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"Er war ein brillanter Spieler mit den Worten"

"Die Stärke von Ensikat liegt in seiner großen Liebe auch zur Sprache", sagt Dirk Neldner, Chef des Berliner Kabaretts Distel. Er habe das ehemalige Ost-Kabarett Distel durch die schwierigen Wendejahre geführt und schließlich auch eine direkte Ansprache für das Westpublikum gefunden.

Dirk Neldner im Gespräch mit Michael Köhler | 19.03.2013
    Michael Köhler: Politisches satirisches Kabarett in der DDR scheint, auf den ersten Blick, nur schwer möglich, aber sehr reizvoll. Peter Ensikat sagte mal, das war nicht lustig in der DDR, aber komisch. Daraus machte er Programme, seit den 60ern für die Dresdner Herkuleskeule oder die Berliner Distel. Der Kabarettist und Schriftsteller, der Schauspieler und Autor Peter Ensikat ist gestern im Alter von 71 Jahren gestorben. Ensikat wurde 1941 in Finsterwalde in Brandenburg geboren und besuchte nach dem Abitur die Theaterhochschule in Leipzig. Über seinen Weg zur Bühne sagte er mal:

    O-Ton Peter Ensikat: "Schuld war der Peter Sodann. Der ist Schuld daran, dass ich zum Kabarett gegangen bin. Er leitete damals den "Rat der Spötter", ein Studentenkabarett, das ja dann sehr schnell verboten wurde. Aber gerade dieses Verbot bewirkte bei mir, dass ich mir sagte: Also, wenn man mit Satire, mit Kabarett so viel auslösen kann, eine solche Unruhe auslösen kann, dann muss man da weitermachen."

    Köhler: Wer will kann in den Sketchen und Stücken, den Couplets und Liedern von Peter Ensikat immer auch noch was Anderes hören, als gerade gesagt wird:

    O-Ton Peter Ensikat: "Der Mensch schuf Gott, der Teufel die Propheten. Sie künden heilige Ideen, zu denen ganze Völker bebten, um dann für sie zu Grund' zu gehen."

    Köhler: Ja Propheten, das könnten vielleicht auch Mitglieder des Politbüros gewesen sein, die er da meinte.

    - 1991 kam Peter Ensikat ans Berliner Kabarett Distel, dem er von 1999 bis 2004 auch als künstlerischer Leiter vorstand. Und den heutigen Geschäftsführer der Distel, den Regisseur Dirk Neldner, habe ich gefragt: wann und wie haben Sie Peter Ensikat erlebt?

    Dirk Neldner: Ja das wird 1992/93 gewesen sein, als wir "Die Bremer Stadtmusikanten" in seiner Fassung gespielt haben. Und die hat er für uns noch mal aktualisiert und wir glaubten, das sei ein Stoff, der für Kinder gerade in der frischen Wendezeit sehr aktuell zu erzählen sei. Da habe ich ihn kennengelernt und sehr geschätzt, mit welchem sozialen Bewusstsein und Schärfe er Situationen erfasst, beschreiben kann und dann runterbricht für Kinder, damit Kinder sie gut verstehen können und man ihnen hilft, ein soziales Bewusstsein aufzubauen.

    Köhler: Immerhin eine Geschichte über Tiere, die zum alten Eisen erklärt werden?

    Neldner: Ja, ja. Deswegen haben wir uns ja damals dafür entschlossen, diese Geschichte zu erzählen, weil wir dachten, das hat einen ganz aktuellen Bezug und ist dennoch eine fröhliche Geschichte.

    Köhler: Er blieb Sozialist, satirischer Sozialist. Wer öffentlich Witze über den Sozialismus machte, lebte gefährlich. Nach der Wende war er froh, dass er, wie er mal sagte, endlich tagesaktuell arbeiten konnte. Vorher ging das wohl nicht?

    Neldner: Ja. Da habe ich häufiger mit ihm drüber gesprochen, weil ich das auch wissen wollte. Ich glaube, man kann das zusammenfassen, dass er sagt, man konnte im Endeffekt alles das schreiben, was man schreiben wollte, weil die Schere im Kopf hat früh eingesetzt. Dadurch waren sicherlich die Programme früher in der Distel, zu DDR-Zeiten, nicht so tagesaktuell, wie er sie dann direkt in Wendezeiten und Nach-Wendezeiten geschrieben hat.

    Köhler: Die haben ja sogar mal einen Preis dafür bekommen vom Politbüro?

    Neldner: Ja, ja, stimmt, und ihn auch angenommen.

    Köhler: Heißt das, zu DDR-Zeiten war man harmloser in seinen Texten und in seinen Darstellungen, oder verschlüsselter?

    Neldner: Ich glaube, verschlüsselter. Harmlos, würde ich überhaupt nicht sagen. Ich weiß nicht, Sie werden sich auch daran erinnern: Ganz viele Zeitzeugen beschreiben Theater im Allgemeinen und Kabarett dann sicherlich ganz im speziellen ja als zu DDR-Zeiten oder überhaupt in Zeiten eben solcher politischen Zensuren als eine ganz starke Übereinkunft zwischen Bühne und Parkett. Da reichten kleine Andeutungen aus, um eben Großes mit zu sagen. Diese Sensibilität im Publikum, die haben wir heute gar nicht mehr, weil heute kann man alles frontal sagen. Die Stärke von Ensikat liegt in seiner großen Liebe auch zur Sprache. Er war ein brillanter Spieler mit den Worten, mit den Zwischentönen, Wortspielen. Das sieht man schon in den Titeln auch seiner Programme. Das ist etwas, was in der humanistisch gebildeten DDR hoch geschätzt wurde.

    Köhler: Fällt Ihnen zufällig gerade einer ein?

    Neldner: "Wir sind schon eine Reise wert" zum Beispiel. Er war ein Mann des Wortes, des Wortspiels. Dadurch, glaube ich, ist es ermöglicht, dass auch so unterschiedliche Publikumsstrukturen ihn liebten. Er war zur DDR-Zeit, wie Sie schon gerade gesagt haben, beliebt, bekannt, viel gespielt, der meist gespielteste, sagt man ja immer, Kabarettist in der DDR und er wurde auch ganz schnell dann zu einem Chronisten der Wendezeit. Die Distel wurde durch ihn durch die schwierigen ersten Jahre der Wende gebracht und ab '90 war fast ausschließlich ein Westpublikum hier in der Distel. Und er hat eine klare Ansprache auch für dieses Publikum gefunden.

    Köhler: Das sagt Dirk Neldner, der Geschäftsführer des Kabaretts der Distel, wo Peter Ensikat lange gewirkt hat, der gestern 71-jährig gestorben ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.