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"Er macht es sich etwas leicht"

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg trage nur wenig zur Aufklärung der Kundus-Affäre bei, sagt Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Zu sehr versuche zu Guttenberg, Verantwortung anderen zuzuschieben.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Dirk Müller | 14.12.2009
    Dirk Müller: "Der Entzauberte", schreibt der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe und meint damit keinen geringeren als den Polit-Shooting Star des Jahres, Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Kundus-Affäre bringt den Verteidigungsminister immer mehr in Bedrängnis. Erst stellt der CSU-Mann den Luftangriff als angemessen hin, dann doch nicht. Die Rücktritte von Schneiderhan, Wichert und Franz-Josef Jung. Es tauchen Berichte auf, die er angeblich nicht kennt. Die deutsche Eliteeinheit KSK ist plötzlich an der Militäraktion beteiligt gewesen. Seit diesem Wochenende weitere Details. Der Angriff soll nicht den beiden Tanklastwagen gegolten haben, sondern einer Gruppe Taliban. Eine gezielte Tötung, unschuldige Tote werden in Kauf genommen. Ist dies erlaubt? Ist dies im Sinne des Mandats? Was hat zu Guttenberg der Öffentlichkeit verschwiegen? Was wusste die Kanzlerin? – Bei uns im Studio ist Rolf Mützenich, der neue außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Ist der Verteidigungsminister noch zu halten?

    Mützenich: Nun, der Verteidigungsminister muss klar Auskunft geben, und ich glaube, er zieht sich etwas zurück und er macht es sich etwas leicht. Er versucht aus meiner Sicht, andere Verantwortliche zu benennen, ohne selbst Verantwortung tragen zu wollen, und nach meinem Eindruck hat er auf der Grundlage der Berichte, die ihm damals vorgelegen haben, vorschnell, vielleicht auch etwas zu schneidig geantwortet, und möglicherweise fällt ihm dies jetzt auf die Füße. Nach meinem anderen Eindruck trägt er relativ wenig zur Aufklärung bei. Zu viel Talkshows, zu wenig Substanz.

    Müller: Sie gehen davon aus, Herr Mützenich, dass Karl-Theodor zu Guttenberg alles schon frühzeitig gewusst hat?

    Mützenich: Ich gehe zumindest davon aus, dass die Berichte, die ihm bekannt waren und die ja teilweise von uns auch gelesen werden konnten, schon genügend Hinweise darauf hatten, dass seine damalige Aussage, die er jetzt wieder korrigiert hat, auch schon damals nicht haltbar gewesen ist.

    Müller: Generalinspekteur Schneiderhan, das war das erste Opfer, viele sagen politisches Opfer. Sehen Sie das auch so?

    Mützenich: Das könnte sein und das würde ich bedauern, weil es war ein guter Generalinspekteur gewesen, der eine Menge für die Bundeswehr, für die Soldaten getan hat, aber er war natürlich auch der obere Berater, der oberste Berater der Bundesregierung, nicht nur des Verteidigungsministers, sondern auch der Bundeskanzlerin, und ich habe ihn so erlebt, dass er immer sehr offen, aber auch auf der anderen Seite sehr konsequent formuliert hat, und mich würde schon wundern, wenn er dem Verteidigungsminister, auch dem neuen Verteidigungsminister nicht die ausreichenden Informationen vorgelegt hat, die nach seinem Dafürhalten notwendig gewesen sind, um zum anderen auch diesen Angriff in Kundus richtig zu interpretieren.

    Müller: Also für Sie ist das absolut glaubwürdig, wenn Schneiderhan sagt, ich habe Guttenberg alles gesagt?

    Mützenich: Zumindest stehen diese Aussagen gegenüber, spätestens seit gestern, und das dokumentiert doch offensichtlich schon, dass die Lage nicht so klar ist, wie Herr Guttenberg sowohl in den Ausschüssen, aber insbesondere auch in der Öffentlichkeit in den letzten Tagen formuliert hat, und da, finde ich, müssen wir Aufklärungsbedarf jetzt einfordern und dieser Aufklärungsbedarf muss vor Weihnachten erfolgen, muss in dieser Sitzungswoche des Deutschen Bundestages erfolgen. Der Verteidigungsminister hat damals während der Afghanistan-Debatte seine Aussage zu Kundus korrigiert und ich finde, das Parlament muss jetzt auch Auskunft darüber bekommen von der Bundeskanzlerin, was der Wissensstand auch von ihr selbst gewesen ist in diesem Zusammenhang.

    Müller: Wenn Schneiderhan Recht hat, wovon Sie ausgehen, dann hat zu Guttenberg gelogen?

