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Er provoziert wieder

Der neue Houellebecq ist - so wird es einhellig empfunden - erschienen als wäre er ein Harry Potter. Begleitet von PR-Rummel, Geheimnistuerei, generalstabsmäßiger Planung, flankiert von großen Euro- und Auflagenzahlen, die bekräftigen, dass es um Großes geht. Vorzeitige Entlarvungen kursieren und rechtzeitige Hymnen. Die Trommeln wirbeln, der Autor geht in Stellung. Der Roman schlägt in den Redaktionen ein, die Kritiken schnellen heraus - feierliche, vernichtende. Der "Figaro" spricht von einem "Blindgänger", "Der Spiegel" von einer "Massenvernichtungswaffe". Philippe Sollers erkämpft einen Sieg für die französische Kultur, indem er alle aktuellen amerikanischen Autoren im Handstreich mit dem neuen Houellebecq übertrumpft.

Von Eberhard Falcke | 04.09.2005
    Da kann sich leicht die Frage aufdrängen: Ist denn der Autor in dem ganzen Getümmel überhaupt noch zu retten? Und erst recht wir, das Rezensentenvolk? Haben wir nicht mit Gehirnerschütterungen, mit Schock, Verwirrung und schwersten Orientierungsstörungen zu rechnen? Zweifellos! Was jedoch den Autor anbelangt, so kann Entwarnung gegeben werden. Ein Houellebecq weiß nach bald zehn Jahren geballter Kulturbetriebserfahrung, wie Medien und Publikum funktionieren. Und freundlicherweise lässt er uns in seinem neuen Roman an diesem Wissen teilhaben. Da bemerkt der Held über sein wichtigstes Werk, was zum Teil auch auf seinen Autor und dessen Roman passen würde:

    " Es war ohne Zweifel mein größter Erfolg, was die Kritiken anging. Noch nie hatte mein Talent nach allgemeiner Ansicht solche Höhen erreicht - oder sei noch nie so tief gesunken, das war eine Variante, die aber im Grunde das Gleiche aussagte; ich wurde oft mit Chamfort und sogar mit La Rochefoucauld verglichen. "

    Die Kritik kann also sagen, was sie will, Houellebecq und sein Held wissen von vornherein, wie der Laden läuft. Versuchen wir trotzdem, uns durch das Schlamassel einen Weg zu bahnen.

    Daniel heißt er, der Held von Houellebecqs viertem Roman, dessen Titel wieder einprägsam und rätselhaft anmutet: "Die Möglichkeit einer Insel". Daniel ist Komiker und er hat schnell gelernt auf der Klaviatur der Provokationen zu spielen. Wie sein Autor schätzt er besonders zündende Attacken gegen den Islam. Mit seiner Show "Am liebsten Gruppensex mit Palästinenserinnen" erzielte er die größte Medienwirkung. Zur Abwechslung nimmt er auch Juden aufs Korn oder kitzelt sein Publikum mit schrillen Geschmacklosigkeiten. Und da die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten den Grundsatz gebüffelt hat, dass auch noch hinter der plattesten Sauerei bestimmt die Kühnheit einer aufklärerisch Absicht stehe, muss sich Daniel dann doch gelegentlich über die Leichtigkeit wundern, mit der seine Zumutungen durchgehen.

    " Das Schlimmste daran war, dass ich als Humanist angesehen wurde; ein Humanist zwar wider Willen, aber doch ein Humanist. Um etwas konkreter zu werden, hier einer der Scherze, die ich bei meinen Auftritten häufig angebracht habe:
    'Weißt du, wie man den Fettkloß nennt, der die Scheide umgibt?’
    'Nein.’
    'Frau.’
    Obwohl ich solche Knaller auf der Bühne zum Besten gab, bekam ich seltsamerweise weiterhin gute Kritiken in Elle und Téléra-ma... Das Gute an dem Beruf des Humoristen und ganz allgemein der humoristischen Haltung im Leben ist, dass man sich völlig ungestraft wie eine Drecksau benehmen kann, sich noch dazu die Bösartigkeit finanziell vergolden oder mit sexuellen Erfolgen vergüten lässt, und das alles mit Zustimmung der Öffentlichkeit. "

    Daniel wird reich - sechs Millionen Euro schwer -, er stürzt sich in Konsumräusche, besucht und kommentiert Prominenten-Parties, dreht abgeschmackte Filme, jongliert mit dem Image als "rechter Anarchist" und liebt Isabelle, die als Chefredakteurin des Magazins "Lolita" ebenfalls ein Medien-Profi ist, der Bemerkenswertes mitzuteilen hat.

