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"Er ist jetzt nicht länger nur Technokrat"

Die Belohnung für Sparmaßnahmen sollte vom Markt kommen und nicht von den europäischen Partnern, meint Bert van Roosebeke. Der Freiburger Politologe befürchtet, dass Mario Monti nunmehr als Politiker denken und die Bevölkerung überzeugen muss.

Das Gespräch führte Friedbert Meurer | 11.01.2012
    Friedbert Meurer: Bert van Roosebeke arbeitet am Centrum für Europäische Politik in Freiburg, das in der Tradition der ordnungspolitischen Freiburger Schule steht. Guten Tag, Herr van Roosebeke.

    Bert van Roosebeke: Guten Tag.

    Meurer: Hat Monti recht, wenn er eine Belohnung möchte – dafür, dass er seinen Italienern ein Sparprogramm aufbrummt?

    van Roosebeke: Na gut, die Belohnung sollte eigentlich vom Markt kommen, durch seine eigenen Einsparungsleistungen. Ich glaube, man muss das folgendermaßen einordnen: Herr Monti ist natürlich ein etwas spezieller Regierungschef. Er wird ja unterstützt von den drei großen Parteien im italienischen Parlament, ohne sozusagen aus diesen Parteien herauszukommen, und er wird zweitens unterstützt von der Bevölkerung. Und er braucht die Unterstützung beider Gruppen, sowohl der Bevölkerung als auch der Parteien, um seine Reformmaßnahmen wirklich glaubhaft durchsetzen zu können. Meine Interpretation der Fakten ist, dass Herr Monti einfach Angst hat, dass er dauerhaft die Unterstützung der Bevölkerung nicht halten wird, die er momentan schon hat, aber dass die Bevölkerung irgendwann sagen wird, so, wo sind jetzt bitteschön die Erfolge, die Ergebnisse dieser Einsparungsmaßnahmen.

    Meurer: Wird ihm der Markt den Gefallen tun, die Zinsen zu senken?

    van Roosebeke: Ich glaube, nicht. Zumindest derzeit sieht man keine wirkliche Senkung der Zinsen, was natürlich auch daran liegt, dass Herr Monti natürlich schon einiges in die Wege geleitet hat, vieles aber noch aussteht. Er hat ein Sparpaket Mitte Dezember durchs Parlament gejagt in Italien, das ist anerkennungswert, aber vieles steht natürlich noch an in Italien und solange da nicht wirklich herangegangen wird, glaube ich nicht, dass der Markt da viel Bewegung zeigen wird.

    Meurer: Und was steht noch an?

    van Roosebeke: Na gut, also die Märkte in Italien müssen dringend liberalisiert werden. Arbeitsmärkte, Gütermärkte müssen liberalisiert werden, Lohnstückkosten sind in Italien seit 1999 um 30 Prozent gestiegen, in Deutschland im gleichen Zeitraum um fünf Prozent. Die Löhne müssten eigentlich in Italien heruntergehen. Das liegt natürlich nicht nur in der Hand von Herrn Monti, da sind natürlich auch Gewerkschaften etc. gefragt. Aber das sind Maßnahmen, wo eigentlich jetzt herangegangen werden sollte.

    Meurer: Italien bezahlt deutlich höhere Zinsen als zum Beispiel Deutschland für seine Schulden. Vor ein, zwei Tagen haben wir ja gehört, Deutschland bekommt noch Geld dafür, wenn wir Schuldpapiere ausgeben. Ist der Markt da wirklich lupenrein gerecht? Verdient Deutschland denn tatsächlich eine so brillante Zinsbewertung?

    van Roosebeke: Tja, wer sind wir sozusagen als Einzelperson, um zu entscheiden, ob die Märkte da recht haben? Viele Beweggründe spielen natürlich eine Rolle. Die Leute sind auf der Suche, die Anleger sind auf der Suche nach Sicherheit, glauben, die in Bundesanleihen zu finden. Manche spekulieren natürlich auch darauf, dass die Kurse der Anleihen sich ändern werden und sie dann mit Gewinn später verkaufen werden. Da geht es vielleicht nicht unbedingt nur um das Parken des Geldes, sondern darum, in ein, zwei, drei Monaten sie wieder gewinnbringend verkaufen zu können. Und diese Chancen sind eigentlich auch Italien gegeben. Wenn Italien eine glaubhafte Reformpolitik fahren würde, dann könnte das auch in Italien passieren.