    Mützenich: Er hat zumindest dann nach meinem Dafürhalten nicht die richtigen Konsequenzen aus den Informationen gezogen, die Herr Schneiderhan und möglicherweise ja auch andere Herrn Guttenberg vorgelegt haben, und der NATO-Bericht, den wir ja auch lesen konnten, dokumentiert ganz konkret, dass die Aussage, die damals der Verteidigungsminister formuliert hat, so nicht zutreffen konnte.

    Müller: Aber wie erklären Sie sich die Motivation des Verteidigungsministers, nicht offen mit den Informationen umzugehen, wohl wissend, dass gegebenenfalls alles, wie es ja jetzt auch tatsächlich passiert ist, an die Öffentlichkeit kommen kann?

    Mützenich: Ich hoffe, dass er das im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages klarstellen wird. Ich schaue da in den Kopf nicht hinein. Möglicherweise war die eine oder andere Aussage zu schneidig und zu voreilig gewesen.

    Müller: Wir haben, Herr Mützenich, einen jüngsten Bericht, den wir an diesem Wochenende in Teilen nachlesen konnten, zumindest auch reichlich interpretiert. Es ging offenbar um gezielte Tötung bei diesem Luftangriff in Kundus und nicht mehr darum, diese beiden Tanklaster in erster Linie in den Fokus des Visiers zu nehmen. Warum ändert das die Lage?

    Mützenich: Es ändert natürlich insbesondere das, weil wir mittlerweile mehr und mehr vor tiefen Abgründen stehen. Das was dort erfolgt und das was nach meinem Dafürhalten Gott sei Dank auch mit der Obama-Administration umgedreht worden ist – wir haben nicht mehr sozusagen innerhalb der NATO Krieg gegen den Terrorismus, insbesondere die amerikanischen und andere Verbände geführt, sondern wir sind auf das eigentlich eingeschwenkt, was die Bundeswehr jahrelang in Afghanistan immer versucht hat, eine militärische Sicherung, Aufbauleistungen, natürlich hauptsächlich auch aus den zivilen Organisationen heraus, und wir haben eben nicht gesagt, wir müssen dort eine kriegerische Auseinandersetzung führen. Vieles kommt jetzt ins Rutschen. Mir liegen diese Informationen so nicht vor, ich lese das auch alles aus der Zeitung, aber das ist schon erschreckend, was dort mehr und mehr an die Öffentlichkeit dringt. Ich glaube schon, wir müssen im Untersuchungsausschuss mehr über diese operativ-militärischen Dinge wissen. Deswegen ist das jetzt zu früh auch für die Bewertung. Aber ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass der Verteidigungsminister zum jetzigen Zeitpunkt behauptet, die Bundeswehrsoldaten würden in einem rechtsfreien Raum agieren, weil das finde ich schon ein starkes Stück. Dem Deutschen Bundestag ist erst vor kurzem ein Antrag vorgelegt worden, der doch aus meiner Sicht Rechtssicherheit eigentlich domestizieren müsste.

    Müller: Sie Sagen, der Bundestag, das Mandat ist ganz klar definiert und gezielte Tötungen deutscher Soldaten sind ausgeschlossen?

    Mützenich: Der Beschluss des Deutschen Bundestages ist klar definiert, auf der Grundlage einer Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, und wir haben natürlich auch humanitäres Völkerrecht, insbesondere die Genfer Konvention, die dies ganz klar ausschließen. Kriegsvölkerstrafrecht spielt hier eine große Rolle. Und wir wollen ja, indem wir Parlamentsarmee ja auch zeigen, deutlich machen, dass es eben diesen rechtsfreien Raum nicht gibt, und die Bundesregierung ist gut beraten, das nach meinem Dafürhalten klarzustellen, dass sie nicht einen Antrag vorgelegt hat, der diesen rechtsfreien Raum erst schafft.

    Müller: Da muss ich, Herr Mützenich, eine Frage stellen, die sich viele in Deutschland stellen. Warum weigert sich die Bundesregierung, warum hat sich die alte Bundesregierung mit Beteiligung der SPD nachhaltig immer davor gewahrt zu sagen, in Afghanistan ist Krieg?

    Mützenich: Weil ich glaube, wir machen uns es auch ein bisschen leicht, wenn wir Definitionen finden wie Krieg, die eigentlich aus dem Völkerrecht nach Ende des Zweiten Weltkrieges verschwunden sind, weil wir ja immer das Interesse haben, den Krieg zumindest einzuhegen, einzugrenzen, auch im Grunde genommen ein humanitäres Völkerrecht zu schaffen, was diese Auswüchse des Krieges aus den vergangenen Jahrhunderten eingrenzt, und wenn wir natürlich jetzt von Krieg auch wieder sprechen, können wir natürlich möglicherweise auch die Kräfte wieder sozusagen auf den Vormarsch bringen, die wir einhegen wollten. Deswegen war es damals richtig gewesen, zum Beispiel zu sagen, hier handelt es sich um eine militärische Auseinandersetzung, auch um einen bewaffneten Konflikt, der aber immerhin unter einem Mandat der Vereinten Nationen auch legitimiert ist, diese Sicherungsmaßnahmen, natürlich auch Notwehrmaßnahmen auch zu ergreifen.