    " Du kennst ja die Zeitschrift, für die ich arbeite: Wir versuchen eine Welt zu propagieren, in der sich die Leute nur noch für gekünstelte, oberflächliche Dinge interessieren; Ernst oder Humor haben darin keinen Platz mehr, statt dessen stürzen sich die Leute bis zu ihrem Tod in eine Suche nach fun und Sex, die immer verzweifelter wird, eine Generation von endgültigen kids. "

    Bedauerlicherweise muss es der Klarheit halber schon jetzt verraten werden: In diesem ersten Viertel des Romans, in dem Houellebecq die Mechanismen der Mediengesellschaft auf die Schippe nimmt, ist er am besten, bissigsten und treffsichersten.

    Tatsächlich gehört es ja zu Houellebecqs größten Leistungen, dass es ihm gelingt, einer postmodern durchflexibilisierten Kulturöffentlichkeit die Leviten zu lesen, ohne dass er je zum sauertöpfischen Spielverderber abgestempelt worden wäre. Darüber hinaus hat er es - namentlich mit seinem zweiten Roman "Elementarteilchen" - noch vor der Jahrtausendwende vollbracht, entschiedene Traurigkeit und Pessimismus in die Literatur zurückzubringen. Obwohl es damals noch weithin ausgeschlossen war, daran zu zweifeln, dass sich das Leben als dauerlustige Kreuzfahrt von Modernisierungsgewinnern vollziehen würde. Kulturpessimismus war und ist verpönt als das allerletzte, und dennoch gelang es Houellebecq, dem nicht nur bei Alt-68ern und Rot-Grünen einbetonierten Selbstbewusstsein, man werde auf ewig schlauer, moralischer und moderner sein, ein sarkastisches Spiegelbild entgegenzuhalten. Er hat es geschafft, die Rückkehr des Kulturpessimismus als Farce zu bewerkstelligen.

    Dieses Pulver ist nun allerdings zum Großteil verschossen. Seitdem hat sich Houellebecq unter anderem darauf verlegt, die Übel der Welt durch Geschlechtsverkehr zu heilen. Unvergessen ist der einschlägige Plan aus seinem dritten Roman "Plattform". Da scheiterte die Zusammenführung der zahlungsbereiten Liebesbedürftigkeit von Europäern mit der einkommensbedürftigen Körperwärme der Dritten Welt nur knapp an einem islamistischen Anschlag.

    Eine absolut zentrale Rolle spielt der Sex auch im neuen Roman "Die Möglichkeit einer Insel". Da polemisiert Daniel zum Beispiel gegen alle gesellschaftlichen Beziehungen, die nicht von Körperkontakt begleitet sind. Und über seine existentiellen Obsessionen gibt er unter anderem folgende Auskunft:

    " Ich hatte wohl der Sexualität eine zu große Bedeutung eingeräumt, das ließ sich nicht leugnen; aber der einzige Ort auf der Welt, an dem ich mich je wirklich wohl gefühlt hatte, war in den Armen einer Frau, wenn ich tief in ihrer Scheide steckte; und ich sah keinen Grund, warum sich das in meinem Alter ändern sollte. "

    Leider stellen sich der dauerhaften Unterbringung im weiblichen Schoß dann doch ein paar Hindernisse entgegen. Und dummerweise geht dann deshalb ziemlich bald die Welt unter. Ja, genauso ist es: Houellebecq sieht sich gezwungen, in diesem Roman die Welt untergehen zu lassen. Wegen sexueller und noch ein paar anderer Probleme. Schon von Anbeginn des Romans finden sich dafür Hinweise.