    Meurer: Sie sagen ja selbst, für Monti hängt einiges davon ab, dass er die Zustimmung der Bevölkerung behält oder bekommt. Sollte man ihm politisch nicht ein wenig entgegenkommen in der Zinsfrage, um die Reformbereitschaft der Italiener zu stärken?

    van Roosebeke: Es ist schon einiges passiert, muss man fairerweise sagen. Die Europäische Zentralbank ist natürlich schon sehr weit gegangen, hat eine Menge italienischer Staatspapiere gekauft, eben um den Zins zu drücken, fährt überhaupt eine Zinspolitik, die eigentlich einer Niedrigzinspolitik gleichkommt. Man muss sich die Frage stellen, was man noch mehr machen kann, und das einzige, was eigentlich noch übrig bleibt, sind halt eben Eurobonds, oder eine massive Aufstockung des Rettungsfonds.

    Meurer: Lehnen Sie beides ab?

    van Roosebeke: Wir haben beim Rettungsfonds die praktische Frage, wo das Geld herkommen soll. Das leuchtet mir jetzt nicht so richtig ein, wo man die Hunderte Millionen oder Milliarden finden soll, um den EFSF oder ESM später aufzustocken. Bei Eurobonds haben sie halt natürlich das Problem der Anreize. Wenn sie Eurobonds einführen würden, würde natürlich der Zins für italienische Staatsanleihen / Eurobonds fallen, und sie laufen damit das Risiko, dass die Reformbemühungen in Italien dadurch gerade schwächer werden, dass man sagt, schau mal, alles was wir gemacht haben, hat schon zu bestimmten Ergebnissen geführt, jetzt müssen wir uns gar nicht mehr so anstrengen, und das kann natürlich auch nicht Zweck der Übung sein.

    Meurer: Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, Herr van Roosebeke, nämlich die Europäische Zentralbank kauft in großem Stil weiter Schuldpapiere, Staatspapiere auf. Ein ähnlicher Vorgang bei der US-Notenbank, sagen zumindest viele hier in der Politik, hat funktioniert. Warum soll die EZB nicht aktiv werden?

    van Roosebeke: …, weil die EZB das eigentlich so nicht darf. Aufgabe der EZB ist es, die Inflation bei nahezu zwei Prozent zu halten.

    Meurer: Sie tut es aber schon.

    van Roosebeke: Sie tut es und begründet es natürlich auch mit diesem Ziel, was eigentlich ein bisschen bei den Haaren herbeigezogen ist. Aber die Gefahr ist natürlich schon da, dass man einfach einen Staat monetarisiert und das langfristig zur Inflation führen muss. Dass man die Inflation vielleicht an den Zahlen, die wir immer uns anschauen, so nicht sieht, liegt vielleicht daran, dass wir eine Messung der Inflation durchführen, die vielleicht heutzutage gar nicht mehr so korrekt ist. Die Inflation befindet sich vielleicht gar nicht so in den normalen Gütern und Dienstleistungen, die wir uns anschauen, sondern eher in Vermögenspreisen, Blasen an den Börsen etc.

    Meurer: Wie meinen Sie das? Also es ist nicht die herkömmliche Inflation, dass im Supermarkt alles teurer wird?

    van Roosebeke: Muss nicht unbedingt sein, meine ich. Es kann gut sein, dass die Gelder, die von der Notenbank, von der EZB dann so geschaffen werden, in Anlageformen fließen, die nicht so erfasst werden von dem harmonisierten Verbraucherpreis-Index, wie wir ihn kennen, sondern dass wie gesagt Blasen entstehen, Häuserpreise, irgendwelche Finanzprodukte an den Börsen, solche Dinge, die letztendlich aber auch die Gefahr laufen zu platzen und zu Finanzstabilitätsproblemen führen können.

    Meurer: Also eine EZB-Politik, die die Inflation fördert, könnte uns sozusagen an den Ausgangspunkt der ganzen Krise zurückwerfen Ihrer Ansicht nach?

    van Roosebeke: So ist es.

    Meurer: Beitrag in Informationen am Mittag, Deutschlandfunk(MP3-Audio) Eben hörten wir gerade von Theo Geers, er sieht da nicht unbedingt die Zweierallianz von Sarkozy und Monti. Wenn man aber beide Vorstellungen einander gegenüberstellt, liegen die dann nicht dicht beieinander?

    van Roosebeke: Vom Ergebnis schon. Ich glaube schon, dass die beiden Herren etwas unterschiedlich denken. Herr Monti, so wie wir ihn kennen, seine Geschichte als EU-Kommissar, hat da durchaus immer eine Linie vertreten, die man sehr deutsch nennen kann, würde ich mal sagen. Herr Monti hat einfach ein ganz praktisches Problem, was ich anfangs sagte: Er ist jetzt nicht länger nur Technokrat, sondern muss auch wirklich dafür kämpfen, die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten und auch zu behalten, und er muss jetzt plötzlich als Politiker denken, und in der Folge könnte das durchaus zu Forderungen führen, die denen Herrn Sarkozys ziemlich ähnlich sind, aber ich glaube, aus anderen Beweggründen.

    Meurer: Bert van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank und auf Wiederhören, Herr van Roosebeke.

    van Roosebeke: Ich habe zu danken! Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.