    Müller: Hört sich so an, Herr Mützenich, wie rhetorische Kosmetik?

    Mützenich: Nein, das ist keine rhetorische Kosmetik, sondern es sind die Konsequenzen, die wir aus schrecklichen Jahrhundertereignissen auch gezogen haben. Und wenn man zum Beispiel sagt, hier herrscht Krieg, geben wir sozusagen alle Freiräume wieder hin, die wir in den vergangenen Jahrzehnten versucht haben einzugrenzen.

    Müller: Sind das nicht taktische Überlegungen? Wenn Soldaten täglich kämpfen, wenn Soldaten täglich getötet werden, wenn Soldaten täglich töten und auch verletzt werden, warum ist das kein Krieg?

    Mützenich: Weil sie natürlich auch andere internationale Mandate haben, ich sage zum Beispiel mal das UNIFIL-Mandat. Hier können auch bewaffnete Konflikte entstehen. Würden wir dann eine Diskussion darüber beginnen, dass das Krieg ist? Wir haben eine Dimension in Afghanistan, wo es militärische Auseinandersetzungen gibt, tägliche Kämpfe, in die wir die Bundeswehr natürlich auch mit hineinbringen. Das wissen wir durch dieses Mandat des Deutschen Bundestages, was wir dort erteilen. Aber wenn wir sozusagen Krieg sagen, schaffen wir eigentlich das, was ich versucht habe, eben deutlich zu machen. Mit den Genfer Konventionen haben wir Grenzen eingezogen, die wir nicht wieder überschreiten dürfen, und das würden wir, glaube ich, zum Beispiel auch, wenn wir leichtfertig einfach sagen, dort herrscht Krieg, deswegen verlieren wir alle rechtlichen Schranken, durchaus in Frage stellen.

    Müller: Die Bundeswehr selbst, der Bundeswehrverband, auch viele Soldaten sehen das vor Ort, die Situation ganz konkret als Krieg, fühlen sich zum Teil von der Politik im Stich gelassen, weil keine klaren Worte gefasst werden und weil beispielsweise im Zusammenhang jetzt mit diesem umstrittenen Luftangriff von Kundus nicht gezielt getötet werden darf. Was dürfen die Soldaten dann?

    Mützenich: Ich kann das gut nachvollziehen. Die Soldaten dürfen innerhalb des Mandats der Vereinten Nationen und was der Deutsche Bundestag erteilt hat natürlich auch sich wehren, natürlich auch in Konflikte hineingehen, natürlich auch militärische Gewalt ausüben. Das ist gar keine Frage. Aber das darf nicht unverhältnismäßig sein und ich glaube, darauf kommt es an. Der ISAF-Bericht hat offensichtlich dokumentiert, dass hier bei dieser Situation in Kundus nicht nach der Gefahreneinschätzung so gehandelt worden ist, wie es notwendig gewesen ist, und es war ja auch der amerikanische Kommandeur McChrystal, der versucht hat, die NATO-Truppen eben zu dieser Zurückhaltung zu bewegen, die es in den vergangenen Jahren unter der Bush-Administration eben nicht gegeben hat, und das war das Fatale, dass eben mit diesem Angriff in Kundus offensichtlich dies sehr stark ins Rutschen gekommen ist.

    Müller: Fehlt von der Bundesregierung eine klare Perspektive, eine klare Erklärung darüber, was man in Afghanistan will?

    Mützenich: Ich glaube auf jeden Fall. Das hat die Bundeskanzlerin auch wieder bei der letzten Debatte versäumt und sie ist dringend angeraten, dies in den nächsten Tagen und Wochen auch zu tun. Wir haben immer wieder über dieses Mandat im Deutschen Bundestag gesprochen. Ich glaube auch, wir haben dazugelernt, dass wir natürlich auf die Perspektiven hinweisen mussten, aber auch auf die Bedingungen, die dort herrschen. Nur die Bundesregierung ist hier insgesamt gefordert und insbesondere die Bundeskanzlerin.

    Müller: Das trifft, Herr Mützenich, also im Nachhinein auch für den damaligen Außenminister Steinmeier zu?

    Mützenich: Es trifft insbesondere auch für die alten Regierungen zu, das ist doch gar keine Frage, aber wir haben doch auch dazugelernt und der damalige Außenminister Steinmeier hat nie in Frage gestellt, dass es zivile Opfer gab. Er wusste nur nicht, wie groß diese Zahl ist, und ich fand, er hat sich damals richtig verhalten und das wird sich auch im Untersuchungsausschuss dokumentieren lassen.

    Müller: Bei uns im Studio in Köln vielen Dank Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.