    Schließlich schaltet sich in die Ich-Erzählung des Komikers Daniel in gewissen Abständen immer wieder für einige Seiten ein anderer Daniel ein, dessen Adresse offenbar nicht ganz von dieser Welt ist. Dieser Daniel trägt die Nummer 24, während unseren irdischen Komiker-Daniel die Nummer eins kennzeichnet. Zweitausend Jahre nach unserer Zeit blickt Daniel Nummer 24 auf die inzwischen untergegangene Welt zurück. Er ist der 23. Klon von Daniel Nummer 1, und sein Leben stellt sich als schrecklich triste Angelegenheit dar. Menschliche Gefühle, Lachen, Weinen, Lust spielen bei den geklonten Nachfolgern der Menschheit keine Rolle. Die Neo-Menschen sind isoliert, sie kommunizieren untereinander nur virtuell und die spannendste Beschäftigung von Daniel 24 besteht darin, zu lesen und zu kommentieren, was Daniel 1 aufgeschrieben hat. Kurzum: Diese langweiligen Neo-Menschen sind ganz und gar keine Empfehlung für Weltuntergänge.

    Was nur hat Houellebecq dazu getrieben, der Menschheit und seinen Lesern solches anzutun? Nun, und das spricht immerhin noch einmal für seinen halsbrecherischen Zeitkritikermut, beigetragen haben zu diesem Untergang der Menschheit die bereits erwähnten Krisenerscheinungen, die geistigen Sackgassen einer in Ratlosigkeit verfallenden Kultur.

    " Das Scheitern einer Zivilisation ist eine traurige Angelegenheit, es ist traurig, mit ansehen zu müssen, wie sich ihre klügsten Köpfe verrennen... Na ja, sagen wir, es ist ein bisschen traurig; es gibt selbstverständlich traurigere Dinge. "

    Bei den noch traurigeren Untergangsursachen bietet Houellebecq ein breites Panorama auf: Klimaveränderungen, ökologische Katastrophen, atomare Explosionen, Überalterung der Bevölkerung, dadurch verursachte Depressionen mit anschließenden Selbstmordwellen und überhaupt die zunehmende Unlust der Menschen an der existierenden Welt sowie das wachsende Bedürfnis nach einer anderen. All das wird mehrfach erwähnt. Ausführlich und konkret erzählt wird jedoch nur von einer einzigen Weltuntergangsursache: nämlich von einem superknackigen Mädchenhintern und was sich damit alles anstellen lässt.

    Der Hintern gehört Esther, der Nachfolgerin von Daniels Gefährtin Isabelle. Letztere ist nach ihrem vierzigsten Lebensjahr ermattet aus dem Wettrennen um einen jugendlichen Körper und bald danach auch aus dem Leben ausgestiegen. Für Isabelle war die Liebe wichtiger als die Lust. Bei Esther ist es genau umgekehrt. Halb so alt, beziehungsweise doppelt so jung, vertritt sie das neueste sexuelle Betriebssystem, bei dem Sex und glatte Haut, wie in der Reklame, untrennbar zusammengehören. Und wie bei allen anderen Schandtaten der zeitgemäßen vulgären Entsublimation mischt Daniel fröhlich mit. Die Liebe vermisst er nicht, solange er nur von der puren Fleischeslust profitieren kann.

    Auch das ist eine Zuspitzung ganz nach Houellebecq-Manier. Denn Esther verkörpert keineswegs ein Inbild von Jugend, weiblicher Schönheit und Erotik. Sie ist vielmehr rein pornographisch kodiert. Sie begegnet Daniel als Porno-Akteurin reinsten Wassers, immer verfügbar, ohne Slip unterm Minirock und stets bereit zu wortkargen Lippendiensten. Houellebecqs dazugehörige Theorie geht so:

    " Das mehr als tausendjährige männliche Vorhaben, das heutzutage in den pornographischen Filmen deutlich zum Ausdruck kommt und das darin besteht, der Sexualtität jegliche affektive Konnotation zu nehmen und sie in den Bereich des reinen Zeitvertreibs einzureihen, hatte sich endlich in dieser Generation durchsetzen können. "

    Das ist eine messerscharfe These, wie geschaffen für die Diskussionen in den nächstbesten Talk-Shows. Die Art allerdings, wie sie in den Roman hineingeschrieben ist, verursacht in seinem Helden eine ziemlich widersprüchliche Spaltung. Einerseits gebärdet sich Daniel als fideler Nutznießer der Pornographisierung. Andererseits wirft er sich in die Pose des herzerweichend Leidenden, als Esther eines Tages lieber mit braungelockten Beach-Boys der eigenen Altersklasse weitervögeln will.

