gesottenen Demonstranten gefallen.

    Maurer: Ob er den hart gesottenen Demonstranten gefällt, weiß ich nicht, da habe ich meine Zweifel. Er gefällt auf jeden Fall dem politischen Zweig der Gegenbewegung. Ich meine, Geißler wurde ja vorgeschlagen von den Grünen, die haben ihn ins Spiel gebracht und Mappus ist darauf eingegangen, und insofern war das ein kluger Schachzug. Geißler wird es sicher auch gut machen, denke ich. Er hat ja einige Erfahrung als Vermittler in anderen Konflikten. Die Frage wird eben sein, was gibt es denn überhaupt zu vermitteln bei dem Ganzen?

    Liminski: Für wie einig halten Sie denn die Demonstrationsfront?

    Maurer: Das wird sich jetzt zeigen müssen. Die Demonstrationsfront ist ja schon geteilt in einen aggressiveren Teil und in einen etwas gemäßigteren Teil. Der gemäßigtere Teil ist sicher der, der sich so im politischen Umfeld bewegt, also hier mit Herrn Wölfle von den Grünen an der Spitze, und die etwas aggressiveren sind beispielsweise die Parkschützer mit dem Herrn von Herrmann. Da ist eben die Frage, ob die sich auch weiterhin einig sind, ob nicht die einen sich vielleicht eher in Richtung Vermittlung begeben werden und die anderen sagen, nein, wir bleiben hart und wir machen erst dann weiter, wenn Mappus zurücktritt.

    Liminski: Unter den Demonstranten sind offenbar auch gewaltbereite Elemente und manche Projektgegner wollen erst Gespräche, wenn es einen Baustopp gibt, also ein Einlenken oder Nachgeben von Bahn, Bund und Landesregierung. Kann es auf dieser Grundlage zu vernünftigen Gesprächen kommen?

    Maurer: Die Frage, ob es einen Baustopp gibt – ich glaube nicht. Es sieht im Moment nicht danach aus, als ob Mappus und seine Landesregierung hier bereit sind einzulenken. Das ist für sie natürlich auch eine ganz schwierige Frage, weil das das Eingeständnis wäre, dass sie eben doch vom Druck der Straße gezwungen worden sind, Dinge zu machen, die sie nicht wollen. Insofern glaube ich das nicht.
    Ob die Gegner darauf beharren, auf dem Baustopp als Vorbedingung für Gespräche, weiß ich noch nicht. Im Moment sieht es so aus, als ob sie da hart bleiben wollen. Das heißt, es könnte also schon der Fall eintreten, dass es zwar einen Vermittler gibt, dass es aber niemand gibt, der sich dann tatsächlich auch an den Runden Tisch setzen möchte.

    Liminski: Hier steht prinzipiell eine rechtsstaatliche Projektion gegen einen Teil des Demos, des Volkes. Manche sehen darin eine Konfrontation des Rechtsstaatsprinzips mit dem Demokratieprinzip. Haben Sie da für sich und die Zeitung eine Entscheidung getroffen?

    Maurer: Wir als "Stuttgarter Zeitung" sehen das Projekt nach wie vor positiv. Das mal zum einen. Wir sind auch der Meinung, dass es demokratisch legitimiert ist und dass natürlich demokratische Verfahren in einer parlamentarischen Demokratie auch zu ihrem Recht kommen müssen.

    Die Frage ist eben, wie man es hier in Stuttgart diskutieren muss, ob alles, was rechtsstaatlich ist, auch richtig ist, also die Frage beispielsweise, war es klug von Schuster, dem Oberbürgermeister in Stuttgart, 2007 keinen Bürgerentscheid zuzulassen. Rechtlich war er auf der sicheren Seite, er konnte den Bürgerentscheid damals ablehnen. Im Nachhinein gesehen wäre es sicher besser gewesen, den Bürgerentscheid zu machen. Er hätte sicher gute Chancen gehabt, die Abstimmung zu gewinnen, und dann wäre das ganze eben nicht nur die demokratischen Institutionen legitimiert gewesen, sondern auch durch ein Votum der Bürgerschaft. Das war nicht nötig, damals ist das nicht gemacht worden, deswegen haben wir jetzt auch diesen Konflikt.

