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"Er hat sich völlig ins Abseits manövriert mit dieser Anschuldigung"

Sepp Blatter sei die Hauptperson bei den Korruptionsvorwürfen zur WM-Vergabe 2006, sagt Roland Büchel. Das Hauptproblem sei, dass die 209 Mitglieder den FIFA-Chef offenbar immer noch an der Spitze haben wollen. Die Schweiz als Sitz der FIFA müsse sich zudem messen lassen, was sie aus diesen Erkenntnissen mache.

Tobias Armbrüster im Gespräch mit Roland Büchel | 17.07.2012
    Tobias Armbrüster: Hat Deutschland vor der WM-Vergabe 2006 hohe FIFA-Funktionäre bestochen? War es also eine gekaufte Weltmeisterschaft? - FIFA-Präsident Joseph Blatter hat genau das am Wochenende in einem Zeitungsinterview angedeutet. Heute relativiert er diese Anschuldigung wieder in einem offenen Brief in der "Bild"-Zeitung. Aber insgesamt sieht es für den FIFA-Chef selbst derzeit nicht besonders gut aus: Er muss sich Vorwürfe gefallen lassen, tatenlos bei zahlreichen Schmiergeldzahlungen zugeguckt zu haben. - Am Telefon ist Roland Büchel, er ist heute Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei. Vor seinem Eintritt in die Politik hat er Fußballrechte für die FIFA vermarktet, er kennt das System also sehr genau. Schönen guten Morgen, Herr Büchel.

    Roland Büchel: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Büchel, sind diese Anschuldigungen in Richtung Deutschland oder vielmehr waren die mehr als ein Ablenkungsmanöver von Sepp Blatter?

    Büchel: Ein Ablenkungsmanöver waren sie definitiv und es war auch ein sehr dummes, weil entweder ist das eine unglaubliche Verleumdung, oder sonst war es eine Selbstanklage, weil wenn es so wäre, dann hätte Herr Blatter das seit zwölf Jahren gewusst und nichts getan. Er hat sich völlig ins Abseits manövriert mit dieser Anschuldigung.

    Armbrüster: Wie groß sind die Schwierigkeiten, in denen Sepp Blatter selbst steckt?

    Büchel: Sie sind groß, weil jetzt ist endlich, was man immer vermutete und schon wusste, die 142 geschmierten Millionen Franken an Sportfunktionäre, das ist jetzt endlich bekannt und auf amtlichen Papieren belegt. Ich war sehr überrascht, dass das, was ja nicht neu ist, sondern mindestens vier Jahre alt, jetzt wirklich um die Welt ging. Ich habe gerade gestern noch ein Interview mit einem großen brasilianischen Magazin geben müssen, also es ist jetzt wirklich die ganze Welt, die sich für die Geschichte interessiert, und das ist ja eine gute Sache.

    Armbrüster: Das heißt, diese Informationen über Millionen Schmiergeldzahlungen, die sind jetzt amtlich?

    Büchel: Die sind amtlich und das Bundesgericht hat gesagt, dass die Erkenntnisse aus der Einstellungsverfügung - das ist ein 40seitiges amtliches Papier -, dass die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, und darum, weil das jetzt so ist, darum weiß die ganze Welt jetzt wirklich bewiesen und belegt, was da passiert ist.

    Armbrüster: Und welche Rolle spielt Sepp Blatter dabei?

    Büchel: Herr Blatter ist seit 38 Jahren bei der FIFA, einen großen Teil davon in einer Spitzenfunktion, als Generalsekretär und als Präsident. Er ist natürlich schon die Hauptperson, zumal er ja auch sagt, ich bin der Diktator, ich diktiere. Das hat er selbst gesagt, auch im deutschen Fernsehen. Wenn Sie diktieren, Diktator sind, dann wissen Sie, was in Ihrem Laden läuft.

    Armbrüster: Das sind ungeheuerliche Anschuldigungen, die wir da hören. Wieso kann sich Sepp Blatter in dieser Funktion an der Spitze dieses mächtigen Verbandes noch weiter halten?

    Büchel: Ja, das frage ich mich auch. Das Hauptproblem ist natürlich, dass ihn die Leute im Verein - die FIFA ist ja ein Verein mit 209 Mitgliedern und auch mit mächtigen wie Deutschland, England und mit kleinen wie irgendwelchen Karibikinseln -, offenbar wollen die Leute ihn immer noch an der Spitze haben, und das ist natürlich das Hauptproblem. Sie sind als Verein organisiert und der Verein will ihn als Präsidenten. Wenn es ein Problem ist, ist natürlich das das Problem.

    Armbrüster: Was machen denn die Behörden in der Schweiz?