    " Ich entdeckte sie schließlich in einem der hinteren Schlafzimmer, wo sie umgeben von mehreren jungen Männern auf dem Bett lag; sie hatte bis auf den goldfarbenen Minirock, der bis zur Taille hochgeschoben war, alles ausgezogen. Ein großer junger Mann mit langen braunen Locken lag hinter ihr, streichelte ihr den Hintern und war kurz davor, sie zu penetrieren. Sie sprach mit einem anderen, ebenfalls braunhaarigen, muskulösen jungen Mann; gleichzeitig spielte sie mit seinem Glied... Ich schloss leise wieder die Tür. Ich wusste noch nicht, dass es das letzte Bild war, das mir von ihr in Erinnerung bleiben sollte. "

    Und bloß weil diese kleine Geschlechtsmechanikerin umsattelt, soll die Welt untergehen?, fragt sich der Leser erschüttert. Worauf unmissverständlich der Roman antwortet: Ja, deshalb ganz besonders. Immerhin leitet Daniel daraus den vernichtenden Richtspruch ab, dass Sex nur der frischesten Jugend gehöre, und der reife Mensch wie seinesgleichen künftig vom Oralverkehr und einem lebenswerten Leben ausgeschlossen sei. Nun gut. Bleibt die Frage: Wo steckt der Fehler? Er steckt darin, dass Romanheld Daniel zugleich eine liebeshungrige Menschenfigur und ein wandelndes Thesenpapier ist.

    Woran sich Houellebecq offenbar aber zuallerletzt stört. Schließlich will er seine Leser nicht mir fein gesponnenen Erzählwerken betören, sondern ihnen, literarisch verpackt, die knalligsten Themen des Tages um die Ohren hauen. Und dazu gehört eben seit einer Weile auch das Thema des Alterns, als Lifestyle-Problem ebenso wie als gesamtgesellschaftlicher Krisenfaktor.

    " In der modernen Welt konnte man Swinger, bisexuell, transsexuell, Sodomit oder Sadomaso sein, aber es war verboten alt zu sein. "

    Daraus folgt für Houellebecq, dass die Alternden erst die Liebe und dann überhaupt jegliche gesellschaftliche Achtung entbehren müssen. Für des Autors Lieblingsfeinde aus der in die Jahre gekommenen "Forever young"-Generation springt dabei ein besonders giftiger Gruß heraus:

    " Das Leben beginnt mit Fünfzig, das stimmt - wenn man davon absieht, dass es mit Vierzig endet. "

    Jedenfalls nehmen angesichts dieser trübseligen Lage Depressionen und Selbstmorde zu, und die Kirche der Elohimiten, an deren Gründungsakten Daniel teilgenommen hat, bekommt zusammen mit ein paar anderen Religionen rasanten Zulauf. Den Elohimiten und ihrer Technik, durch Klonen zum Heil zu kommen, ist es auch zu verdanken, dass zweitausend Jahre nach dem Untergang der Menschheit noch ein paar verstreute "Neo-Menschen" die schwer beschädigte Erde bevölkern, darunter der besagte Klon-Daniel Nummer 24 und sein Nachfolger, die Nummer 25. Sie bestreiten mit ihren nicht gerade fesselnden Betrachtungen ungefähr ein Drittel des Romantextes. Vor allem aber dienen sie als wenig überraschende Beispiele dafür, dass mit solchen affekt-freien Langweilern erst recht keine neue Menschheit zu machen ist. Nur ein Neo-Mann und eine Neo-Frau brechen aus ihren gefühlsberuhigten Reservaten aus, um die im Romantitel angesprochene "Möglichkeit einer Insel" als Ort der Liebe zu suchen. Sie kommen niemals an.