    Liminski: Es geht um einen Bahnhof und um ein Infrastrukturprojekt. Wann und warum, glauben Sie, ist das Thema zu einer Art Glaubenskrieg mutiert?

    Maurer: Das ist eine gute Frage. Wenn ich das wüsste? – Ich glaube, dass sich in den kommenden Jahren sicher Heerscharen von Soziologen und Sozialforschern mit dem Thema beschäftigen dürften und dass dann einige Diplomarbeiten darüber geschrieben werden dürften. Man muss zum einen sagen, es ist natürlich durch diesen abgelehnten Wunsch nach einem Bürgerentscheid von 2007 der Frust bei den Gegnern extrem gewachsen, weil sie gesagt haben, das einzige Element, das wir hätten, um gegen diesen Prozess vorzugehen, hat man uns nicht in die Hand gegeben. Das ist das eine. Das andere ist, dass der Protest hier in Stuttgart natürlich sehr gut, sehr intelligent und auch sehr kreativ organisiert wird, und der wird natürlich verstärkt durch die konsequente und harte Linie, die jetzt die Projektverantwortlichen, also die Stadt, die Bahn und das Land, in den letzten Tagen, Wochen, Monaten an den Tag gelegt haben. Da ist die Wut einfach gewachsen.

    Liminski: Wie ist eigentlich die Gemengelage in Ihrer Redaktion? Wühlt das Thema die Redakteure auch so auf wie das Volk? Zumindest die Auflage dürfte ja mindestens gestiegen sein.

    Maurer: Das mit der Auflage wäre schön, wenn es so wäre. Wir machen die Erfahrung, dass eine Zeitung in so einer Situation, wo die Diskussion dermaßen aufgeheizt ist und dermaßen emotional geführt wird, eigentlich nichts zu gewinnen hat, denn die Reaktionen von unseren Lesern sind so, dass viele uns vorwerfen, wir berichteten einseitig aus der Sicht der Gegner, viele werfen uns vor, wir berichteten einseitig aus der Sicht der Befürworter, vielen berichten wir viel zu viel über das Ganze, die sagen dann, gibt es denn nichts anderes mehr, über das man hier in Stuttgart schreiben kann. Und aus allen drei Gründen bestellt der eine oder andere dann auch die Zeitung ab. Im Gegenzug steigt der Einzelverkauf etwas, aber das Saldo ist nach wie vor negativ.

    Die Redaktion selber wühlt das Ganze natürlich auch auf. Wir diskutieren jeden Tag länger über alles, was mit dem Projekt zusammenhängt, und natürlich gibt es letztlich alle Formen, die es auch in der Bevölkerung gibt.

    Liminski: Können Sie die Reaktion Ihres Publikums in Prozentzahlen einschätzen, wie viele dafür, wie viele dagegen?

    Maurer: Das ist schwer bei einer Auflage von 140.000 Stück und einer Leserschaft, die dann noch mal zwei- bis dreimal höher liegt. Also das wage ich nicht einzuschätzen. Überhaupt weiß ja niemand, wie die Mehrheitsverhältnisse denn sind im Land generell. Wir haben ja Umfragen dazu gemacht, wo eine leichte Mehrheit, 54 Prozent, gegen Stuttgart 21 in ganz Baden-Württemberg waren. Also insofern: Gegner und Befürworter halten sich die Wage. Und was sich eben auch herausgestellt hat ist, dass wir eine Vielzahl von Leserbriefen kriegen, Mails und Anrufe, wesentlich mehr als bevor der Abriss des Nordflügels begonnen hat.

    Heinlein: Michael Maurer von der "Stuttgarter Zeitung" im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski. Das Gespräch wurde vor dieser Sendung aufgezeichnet.