    Büchel: Ja die Frage ist natürlich: Wir sind jetzt, seit zwei Jahren läuft wirklich etwas. Es gibt zwei Stufen. Auf Bundesebene läuft viel. Das Parlament hat die Sache erkannt vor zwei Jahren. Ich habe auch einen Vorstoß gemacht und es wird einen Bericht geben und wir sind jetzt auch daran, Gesetze auszuarbeiten, und die sind schon ziemlich weit, um das einzudämmen. Das Problem sind eher die lokalen Behörden, die da den Blatter hofieren am FIFA-Palast Zürich zum Beispiel. Ein Beispiel: Letzte Woche haben die ein Geschenk von 20 Millionen angenommen, einfach so, um ein paar Kunstrasenplätze zu bauen. Das kommt mir vor wie Wakaduku, wo man schnell ein paar Leute kaufen kann, damit die ruhig sind. Und dieses System, das darf so nicht weitergehen, das ist ganz klar.

    Armbrüster: Herr Büchel, ist nicht genau das das Problem, dass die FIFA hier sozusagen der Schweiz einen gewissen Stempel aufdrückt, dass sie das internationale Image der Schweiz beschädigt?

    Büchel: Ja, das hört man immer mehr und als ich das vor zwei Jahren gesagt habe, haben mich die Leute ausgelacht: Ja, die FIFA, die wäre klein und die wäre gut fürs Image. Man hätte ja sogar in Zürich eine FIFA-Straße gemacht, weil es eben genau umgekehrt wäre, die würden etwas bringen. In dem Zustand, wie sie jetzt ist und wie sie sich verhalten und wie dann auch die Reaktionen von der Schweiz zum Teil kommen und kritisiert werden von außen, zum Beispiel vom Europarat im April massiv, ist das tatsächlich ein Reputationsrisiko. Aber leider nicht nur die FIFA: Bestochene Funktionäre gibt es auch im Internationalen Olympischen Komitee. Also der Kreis ist noch größer, und auch das ist belegt, das sind nicht irgendwelche Anschuldigungen. Das sind ganz klar gerichtlich belegte Fakten.

    Armbrüster: Könnte man vielleicht sagen, dass Schweizer Behörden jahrzehntelang ein Auge zugedrückt haben bei solchen Organisationen mit eher zweifelhaften Praktiken, wie der FIFA oder auch dem Internationalen Olympischen Komitee, die ja ihren Sitz alle in der Schweiz haben, dass die Schweiz sozusagen ein Auge zugedrückt hat, um diese Organisationen bei sich im Land zu halten?

    Büchel: So weit würde ich nicht gehen, weil erstens weiß man erst seit 2008 - und es war damals leider nicht genug publik -, dass diese Schmierereien passierten. Aber das ist tatsächlich ein Problem, weil die großen Organisationen, die sind im Vereinsrecht, haben ziemlich schöne Steuerprivilegien, und das macht die Überwachung nicht gerade einfacher, sage ich jetzt mal.

    Armbrüster: Aber, Herr Büchel, die Beschuldigungen gegen IOC und auch FIFA gehen doch weiter zurück als 2008.

    Büchel: Die Beschuldigungen schon. Aber sagen wir, die definitiven Beweise, weil es Beschuldigungen gibt, es natürlich seit jeher und es ist klar, man hat einfach nicht zugehört. Nehmen Sie all die Berichte, die berühmten Journalisten Jennings, Kistner, Weinreich, die Leute, die als besessen bezeichnet wurden vom FIFA-Präsidenten. Alles was sie gesagt haben, erweist sich jetzt einfach als wahr. Und vorher hat man natürlich immer sagen können, es wären nur Anschuldigungen. Das kann man jetzt seit letzter Woche definitiv nicht mehr und die Schweiz muss sich daran messen lassen, das ist so, was sie aus diesen Erkenntnissen macht.

    Armbrüster: Herr Büchel, lassen Sie uns zum Schluss noch mal kurz auf Sepp Blatter blicken. Heute trifft sich in Zürich das FIFA-Exekutivkomitee, das höchste Entscheidungsgremium der Organisation. Könnte es theoretisch sein, dass Joseph Blatter da seinen Hut nehmen muss?

    Büchel: Theoretisch kann vieles sein. Ich denke es nicht, außer er müsste es selbst machen, weil er ist ja vom Kongress gewählt. Aber es ist natürlich schon interessant. Heute ist die Möglichkeit. Die reden dann ein bisschen von der Zukunft, wie sie es machen würden, und, also wieder ein bisschen verzögern, aber die können sich ja mal in die Augen schauen, dann kann der Sepp seine 23 Kollegen fragen, hast du genommen, hast du genommen, hast du genommen. Sagen wir mal, beim Herrn Blatter bin ich nicht ganz sicher, aber ganz sicher müsste der eine oder andere zur nächsten Sitzung nicht mehr antreten.

    Armbrüster: Live hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk war das der Schweizer Politiker Roland Büchel, Politiker und FIFA-Kenner und ehemaliger Fußballrechte-Vermarkter. Besten Dank, Herr Büchel, für diese Einschätzungen und Informationen.

    Büchel: Vielen Dank, Herr Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.