    Es sind wahrlich weite Kreise von Handlung und Bedeutung, die Houellebecq um seinen Helden schlägt, der sich mit Nietzsche als "eine Art Zarathustra der Mittelschicht" [376] bezeichnet und mit Schopenhauer das menschliche Dasein als trauriges Theater betrachtet [199]. Ganz ohne Nietzsche und ohne Schopenhauer gelangt Daniel auf eigene Faust zu dem folgenden Schluss:

    " Mein ganzes Leben hatte ich mich nur für meinen Pimmel oder für gar nichts interessiert, und jetzt war mein Pimmel abgestorben, und ich folgte seinem verhängnisvollen Niedergang, etwas Besseres hatte ich nicht verdient, sagte ich mir und versuchte bei diesem Gedanken ein genussvolles Selbstmitleid zu empfinden. [...]

    Vielleicht war es doch gar nicht so sicher, dass ich Selbstmord begehen würde, vielleicht gehörte ich zu den Menschen, die bis zum Schluss ihre Umgebung nerven... Ich hasste die Menschheit, das stand fest, ich hatte sie von Anfang an gehasst und da das Unglück bösartig macht, hasste ich sie heute noch viel mehr. Gleichzeitig war ich zu einem harmlosen Hündchen geworden, das sich von einem Stück Zucker besänftigen ließ; aber niemand würde mir das Stück Zucker reichen, und es sah so aus, als würde ich mein Leben so beenden, wie ich es begonnen hatte: mutterseelenallein und voller Wut, in einem Zustand hasserfüllter Panik, die noch durch die sommerliche Hitze verstärkt wurde. "

    Pimmel, Selbstmitleid, Nerverei, Hass -: So sieht er aus, der heiße, ureigene Stoff dieses Schriftstellers. Daraus hätte - nimmt man noch Houellebecqs bissiges Gespür für Medien und Zeitgeist hinzu - ein schmutziger, böser, provokativer Roman werden können, dem man jede Willkür gerne nachgesehen hätte. Anstatt sich darauf zu verlassen, hat der Literaturszenestar jedoch alles darangesetzt ein großes, groß gedachtes und groß konstruiertes Buch zu fabrizieren, was schwere Zweifel an seinen künstlerischen Instinkten herausfordert. Gewiss, auch dieser Roman hat seine brisanten, spannenden, bitteren, treffsicheren Passagen, namentlich in den zeitkritischen Attacken und Genrebildern. Und zweifellos hat die Vorstellung, die Menschheit könnte in einem Passionsgang sexueller Sucht und Hörigkeit verkommen, eine beunruhigende Kraft. Die aber resultiert mehr aus der Idee als aus der Erzählung. Gerade dieser Widerspruch von starker Idee und schwacher Erzählung zeigt, wie sehr Houellebecq sich hier über seine schriftstellerischen Möglichkeiten hinaus verstiegen hat. Zu oft behilft er sich mit prophetischer Leitartikelei. Ganz zu schweigen von dem riesigen Panorama, das er hier mit seiner Esoterik-Science-Fiction und der Anti-Utopie einer geklonten Menschheit aufzieht. Darin steckt so wenig erzählerisches Leben, dass man meint, die dürren Konstruktionen im Wind klappern zu hören.

    Vor allem klebt Houellebecq für einen Zeitkritiker viel zu sehr am Zeitgeist, wenn er das Weltbild, welches sich gerade in den Schlagzeilen abzeichnet, einfach zu seiner ultima ratio erhebt. Und für einen Moralisten nähert er sich viel zu sehr dem Spießer, der alles, was geboten wird, gerne mitnimmt, und sich erst über das beklagt, was ihn höchstpersönlich piesackt. Das macht seine Literatur zwar trash-tauglich - zur Freude vieler seiner Fans -, es macht sie aber auch schnell verderblich, was sein neues Buch mehr betrifft als die vorhergehenden.

    Fast könnte man auf den Gedanken kommen, mit diesem so lärmenden Romanauftritt sei die Houellebecq-Dämmerung angebrochen. Sicher ist jedenfalls eines: Da bei diesem Autor literarisch ohne Sex nichts geht, wird er seinem im Weltuntergang verheizten Leib- und Herzensthema eine neue Wendung abgewinnen müssen, damit er auch künftig etwas zu sagen und zu klagen hat.

    Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel
    Roman. Aus dem Französischen von Uli Wittmann.
    DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005.
    444 Seiten, Euro 24,90.